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Interview mit Oliver Kalkofe: „Man kann als Zuschauer gar nicht so viel kotzen“

Heute startet die Neuauflage von Oliver Kalkofes legendärer "Mattscheibe". Deutschlands schärfster TV-Kritiker spricht im Interview über Dicke am Nachmittag, Angst vor der Welt, seltsame Kindheiten und sein Comeback auf Tele 5.

Herr Kalkofe, ich hatte neulich am Samstagabend das Erste eingeschaltet, landete bei Andy Borg. „Musikantenstadl“. Oder das „Fest der Volksmusik“...

… schön zu sehen, nicht?

Wer das jetzt drei Stunden am Stück sehen muss, quasi im Auftrag, wie Sie, das muss doch körperlich wehtun?

Sicher. Allerdings sind die Schmerzen diesbezüglich geringer als bei dem Rest des Programms, das ich mir derzeit antun muss. Im Vergleich zu dem, was am Nachmittag läuft, ist diese Form weichlich dahinplätschernder Unterhaltung, diese Seligkeit im Lächeln von Andy Borg & Co fast schon wieder niedlich.

Mit dem Nachmittag meinen Sie diese Scripted-Reality-Geschichten?

Formate mit der Aussage: Guck mal, wie scheiße die Welt ist, wie doof die Leute da draußen alle sind. Programme, die boshaft Menschen vor die Kamera schubsen und zum Auslachen vorführen, damit die Blöden unter den Zuschauern denken können: Cool, die sind ja noch bekloppter als ich! Da ertappe ich mich dabei, und das erschreckt mich dann, dass ich sage: Mensch, holt doch stattdessen lieber einen von diesen lustigen Volksmusikern her. Stattdessen sieht man tagsüber im Fernsehen Menschen, denen man nicht mal in der U-Bahn begegnen möchte. Fernsehen kann einem heute schon Angst machen.

Vielleicht soll es das auch.

Ja, damit die Leute sagen, wir gehen nicht mehr raus, wir sehen nur noch fern.

Ihre „Mattscheibe“ hat vier Jahre Pause gemacht. Hätten Sie es sich so schlimm vorgestellt, als Sie für Tele 5 anfingen zu sichten?

Nein. Es gab ja schon mal vier Jahre Pause mit der „Mattscheibe“. Damals begann der große Castingshow-Boom und ich dachte, viel schlimmer könne es nicht mehr kommen. Jetzt sind wir in einen neuen Moloch des Grauens gefallen. Weil Fernsehen nichts mehr kosten darf und uns jeder Mist als Reality verkauft wird.

Man kann ja abschalten.

Verzicht aus Frust kann nicht die Lösung sein. Es gibt einen nicht geringen Anteil unter den 80 Millionen hier, die nicht verblöden wollen, die gerne auswählen würden. Warum jagen wir nur der großen Masse hinterher, der eh alles egal ist? Fernsehen wird mehr und mehr zum Drive-in, es gibt fast nur noch Fastfood. Aber wenn wir immer nur Burger essen, werden wir fett und platzen.

"Orgiastische Gefühle beim Käsefressen"

Was war die schlimmste TV-Szene, die Sie zuletzt gesichtet haben?

Ein Ausschnitt aus „Pures Leben“: Eine sehr dicke Frau in einer Scripted-Reality-Doku, die so tun muss, als ob sie fett, fresssüchtig und geizig sei. Die sieht, wie Lebensmittel weggeworfen werden, in Müllcontainer klettert und Tortenreste mit den Händen frisst. Eine andere dicke Frau muss spielen, sie sei eine geisteskranke Käsesüchtige, die beim Käsefressen orgiastische Gefühle bekommt und mit der Scheibletten-Packung durch die Wohnung tanzt.

Sie übertreiben.

Ich hab da noch was. In der Sendung „We love Lloret“ bei Pro 7 werden begattungsbereite junge Leute mit Unmengen Alkohol in einer Finca eingesperrt. Die sind die ganze Zeit besoffen und kotzen am Ende im Strahl auf den Boden. Früher hätte man an der Stelle verpixelt. Jetzt wird’s genüsslich gezeigt und spöttisch kommentiert. Man kann als Zuschauer gar nicht so viel kotzen, wie es einem im Fernsehen schon gezeigt wird.

So fordert uns die ARD. Der „Musikantenstadl“ mit Moderator Andy Borg ist eine der typischen Fernsehsendungen, die Oliver Kalkofe und sein Team in Rage bringen.
So fordert uns die ARD. Der „Musikantenstadl“ mit Moderator Andy Borg ist eine der typischen Fernsehsendungen, die Oliver Kalkofe und sein Team in Rage bringen.

