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Neue Aufgabe.  Tina Hassel wird am 1. Juli neue Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios und Chefredakteurin Fernsehen. Die 51-jährige Journalistin folgt Ulrich Deppendorf nach. Bislang führt Tina Hassel das ARD-Studio in Washington.

© ARD

Interview mit Tina Hassel: „Ich komme nicht auf diesen Posten, weil ich eine Frau bin“

Tina Hassel wird Chefin im ARD-Hauptstadtstudio. Ein Gespräch über Gender, den entzauberten Messias Barack Obama und den „Bericht aus Berlin“.

Frau Hassel, Sie leben und arbeiten jetzt in Berlin. Erste Eindrücke, der positiven wie der negativen Art?
Eine Wohnung haben wir schnell gefunden, Gott sei Dank. Der Sommer in Berlin soll ja schön sein, darauf freuen sich meine Familie und ich. Am 5. Juli moderiere ich dann erstmals den "Bericht aus Berlin", dann folgen die Sommerinterviews. Ich hatte ja schon früher in Berlin zu tun. Damals habe ich für Phoenix im wöchentlichen Wechsel mit Bodo Hauser moderiert. Ich fremdele also jetzt nicht vollkommen in dem "Raumschiff Berlin". Der Zugang zu Informationen und der Kontakt zu Politikern sind sehr viel leichter als in Washington, weil man als deutsches Medium für ein deutsches Publikum wahrgenommen wird.

Angela Merkel oder Sigmar Gabriel: Wie gut kennen die Politiker Sie?
Die kennen mich alle, in dem Sinne, dass man einen Namen mit einem Gesicht verbindet. Alle Spitzenpolitiker haben ja immer wieder Termine in Washington, da habe ich sie alle erlebt und in Hintergrundgesprächen getroffen. Ich habe zudem sehr genau verfolgt, wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel in Berlin agieren.

Gibt es generelle Unterschiede, wie amerikanische Spitzenpolitiker im Vergleich zu deutschen agieren?
Oh ja. Amerika macht einen extrem personalisierten Wahlkampf, und Wahlkampf ist immer auch Show. Es ist immer auch Content, immer auch Inhalt, aber niemals nur Inhalt allein. Auftritte sind nach Möglichkeit außerhalb des eigenen Büros, des Parlaments, dafür in Hallen, in der Öffentlichkeit. Man agiert in der offenen politischen Arena, meistens untergehakt mit der eigenen Familie. Dann müssen Politiker bei ihren Auftritten aber auch "liefern" - nur reden, ohne etwas konkret zu sagen, wird hart abgestraft. Mehr und mehr läuft die Kommunikation über die sozialen Medien. Präsident Obama twittert mittlerweile, nicht seine Mitarbeiter für ihn, sondern er selbst. Zudem muss sich der amerikanische Spitzenpolitiker viel im Land bewegen, um die sehr unterschiedlichen Bevölkerungs- und Wählergruppen zu erreichen - den aufgebrachten Farmer im Mittleren Westen wie den Latino im Südwesten. Es wird Politik im Land gemacht und in öffentlichen Formaten, was auch daran liegt, dass das US-Parlament sehr viel seltener zusammenkommt als der Bundestag.

Der Schlagabtausch in der amerikanischen Politik ist brutaler

Und der Stil?

Der Schlagabtausch ist schneller und brutaler als in Deutschland. Das geht zu Lasten von komplexen Botschaften. Zugleich nimmt der politische Diskurs ab. Journalisten müssen also für komplett unterschiedliche Lebenswelten arbeiten. Ein Fox-News-Zuschauer denkt komplett anders als ein CNN-Zuschauer. Amerika ist gespalten. Amerikanische Fernsehjournalisten handeln entsprechend, sie berichten für das jeweilige Lager. Und sie stehen dazu. Es geht nicht ums Einordnen, es geht ums Zuspitzen.

