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Stets mit Wollmütze. Hans W. Geißendörfer, Jahrgang 1941, Regisseur, Autor, Produzent, brachte 1985 die Serie „Lindenstraße“ auf den Bildschirm, deren 1666. Folge am Sonntag (ARD) ausgestrahlt wurde. Geißendörfer studierte Germanistik, Theaterwissenschaften, Psychologie und afrikanische Sprachen, drehte diverse Kinofilme („Schneeland“).

© WDR/Steven Mahner

Interview mit Hans W. Geißendörfer über Alt68er: „Das ist kein Fluch“

"Es erfüllt mich mich mit Stolz": „Lindenstraße“-Erfinder und Produzent Hans W. Geißendörfer über das Erbe der 68er.

Herr Geißendörfer, in diesen Tagen wird wieder viel über den Geist, das Erbe der 68er gesprochen. Wie fühlt es sich eigentlich an, sein Leben lang, bei jedem Porträt, bei jedem Interview als „bekennender Alt- 68er“ bezeichnet zu werden? Das ist ja Ihr Markenzeichen wie Ihre Mütze. Sind Sie stolz auf diese Titulierung?

Alt68er zu sein ist für mich weder Auszeichnung noch Fluch oder Belastung. Ich bin 68er geworden, weil ich genau zu dieser Zeit angefangen habe, politisch aktiv zu sein und politische Arbeit zu versuchen. Die Ideen von uns waren damals in erster Linie auf dem Kampf gegen Autoritäten aufgebaut.

Kampf gegen wen?
Antiautoritär war das große Wort, um das sich alle anderen Philosophien gruppierten oder worauf sie sich bezogen. Der Mensch sollte frei sein und selbst über jeden, aber wirklich jeden Lebensbereich selbst und eigenständig nachdenken und entscheiden. Jede Art von Autorität wurde abgelehnt. Das führte teilweise zu grotesken Auswüchsen wie zum Beispiel zur Niederlegung jeder Art von Tätigkeit.

Zu was sollte das führen?
Nur im Nichtstun gab es keine Autorität. So dachte man. Dass aber auch im Ablehnen von Tätigkeit Autorität versteckt war, wollten wir nicht sehen, war uns aber bewusst, was zu allerlei köstlichen Widersprüchen führte und am Ende dazu, dass die antiautoritäre Bewegung an sich selbst erstickte.

Ein überzeugendes Lebensmodell sieht anders aus.
Das muss man alles wissen, wenn man meine Antwort auf die hier gestellte Fragen richtig einordnen will. Alt-68er zu sein erfüllt mich mit Stolz auf die Tatsache, dass wir versucht haben, Freiheit, Geist, Gleichberechtigung und Humanität die bestimmenden Herrscher unseres Alltags sein zu lassen. Unterdrückung, Gewalt, Zwang und Macht wurden bekämpft oder einfach nicht zugelassen.

Was heißt das konkret im Alltag: Alt68er zu sein? Vom Geist der 68er durchtränkt zu sein, wie es über den „Lindenstraße“-Schauspieler Philipp Sonntag gesagt wurde, der den Adi Stadler spielt.
Konkret heißt Alt-68er zu sein, was ich bereits benannt habe und was durchaus auch heute noch Verhaltensziel und politisch bewusstes Leben ausmacht: gegen Unterdrückung, gegen Macht, gegen Gewalt und Zwang zu kämpfen und für Gleichberechtigung, Respekt vor dem anderen, vor dem Fremden und für leidenschaftliches Hinterfragen im alltäglichen Leben einzutreten. Das ist auch heute noch ausgesprochen sinnvoll.

Das bedeutet, der Geist respektive der Anspruch der 68er ist Ihnen, ohne Abstriche, geblieben? Sie wollen…
..so viel wie möglich der oben aufgeführten 68er-Ideen und Träume verwirklichen, ja. Einmal 68er, immer 68er!

Haben Sie Ihre Töchter in diesem Geist erzogen? Hana Geißendörfer ist ja auch Produzentin der „Lindenstraße“.
Ja, klar und, soweit ich das erkennen kann, hatte dies auch Wirkung.

Gibt es denn noch Kontakt zu Alt-68ern? Vielleicht auch zu gewendeten Alt-68ern, die jetzt stockkonservativ sind? Worüber reden oder streiten Sie?
Klar gibt’s noch ein paar Überlebende, aber wir reden nicht mehr über das, was uns selbstverständliche Haltung und Überzeugung geworden ist. Wir reden eher darüber, wie man die Feinde dieser Haltung besiegen kann, wenn bekehren keine Chance hat.

Ein bisschen wöchentliche Bekehrung war und ist ja auch die „Lindenstraße“, die Sie 1985 erfunden haben. Sie gelten als kompromisslos. Was kann man mit dem Anspruch heutzutage noch im Fernseh- und Kinogeschäft reißen, nicht nur mit der „Lindenstraße“ in der ARD?
Kompromisslos heißt ja nicht, dass es kein Nachdenken über Alternativen gibt. Es heißt vielmehr, dem Gegenüber, dem Partner klare Kanten anzubieten, mit denen man verändern, leben und arbeiten will. Mit meiner, wie Sie sagen, Kompromisslosigkeit stoße ich immer wieder erfreulicherweise auf neugierige Zuhörer und Diskussionen. Das Wichtigste aber ist sicher, dass man trotz klarer Haltung zuhören kann und gegebenenfalls auch etwas verändern wird.

Hans W. Geißendörfer, Jahrgang 1941, Regisseur, Autor, Produzent, brachte 1985 die Serie „Lindenstraße“ auf den Bildschirm, deren 1666. Folge am Sonntag (ARD) ausgestrahlt wurde. Die "Lindenstraße" sollte immer auch ein bisschen die Welt verbessern. Geißendörfer studierte Germanistik, Theaterwissenschaften, Psychologie und afrikanische Sprachen, drehte diverse Kinofilme ("Zauberberg", „Schneeland“).

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