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Medien: Jeder ist ein Journalist

Die Medienwoche diskutiert in Berlin über Sinn und Nutzen der Blogosphäre

Was haben die Terroranschläge in London, das Begräbnis von Johannes Paul II. und die Tsunami-Katastrophe gemeinsam? In allen Fällen waren es nicht die Journalisten, die zuerst vom Ort des Geschehens berichteten; Betroffene machten Bilder mit ihren Handys, Anwohner schrieben ihre Erlebnisse in interaktive Weblogs (Blogs) – und die Medien weltweit zeigten und zitierten es.

Berlin, Olympiastadion. Beim Medienforum, der Auftaktkonferenz zur Medienwoche Berlin/Brandenburg, diskutierten gestern Journalisten über Zustand und Zukunft ihres Berufsstandes. Hauptthema gleich mehrerer Diskussionsrunden: die Blogosphäre.

Für den Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger sind es drei Trends, die die Medienlandschaft zurzeit grundlegend verändern: Die steigende Zahl der Informationszugänge, die flexibleren Möglichkeiten der Kommunikation und die Technik, die Schreiber aus Fleisch und Blut ersetzt – Stichwort Google–News. Auf die Frage, ob der professionelle, redaktionell betriebene Journalismus überflüssig wird, wollte der Wissenschaftler keine abschließende Antwort geben. Zwar sei die Kritik an den neuen Amateurredakteuren oftmals gerechtfertigt. So habe er im offenen Weblexikon Wikipedia allein unter dem Stichwort „Medienkompetenz“ zehn Fehler gezählt. Der neue Papst? Nach nur einer Minute habe der Name bei CNN.com gestanden, Google-Nachrichten hätten 50 Minuten gebraucht. Dennoch rief Neuberger die anwesenden Journalisten dazu auf, die Blogger ernst zu nehmen: „Das ist erst der Anfang.“ Vielfalt und Transparenz würden zunehmen, und was das für die Treue der Konsumenten zu klassischen Medien wie Zeitung oder Fernsehsender bedeute, sei überhaupt noch nicht absehbar.

Der Meinung war auch Nick Wrenn. Der Managing Editor von CNN International in London forderte die Branchenvertreter in seinem Vortrag auf, „Bürgerjournalisten“ zu akzeptieren. Diese seien „Alliierte, keine Gegner“. Web-Seiten, welche etwa Privataufnahmen von Ereignissen wie der Bestattung von Johannes Paul II. abbilden, bezeichnet der Brite gar als „neue Nachrichtenagenturen“. Mehrere Teilnehmer gingen davon aus, dass Weblogger und Handyfilmer weniger eine Gefahr als ein Mittel zur Qualitätssicherung in der Medienlandschaft darstellen. „Der Druck wächst“, sagte Michael Maier von der Netzeitung. Angesichts der Blogosphäre könne es sich kein professioneller Journalist leisten, „bloß dpa-Schnippsel“ zusammenzustellen. Die Forderung der Nutzer nach anspruchsvollen Hintergrundberichten und Analysen nehme zu. Dem stimmte auch Mathias Müller von Blumencron zu. Der Chefredakteur von „Spiegel online“ vertrat die Meinung, dass die Einordnung und Erklärung von Nachrichten wichtiger sei denn je. „Spiegel.de“, das nach Blumencrons Worten in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben werde, sei mittlerweile eine echte Konkurrenz zu den Tageszeitungen.

Antonia Rados sagte im Rahmen einer Diskussion über „Global News“, dass Journalisten viele Ereignisse für enorm wichtig hielten, welche sich historisch eher als irrelevant erweisen würden. Als Beispiel nannte sie den Tod von Prinzessin Diana. Die TV-Journalistin, die für ihre Berichterstattung im Irak zahlreiche Preise erhielt, plädierte generell für weniger „emotionalisierte“ Nachrichten.

In der Diskussion stritten die Teilnehmer bereits zu Beginn über den Begriff „global“. Teilweise heftige Kritik musste Aktham Suliman einstecken. Der Berliner Korrespondent und Büroleiter von Al Dschasira wies mehrfach darauf hin, dass das Fernsehpublikum anders als die Medienhäuser keineswegs globalisiert sei: „Wo sind denn die großen Anstalten aus Indien, Mosambik und Mexiko?“ „Ich arbeite lieber für einen Sender, der Geld verdient, als für Al Dschasira“, sagte Sat-1-Chef Roger Schawinski. Wenn es nicht darum gehe, Geld zu verdienen, müsse es um etwas anderes gehen, etwa politische Motivation. Der Al-Dschasira-Mann entgegnete, dass Journalisten in gewisser Weise immer das Sprachrohr derer seien, über die sie berichten.

Felix Serrao

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