© BR/ORF/Milenko Badzic

Ist die Schere zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten in den letzten Jahren programmmäßig größer geworden, oder ziehen sich beide Systeme nach unten?

Letzteres. Die Schere zwischen „Schrott“ und „Sehr gut“, den Formaten für ein elitäres, kleines Publikum und dem Einheitsbrei für die Masse, wird immer größer. In der anspruchsvollen Mitte wird kaum noch Publikum eingefangen. Einerseits wollen sich die Öffentlich-Rechtlichen von den Privaten abgrenzen. Andererseits hecheln sie ihnen hinterher, machen ihre Formate nach, wollen es aber nicht zugeben. Das Nachmittagsprogramm der Privaten ist das schlimmste Übel, keine Frage. Aber ARD und ZDF bringen keine intelligentere Alternative, sondern Telenovelas und Boulevardmagazine. Dabei müssten doch gerade die Öffentlich-Rechtlichen mit neuen Ideen kommen und uns immer wieder überraschen und fordern.

Es gibt ja mutige Redakteure, die Sachen wie „Mord mit Aussicht“, „Walulis sieht fern“ oder „Tatortreiniger“ durchsetzen …

Aber das trauen sie sich dann nicht richtig zu senden, „Tatortreiniger“ wird im Dritten versteckt. „Walulis“ lief erst auf Tele 5. Nach dem Grimme-Preis hat die ARD dieses Format entdeckt, schiebt es aber heimlich ab, zu Eins Plus, damit es ja nicht zu viele Menschen sehen. Dabei erklärt das auf frische und intelligente Art die Mechanismen des Fernsehens, wie die „Sendung mit der Maus“. So etwas müsste nachmittags in der ARD laufen.

Aber die Einschaltquote …

… diese Quote gibt es gar nicht wirklich. Wir laufen einem Gespenst hinterher. Es gibt knapp 6000 Wohnzimmer, in denen die TV-Nutzung gemessen wird, leider aber nur so wie früher vor 20 Jahren. All das zeitversetzte, netzbezogene Fernsehen, die Mediatheken, DVDs, Festplattenaufnahmen etc. spielen keine Rolle.

Sie zahlen bestimmt gerne Ihre Gebühren.

Ich zahle gern das Doppelte, freiwillig, sofort, wenn ich zumindest den guten Willen der Macher erkennen würde. Ich möchte allerdings nicht das kreative Wachkoma der Öffentlich-Rechtlichen unterstützen, bei allem, was sie auch Gutes machen. Vor allem möchte ich nicht so ein unverschämt-irrwitziges Spitzel-System wie die GEZ finanzieren, das empfinde ich als Frechheit.

Das Grauen der anderen

Trotzdem, das Hauptaugenmerk bei Ihrer Show jetzt dürfte auf Sat 1 & Co. liegen. Sie zeigen das Übel, die Menschen in den Scripted Reality Shows. Führen Sie die in der Kritik nicht auch vor?

An erster Stelle steht für mich, nicht die Opfer ein zweites Mal vorzuführen, sondern die Verantwortlichen dafür zu finden und zu verspotten. Und ganz grundsätzlich: Ja, meine Sendung lebt vom Grauen der anderen. Aber Sie können einem Arzt ja auch nicht vorwerfen, dass er von der Krankheit anderer lebt.

Wie wird man eigentlich berufsmäßiger Fernsehgucker: Bringt’s was, im Großraum Peine/Salzgitter aufgewachsen zu sein?

Provinz und eine etwas seltsame Kindheit gehören wohl dazu. Fernsehen war mein bester Freund, lange Zeit. Und gerade auch, weil ich das Fernsehen so lieben gelernt habe, kann ich auch so ehrlich wütend darauf sein.

Und was machen Sie, wenn Sie nach sieben, acht Stunden schlechtem Fernsehen von Andy Borg träumen?

Das Gute ist, dass ich bei der Arbeit eine Katharsis durchlebe. Anfangs lacht man, dann leidet man, dann kommt die Wut. Sich dann rächen zu können, Texte zu schreiben, zurückschlagen zu dürfen, das ist ein herrliches Gefühl. Ich vergleiche mich da gerne mit Spiderman: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. Kaum ist der Grüne Kobold besiegt, kommt schon Dr. Octopus um die Ecke. Als Superheld kommt man nie zur Ruhe.

Oliver Kalkofe, 47,

Satiriker, Autor. Am Freitag startet beim Spartensender Tele 5 (20 Uhr) eine Neuauflage von „Kalkofes Mattscheibe“, die absurde TV-Sendungen aufs Korn nimmt.

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