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© dpa

Interview: "Die Leute werden aus reiner Verzweiflung zuschauen"

Medienmanager Hans-Hermann Tiedje über Merkels Windkanal-Wahlkampf, Shetlandponys – und das einzig wahre TV-Duell

Herr Tiedje, ein kurzer Blick zurück: Wie schlagen sich die Kandidaten bisher?

Im Rahmen meiner Erwartungen. Und die sind nicht allzu hoch. Was Angela Merkel angeht: Sie ist weder eine tolle Rednerin noch eine beeindruckende Medienpersönlichkeit, von mitreißend nicht zu reden.

Und was ist mit Frank-Walter Steinmeier?

Herr Steinmeier ist ein kluger, netter und intelligenter Mann, bei dessen Anblick ich immer an Shetlandponys denken muss, ich weiß auch nicht, warum.

Warum ist die Kanzlerin so viel populärer als ihr Herausforderer?

Weil sie „middle of the road“ ist, mitten in der sogenannten Mitte. Wenn du wie sie direkt aus dem Windkanal kommst, dann gefällst du mit großer Wahrscheinlichkeit der Mehrheit. So wird der Wahlkampf ja auch von der Union geführt.

Also: bloß nicht anecken.

Das ist das Erfolgskonzept, nach dem die CDU vorgeht, ja. Und das Konzept zieht. Ich sage Ihnen einen klaren Wahlsieg von Union und FDP voraus. Die SPD wird irgendwo bei 23 Prozent hängen bleiben.

Was haben Sie gegen solides Mittelmaß?

Solidität erwarte ich bei Bankern, nicht beim Auftritt von Politikern. Nehmen wir Gerhard Schröder. Der konnte die Sau rauslassen. Das kann Steinmeier nicht. Er ist einfach nicht der Typ dafür. Steinmeier wirkt nach wie vor so, als sei er immer noch der Sekretär von Gerhard Schröder.

Was ist so schlimm daran, dass der Wahlkampf im Grunde keiner ist?

Zum Beispiel, dass Ronald Pofalla, der Generalsekretär der CDU, nicht wird nachweisen müssen, dass er überhaupt einen Wahlkampf geführt hat.

Weit und breit keine Aufreger in Sicht?

Gorleben ist zwar wie Kai aus der Kiste gekommen, aber viel Wirbel wird das Thema nicht machen, dazu wirkt es etwas zu inszeniert. Und auch Afghanistan wird keine großen Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben, dazu sind sich die großen Parteien viel zu einig. Und sonst sehe ich nichts.

Die Quoten der Wahlsendungen im Fernsehen dümpeln zwischen 500 000 und drei Millionen Zuschauern. Sind die Leute dümmer oder klüger als das Fernsehen?

Das Volk ist klüger als das Fernsehen. Es übersieht ganz einfach diese scheinkritischen Sendungen. In dem Porträt über Steinmeier habe ich nichts, aber wirklich nichts,gefunden, was ich nicht schon kannte. Was soll das dann?

Aber das Duell der Kandidaten heute Abend, das werden Sie sich doch ansehen?

Ob Sie''s glauben oder nicht: nein. Ich gehe lieber zu Knut in den Zoo, das ist aufschlussreicher. Im Ernst, die Veranstaltung interessiert mich überhaupt nicht. Es wird aussehen wie die Übertragung einer Kabinettssitzung. Was soll denn dabei rauskommen, wenn Peter Limbourg, der deutsche Nachrichtenriese, den ich bewundere, klar, Peter Kloeppel, der immer Höfliche, Maybrit Illner, die Talkshowfee, und der deutsche Talk-Panzer Frank Plasberg, allesamt sehr höfliche, gebildete Menschen, Fragen stellen, die höflich beantwortet werden.

Man könnte es auch lassen?

Ich könnte mir eine spannendere Besetzung vorstellen. Rumänien-Experte Jürgen Rüttgers, der Rumänien-Deutsche Peter Maffay, Oskar Lafontaine, Claudia Roth und Henryk M. Broder, das wäre spannend.

Wird das Fernsehen von den Politikern vorgeführt?

Es gibt Ausnahmen. In einer der letzten Sendungen von „Hart aber fair“ gingen Roland Koch, Renate Künast und Sigmar Gabriel ganz schön zur Sache. Da schaut man gerne zu.

Es könnte doch auch heute rundgehen, wer weiß?

Unmöglich. Was will denn Herr Steinmeier machen? Auf der einen Seite will und muss er mit der Union regieren, auf der anderen Seite soll er all das, was die SPD mit der Union zusammen zu verantworten hat, in Grund und Boden verdammen. Dann ist Angela Merkel auch noch eine Frau, da muss man höflich sein. Der Union geht es andersherum nicht viel anders. Das ist einer der Gründe, warum der Wahlkampf so lahm ist.

