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Hape Kerkeling moderiert "Menschen 2011".

© dapd

Jahresrückblick im ZDF: Fernsehkritik: "Menschen 2011" im Schweinsgalopp

Groteske Auftritte, Schicksalsbeschwörung: Nach 210 Minuten Jahresrückblick "Menschen 2011" im ZDF wissen wir, warum Hape Kerkeling nicht die Moderation von „Wetten, dass..?“ übernimmt.

Der ZDF-Zuschauer hat seine Gebühren bezahlt, freut sich über „Menschen 2011“, er ist ein treuer Fan des Moderators Hape Kerkeling und geht ab wie ein Zäpfchen. Der Fernsehkritiker aber sitzt da mit verknoteten Beinen und freut sich nicht. Er meint, vor allem anderen, dass der „ZDF-Jahresrückblick“ mit Kerkeling fehl besetzt ist.

Und das kommt so: Hape Kerkeling sagt von sich, „vor allem bin ich nicht ich“. Er ist ein Unterhaltungskünstler mit einem überbordenden Repertoire an Verwandlung, Verstellung, Verlarvung, Verfremdung. In diesen Rollen ist er tückisch freundlich, frech aufdringlich, entwaffnend respektlos. Er dient der Sache nicht, er bedient sich ihrer.

Bei „Menschen 2011“ macht Kerkeling auf einen entfesselten Günther Jauch. Anders als der Notar des Memo-Fernsehens bei RTL lässt der Moderator im Zweiten jede Distanz missen: Wer sich freut, mit dem freut sich HP doppelt, wer gelitten hat, mit dem leidet HP dreifach. Ist das richtig so, dass der Gefühlssympathisant mit überlebenden Deutschen des Tsunami in Japan auf der Stelle glücklich wird, mit den Eltern des ermordeten Mirco ad hoc traurig? Ist denn das Jahr 2011 nur in der höchsten Emotionsstufe verwertbar? Wenn der Satz stimmt, dass es im falschen Leben kein wahres gibt, dann gibt es im verfälschenden Fernsehen nur noch Spurenelemente vom echten Leben. „Menschen 2011“ ist nicht echt.

Es gab die Eurokrise, das Aufkommen der Piratenpartei, den  Wutbürger oder die Griechenland-Pleite – nichts aber von den politischen oder wirtschaftlichen Ereignissen findet sich beim ZDF-Jahresrückblick. Gut, Freiherr zu Guttenberg wird ein weiteres Mal von „heute-show“-Zampano Oliver Welke verhauen, hier wie anderswo setzt das Zweite auf leichte, billige Siege. Wäre doch unschicklich, wenn sich der Moderator im engst sitzenden Anzug beim (unterdrückten) Thema der Neonazi-Terroristen zwei Finger quer unter die Nase legte, oder?

In dem Resümee zum auslaufenden Jahr, das das ZDF seinem Moderator Kerkeling vorzutragen beauftragt hat, muss alles schwarz und weiß, begreifbar, nachvollziehbar sein. Die Welt schnurrt zusammen, wo sie bis zu den „heute“-Nachrichten noch vielfältig und komplex war. Am Ende der dreieinhalbstündigen Jahresshow weiß der Zuschauer nix von der Welt in ihren Zeitläuften, er weiß aber, wie das ZDF inklusive Hape Kerkeling die Welt sieht - ein Schweinsgalopp des Glücks und der Schicksale. Es bleibt ein Rätsel, warum die Macher dem Publikum nicht selber zutrauen, wie Ereignisse, wie Menschen zu verstehen sind. Diese Aufdringlichkeit grenzt an Nötigung.

Kerkeling als Moderatoren-Darsteller

Wenige Gäste nur wollen sich der Inszenierung, die es weder bei der Musik noch bei den Einspielfilmen noch bei den Einstellungen an Schmackes und Schmonzes fehlen lässt, entziehen. Da ist Samuel Koch, den das Fernsehen, das ZDF, zu einem der wieder und wieder beschworenen Schicksale gemacht hat. Koch ist seit seinem Unfall bei „Wetten,dass..?“ querschnittsgelähmt. Wenn Kerkeling sich mit dem Satz „Das ganze Land hat Anteil genommen...“ nachgerade ranschmeißt, dann sagt Koch mit dünner Stimme: „Ich kann mich mit meinem Körper noch nicht identifizieren“. Es gibt die Momente, die wie der Blitz in dieses falsche, weil Lasst-uns alle-einen-Baum-umarmen-Fest fahren. Joachim „Blacky“ Fuchsberger ist auch so einer: Der 84-jährige Schauspieler und Moderator lässt sich von Kerkeling nicht bedrängen, er will nicht die Rolle aus Opfer (der Sohn starb 2011) und ewigem Star aus Film, Funk und Fernsehen aufgezwängt bekommen, er ist souverän. Da ist der Moderator mal stille und hört zu.

Die grotesken Auftritte überwiegen. Boris Becker, die 44-jährige Tennis-Legende, kommt mit aktueller Ehefrau Lilly und Sohn Noah aus erster Ehe. Das reicht dann zum Etikett „Patchwork-Familie des Jahres“. Zum Schreien. Da passt es, dass die Neuauflage von Hape Kerkeling als Königin Beatrix nichts von dem anarchischen Charme von April 1991 hat, als er mit Hut, Käsebrot und Standarte bis ins Schloss Bellevue kam. Jetzt kommt er nur bis Ladenburg, ins Restaurant der Schellenbergers, die das schwedische Königspaar nicht erkannten. Die Beatrix-Nummer ist fade, weil die neue, falsche Königin als Frau-Antje-Parodie daherkommt.

„Menschen 2011“ zeigt einen Hape Kerkeling in einer Rolle, die nicht die seine ist. Er ist eben nicht der beste Moderator, er wäre nur der beste Darsteller für einen Moderator. Markus Lanz, der hätte gepasst. Dessen ZDF-Talkshow ist quasi ein permanenter Jahresrückblick, aufgesplittet in rund 150 Sendungen. Lanz hat einfach das bessere Gespür für Anteilnahme, Dankbarkeit und Abstand. 

Nach 210 Minuten Jahresrückblick wissen wir auch, warum Hape Kerkeling nicht die Moderation von „Wetten, dass..?“ übernimmt. Weil er Recht hat. Und weil er Recht hat, hätte er auch den „Jahresrückblick“ nicht übernehmen dürfen. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte vom Fernsehkritiker mit den verknoteten Beinen.

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