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Medien: Ist das Völkerfreundschaft?

Berlin lässt „Big Brother“-Russen links liegen. Genug Essen dank Stripperin Natascha

Das Ambiente ist stark verdreckt, die Protagonisten ebenso. Vier Gestalten, zwei Jungerwachsene mit Drei-Tage-Bart, die weiblichen Pendants mit fingerdickem Lidstrich und waschreifen T-Shirts, gähnen in bunte Ikea-Bettwäsche im gleichen Zustand und öden sich gegenseitig an. Jeder Witz wurde schon mindestens dreimal belacht, nach fast neunzig Tagen und ebenso vielen Nächten Intensivhaltung versagt sogar der Fortpflanzungstrieb.

Was da abgeht, ist weder aufregend noch neu. Neu ist nur, dass der Moskauer Privatsender TNT das auch in Russland längst ausgelutschte Big-Brother-Format mit einem neuen Plot „aufsexen“ will.

Zwölf Mitspieler – sechs Frauen und sechs Männer im Alter von 20 bis 28 Jahren aus Moskau und der tiefsten Provinz – wurden dazu Anfang November ausgeflogen. Mit verbundenen Augen und einem ihnen unbekannten Ziel. Ohne Geld und Fremdsprachenkenntnisse. Ausgekippt wurden sie in einem Wohn-Container in Spandau, wo es alles gibt außer: Essen. Das müssen sie sich selbst beschaffen. Egal wie. Zweimal wöchentlich wählt die Gruppe dazu ein Mitglied, das zum Beutemachen losgeschickt wird.

Das hat damals dicke Schlagzeilen erzeugt, es schien, als würde Berlin von hungernden, bettelnden, ja stehlenden Russen unterwandert. Der Sender wurde nicht müde, die Erwartung auf entsprechende Fernsehbilder anzuheizen, natürlich unter Wahrung der Menschenwürde. Wochen und etliche Sendungen später sind noch vier Kandidaten im Rennen. Die restlichen haben die Zuschauer per Mausklick aus dem Container geworfen.

„Golod“ – „Hunger“ – heißt die Katastrophe, die sich inzwischen dreimal täglich für je eine Stunde mit weißen Buchstaben auf bonbonspuckefarbenem Hintergrund ankündigt. Fernsehen, das partout nicht erwachsen werden will, für eine Zielgruppe mit gleichen Entwicklungsstörungen. „Naschi v Berline“, „Die Unsrigen in Berlin“, heißt die erste Staffel, weitete europäische Großstädte sind als künftige Kriegsschauplätze für den Endsieg des Flachsinns bereits vorgemerkt.

Berlin kommt meist nur als Zwischenschnitt vor, wenn „Naschi“ auf der Hinterbank ihrer Luxuskarosse knutschen oder den Oberkörper bei sechzig Sachen aus dem Seitenfenster hängen lassen. Spätestens, wenn der Winter vorbei ist, dürfte das auch in Moskau der ultimative Kick für coole Kids sein.

Schoko-Pudding sowieso, den die WG-Mitglieder mehrmals täglich mit dem Suppenlöffel in sich schaufeln. Ksjuscha, die durch Zwangsentzug auf Model-Maße hoffte, kämpft daher noch immer mit Babyspeck im Gesicht und am Gesäß, und auch der Bauch von Freund Sascha Komow wölbt sich straff unter dem Kunstseiden-Pyjama, seitdem ein mitfühlender Ex-Volksgenosse das Zeug in Fünf-Kilo-Büchsen heranschaffte und dazu noch Bares springen ließ.

Und weil Natascha, die schon in den USA Hungerattacken als Stripperin erfolgreich bekämpfte, die Berufskleidung auch in den Koffer für Berlin einpackte, ist die Kriegskasse inzwischen so gut gefüllt, dass die Viererbande auf Kontakt mit Eingeborenen erst mal verzichten kann. Den empfanden alle als stressig. Auf Anhieb kapierte keiner, dass er in Berlin gelandet war und auch auf Deutschland kamen sie nicht beim ersten Ausflug. Zunächst glaubten sich die coolen Kids zunächst im gelobten Land – den USA. Kein Wunder, der Designer, der das Interieur der WG verbrochen hat, war entweder farbenblind oder manisch depressiv. Womöglich auch beides.

Der geografische Irrtum flog erst bei gezielten Annäherungsversuchen auf. Die scheiterten indes nicht nur am „Basic English“ der Russen, die erstaunt registrierten, dass auch viele „Fritzen" nur die eigene Muttersprache beherrschen. Für weiteren Frust sorgte, dass der gemeine Berliner offenbar weder Bettler noch Russen als Exoten wahrnimmt und einfach links liegen lässt.

Noch frustrierender waren das Angebot und die Präsentation der Waren. Kaufhäuser, wo der Kunde alles selbst begrapschen kann, sind sogar in Moskau noch eher selten. Dort steht hinter dem klassischen Ladentisch die klassische Verkäuferin, für die Minimierung von Schwund sorgen zudem unzählige Agenten privater Sicherheitsfirmen, an der martialischen Uniform sofort als solche zu erkennen. Den diskreten Mann in Zivil im ausgeguckten „Klauhof am Alex“ nahmen die Russen daher zunächst gar nicht für voll. Bis jemand die elektronische Überwachung auffiel, erörterte man daher bereits Details der Operation unter dem Decknamen. Selbiger war damals mit fünf Kartoffeln, einer Büchse Ananas und zwei Schokoriegeln bestückt, die zum Frühstück am nächsten Morgen in sechs Teile geschnitten wurden.

Rein oder nicht rein, war daher die Frage, als man wenig später Unter den Linden unverhofft die russische Botschaft entdeckte. Nach längerem Kriegsrat entschied sich das Kollektiv trotz akuten Bauchgrimmens dennoch gegen eine Schnorr-Mission in heimatlichen Gefilden. Moskaus Diplomaten, so die nicht ganz unberechtigte Befürchtung, könnten sich verarscht fühlen oder, was weit schlimmer wäre, sie nach Schönefeld eskortieren, wo zweimal täglich eine Aeroflot-Maschine Richtung Heimat abhebt.

Ausgeträumt wäre dann der Traum von den monatlich 1000 Dollar lebenslang für den, der in Spandau irgendwann das Licht ausmacht. Ein Moment, dem „das ganze große, weite Land mit Spannung entgegensieht". Behauptet der Sender auf der Website golodtnt.ru (nur russisch). In Wahrheit sendet TNT auf einer Hilfsfrequenz, die selbst in Moskau teilweise nur über Satellit zu empfangen ist. Und das ist auch gut so! Jedes Volk hat angeblich nicht nur die Regierung, sondern auch das Fernsehen, das es verdient. Doch mit „Hunger" sind die Russen dennoch entschieden zu hart gestraft.

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