Wenn trotzdem 20 Millionen zusehen: Sind das 20 Millionen Irregeleitete?

Was wollen sie machen, wenn es kein Alternativprogramm gibt? RTL 2 sehen oder eine Kochshow auf Vox? Ein Großteil der Leute wird aus Verzweiflung zuschauen, aus keinem anderen Grund.

Was könnten die Kandidaten machen, um das letzte Prozentchen rauszuholen?

Herr Steinmeier ist nicht zu optimieren. Frau Merkel könnte sich vielleicht noch etwas schicker anziehen, mehr geht nicht.

Die Kandidaten sind schuld, dass es so langweilig ist, nicht die Journalisten, die Fragen stellen?

Richtig. Was soll man den Journalisten vorwerfen? Sie haben ja die Kandidaten nicht aufgestellt und müssen nun mit dem Personal fertig werden, das man ihnen vorsetzt.

Gibt es keine Frage, die die Kandidaten aus der Ruhe bringen könnte? Sie schaffen es doch auch in Ihrer Talksendung auf „Links–Rechts“ bei N 24.

Wir würden weder Frau Merkel noch Herrn Steinmeier einladen, weil weder die eine noch der andere Quote brächte.

Glauben Sie wirklich, die beiden würden die Einladung annehmen?

Das nicht. Was ich damit sagen will: Wenn wir einen Politiker von der Linken, zum Beispiel Bodo Ramelow, im Studio haben, dann steigt die Quote. Weil es einfach unterhaltender ist, wenn es auch mal knallt. Unser idealer Talkgast sieht so aus: Frau, attraktiv, rote Haare, von der Linkspartei und mithin wenig Ahnung. Dann ist die Quote garantiert hoch.

Was würden Sie Frau Merkel oder Herrn Steinmeier fragen, wenn sie kämen?

Gar nichts. Ich habe nicht eine Frage an die beiden, nicht eine. Was sollte ich auch fragen? Die beiden sind so durch und durch vernünftig, dass es unmöglich wäre, etwas anders als etwas Vernünftiges aus ihnen herauszuholen. Aber das ist so was von langweilig, das halte ich nicht aus, jedenfalls nicht im Fernsehen.

Ist Frau Merkel gut beraten, sich zur Königin des Polittalks gemacht zu haben? Sie bittet nicht, sie lässt bitten.

Ja, sehr gut beraten. Sie kommt allein, wohin sie auch geht. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Warum soll sie sich in ein Studio begeben, in dem dreißig wild gewordene Gewerkschafter ihr die Hölle heißmachen wollen, wenn es auch anders geht? Wenn sie die Bedingungen diktieren kann, dann macht ihr das ihr Leben leichter. Ob das auch für uns Zuschauer die beste Lösung ist, das ist natürlich die Frage.

Warum machen die Sender das mit?

Jeder möchte die Kanzlerin haben, jeder braucht sie. Jeder, bei dem sie war, darf sich wichtig fühlen. Das ist ein schönes Gefühl.

Gibt es ein TV-Duell, das Sie reizen könnte?

Ja, und das läuft am 23. September im NDR. Peter Harry Carstensen gegen Ralf Stegner, CDU gegen SPD, der amtierende Ministerpräsident gegen den Herausforderer. Da wird es rumsen, da gibt''s auf die Glocke. Die werden sich gegenseitig derart beharken, die brauchen keine Fragen von Journalisten. Besser geht''s nicht.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

SCHRÖDER GEGEN STOIBER.

2002 gab es zwei TV-Duelle zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinem Herausforderer Edmund Stoiber (CSU). Das erste Duell bei RTL und Sat 1 sahen 15,32 Millionen Zuschauer, das zweite bei ARD und ZDF 15,59 Millionen.

SCHRÖDER GEGEN MERKEL.

2005 wurde nur ein 90-minütiges TV-Duell zwischen Gerhard Schröder (SPD) und seiner Herausforderin Angela Merkel (CDU) ausgetragen. 20,98 Millionen Zuschauer waren bei den vier übertragenden Sendern ARD, ZDF, RTL und Sat 1 dabei. So viele Zuschauer werden auch beim Duell Merkel gegen Steinmeier erwartet (ARD, ZDF, RTL, Sat 1, ab 20 Uhr 30).

Hans-Hermann Tiedje, Medienmanager und Ex-Chefredakteur von „Bunte“ und „Bild“, moderiert

die wöchentliche

Talkshow „Links-Rechts“

bei N 24

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