Jeb Bush oder Hillary Clinton - wer macht das Rennen um die Präsidentschaft?
Für mich ist nicht einmal sicher, ob Jeb Bush der Kandidat der Republikaner sein wird. Bush kämpft mit einem nicht unproblematischen Namen. Hillary Clinton ist bei den Demokraten gesetzt. Sie kann sich nur selber verhindern - oder ihr Ehemann. Wäre die Präsidentenwahl sehr bald, hätte keiner eine Chance gegen Hillary Clinton. Aber es ist noch lang bis zur Wahl im Herbst 2016.

Hillary Clinton will Präsidentin werden, Sie wollen das ARD-Hauptstadtstudio leiten. Warum?
Weil es für mich in Deutschland der mit Abstand spannendste Job ist. Ich bin Politik-Junkie. Es ist spannend, wer in Berlin wen aus welchen Gründen auch immer beeinflusst, welche Politik gemacht wird. Und wenn sie mitentscheiden können, wie aus Berlin für die ARD berichtet wird, dann möchte ich hier arbeiten.

Sie sind die erste Frau auf dem Führungsposten des ARD-Hauptstadtstudios. Hat die ARD zu spät gehandelt?
Die Geschichte ist, wie sie ist. Überall, und nicht nur in der ARD, müssten mehr Frauen früher in diese Spitzenpositionen kommen. Ich komme außerdem nicht auf diesen Posten, weil ich eine Frau bin.

War das überhaupt eine blöde Frage? Immer wenn eine Frau zum ersten Mal einen solchen Spitzenposten bekommt, wird das gefragt.
Vor einem Jahr hätte ich gesagt: Was für eine blöde Frage. Inzwischen sage ich: nein, keine blöde Frage. Es ist - siehe nur Hillary Clinton - immer noch eine Frage.

Sie waren in Paris, Brüssel und in Washington, niemals jedoch in Bonn, selten in Berlin. Welche Vorteile, welche Nachteile erwachsen daraus?
Nachteil: Ich kenne das politische Geschäft in Berlin von den Sendungen her, die ich gemacht habe, aber natürlich habe ich bislang nicht 24/7 über Innenpolitik berichtet. Vorteil: Wenn man weiß, wie Politik funktioniert, wenn man sieht, welch großer Anteil der Gesetze immer über die Brüssel-Schleife geht, dann denke ich, dass mir die Themen sehr geläufig sind. Es ist auch ein Plus, dass ich die Politik in Bonn und Berlin immer auch aus dem Ausland und damit von der anderen Seite aus beobachtet habe.

These: Statt Barack Obama nun Angela Merkel - vom großen zum kleinen Karo?
Ganz umgekehrt: Angela Merkel ist international und auch in Washington eine ganz mächtige Frau. Barack Obama ist ein in vielen Punkten entzauberter Messias, der große Schwierigkeiten hat, nach zwei Amtszeiten substanzielle Erfolge vorweisen zu können.

Nun haben Sie von Washington aus die Bundespolitik wahrgenommen. Was hat Sie am meisten erstaunt?
In Berlin wird miteinander geredet und um Kompromisse gerungen. Das ist ein Riesenunterschied zu dem blockierten System in Amerika. Besser ist auch, so glaube ich, dass es in Deutschland sehr viel mehr Parteien gibt. Das kann kleinteiliger wirken, verhindert aber dieses gegenseitige Lahmlegen, wie es in Amerika die beiden Blöcke der Demokraten und der Republikaner pflegen. Auch wird in Berlin wie in ganz Europa zu einer bestimmten Politik immer eine Exit-Strategie mitgedacht. Das wirkt zögerlicher, zeigt aber die Bereitschaft, die eigene Position neu zu überdenken. Das ist in Amerika anders. Dafür wird dort mehr und schneller gehandelt. Auch wissen sie immer, wer welche Position besetzt. Das Bild ist klar.

Heißt es, es gibt ein größeres Interesse an Politik in den Staaten?
Eindeutig. Alle sind politisch aufgeheizt, auch ideologisch. Politik lässt niemanden lau. Das scheint in Deutschland anders zu sein. Darauf werde ich mich einstellen müssen.

Wie wurden Sie denn von den Amerikanern eingeschätzt?
Ganz klar liberal. "Liberal" im US-amerikanischen Verständnis ist man dann, wenn man gegen die Todesstrafe ist. Wenn man dafür ist, dass es eine Regierung gibt, die Gesetze und Standards für das tägliche Miteinander setzt. Die Trennlinie zu den Republikanern ist dann: Will man alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen, alles nur der Entscheidung des Einzelnen überantworten? Sozialdemokratisch im deutschen Verständnis ist da sowieso die kleinste Fraktion.

Das deutsch-amerikanische Verhältnis, Stichwort NSA.
Für die Amerikaner war das abgehakt. Was war, das war, jetzt wird nach vorne geschaut. Aktuell ist das anders, mit dem Veröffentlichen vertraulicher Mails, von Selektoren, bestimmten Suchstichwörtern. Jetzt geht es aus Washingtoner Sicht um grundsätzliche Fragen. Wir haben viele Stimmen gehört, die sagen: "Die Deutschen sollten endlich erwachsen werden. Steht zu dem, was ihr zusammen mit uns macht, und schiebt dann nicht immer alles auf uns, wenn es unangenehm wird." Zweitens fordern die Amerikaner, dass Dinge, die vertraulich sind, vertraulich bleiben: "Wenn wir da nicht mehr sicher sein können, ziehen wir Konsequenzen, suchen uns gegebenenfalls neue Partner."

Hat sich denn Ihr Amerika-Bild während der Jahre in Washington fundamental verändert?
Jeder glaubt Amerika zu kennen. Je länger ich in Amerika gelebt und gearbeitet habe, je komplexer wurden aber die Dinge. Eines aber habe ich immer erlebt: Diskussionen sind stets vital. Scheitern, Fallen, Aufstehen, Weitermachen, das ist ein großer Wert - immer gepaart mit Optimismus und Risikobereitschaft. Es herrscht ein anderer Umgang mit Fehlern. Was mich abgekühlt hat: die überbordenden, selbst vom Präsidenten, dem angeblich mächtigsten Mann der Welt, nicht zu steuernden Geheimdienste - überfinanziert und unterkontrolliert.

In Washington werden alle ausspioniert

Wurden Sie auch ausgespäht?
Bestimmt, ausspioniert werden wir da alle.

Der "Bericht aus Berlin" wird wie anders, jetzt, da sie Ulrich Deppendorf ablösen?

Eine eingeführte Sendung ist wie eine gut möblierte Wohnung. Da gehen Sie auch nicht hin und werfen plötzlich alles raus. Ich werde behutsam ändern, mehr im Netz machen, da, wo es geht, auch mal aus dem Studio rausgehen, zudem aus der gewohnten Arithmetik von Stück-Gespräch-Stück ausbrechen.

Sie glauben noch an die Berichtspflicht am Sonntag um 18 Uhr 30?
Absolut.

Was ist denn Ihre Vorstellung vom ARD-Zuschauer?
Ich arbeite für die Zuschauer, die sich noch für Politik interessieren, und für jene, die wir vielleicht wieder dafür interessieren können. Das läuft nicht am Alter entlang. Und das heißt auch, nicht allein die Themen zu beackern, die gerade in Berlin aktuell sind, sondern Themen zu setzen, Lebensthemen. Jetzt aber gehe ich erst mal auf alle Parteitage, um alle und alles besser kennen zu lernen.

Das ARD-Informationsfernsehen bleibt so autoritativ wie eh und je.
Ich hasse Ansagen ex cathedra.

Nun werden Sie ja nicht nur journalistisch die Nummer 1 im ARD-Hauptstadtstudio, sondern auch Hierarchin in der Wilhelmstraße.
Das ist wie die Nationalmannschaft. Jeder Verein hat seine besten Spieler geschickt. Jetzt bekommen sie einen neuen Trainer, in meinem Falle eine Trainerin. Sie muss ein Team draus machen, Senderinteressen müssen hintenangestellt werden. Wir müssen als Mannschaft funktionieren.

Das Interview führte Joachim Huber.

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