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Medien: Jenseits der Gürtellinie

Pro 7 setzt den Gerichtsshows ein neues Format entgegen: die Gynäkologie-Show „Dr. Verena Breitenbach“

Von Antje Kraschinski

Pro 7s Neue am Nachtmittag hat einen Doktortitel. Sie hat in Ulm, Baltimore, London und der Schweiz studiert: Frauenheilkunde. Doch ob mit Dr. Verena Breitenbach das Niveau der Nachmittags-Talks steigt, ist zweifelhaft.

Zumindest wenn man die Themenliste ihrer ersten Sendung liest: „Allergisch auf Mutters Schoßhund“, „Letzter Ausweg: Abtreibung" und „Ich will mein Jungfernhäutchen wieder haben.“ Dr. Verena Breitenbach führt nämlich durch eine Gynäkologie-Show; sie läuft von heute an immer werktags um 16 Uhr auf Pro 7.

Die Pro 7-Pressemappe verspricht eine „Sprechstunde“, in der „medizinische Probleme verbunden mit emotionalen Konflikten" behandelt werden, und das „ganz ohne kompliziertes Ärzte-Latein". Die deutschen Medienkritiker dagegen befürchten eine neue Dimension des Schmuddeltalks. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb von „Vagina Monologen“, der „Spiegel“ von „Unterleibsvisionen der neuen Art".

Breitenbach selbst, die im Hauptberuf eine Praxis bei Ulm hat, sieht sich als Aufklärerin. „Das Thema Sexualität ist immer noch heikel“, sagt sie. „Neben den sexuellen Dingen wie Verhütung und Orgasmus ist es vielen Menschen peinlich, über Erkrankungen im Intimbereich zu sprechen." In ihrer Sendung will sie denen helfen, die sich in keine Arztpraxis reintrauen.

Vor allem aber hilft sie dem Sender Pro 7, der am Nachmittag weit hinter der Konkurrenz zurückliegt. Die nervige Sonya Kraus mit ihrer Musikvideoclip-Sendung dümpelte zuletzt zwischen 5 und 7 Prozent Marktanteil. Da ist selbst der ARD-Pfarrer Fliege mit einer Durchschnittsquote von 10 Prozent beliebter. Das Rennen machen aber zurzeit die Gerichtsshows: Bis zu 30 Prozent Marktanteil erreicht Sat 1 mit seiner Richterin Barbara Salesch an machen Tagen, Kollege Holt hat sich bei 20 Prozent eingependelt.

Pro 7 hat jetzt einen Ort für seine Zuschauer geöffnet, in den man sonst nicht reinschauen kann: die Frauenarzt-Praxis.

Eine Praxis allerdings, in der kein gynäkologischer Stuhl steht und auch keine Brüste abgetastet werden – die Show soll nämlich keine Voyeure bedienen, sondern ein Ratgeber für junge Frauen sein, die, wie die Fernsehforschung zeigt, am Nachmittag in großer Zahl auf Deutschlands Fernsehsesseln sitzen. Und so sollen strenge Regeln die Sendung vor dem Abrutschen in die Schmuddelecke schützen. Es wird auch keine echten Patienten geben – das wäre allein schon rechtlich bedenklich. Die Patienten sind Schauspieler. Auch aussichtslose oder chronische Erkrankungen will der Sender vermeiden.

Der Sender Pro 7 nennt das Format „Personal-Help- Show“. In den USA läuft es seit Jahrzehnten als erfolgreicher Radiotalk, Pro 7 bringt es jetzt auf Fernsehniveau. Den Titel „Personal Help Show" hat man sich bereits schützen lassen, offenbar hat man einiges damit vor. Welcher vermeintliche Tabubruch wird wohl als nächstes begangen?

Verena Breitenbach will nicht gelten lassen, dass ihre Show Tabus breche oder auf voyeuristische Bedürfnisse abziele. „Auch die ,Tagesschau’ ist voyeuristisch und von den Bildern her oft weit schlimmer“, sagt sie. „Wir vermeiden den voyeuristischen Unterhaltungswert und setzen auf Amüsement auf einer anderen Ebene.“ Sie will sich nicht einfach als Dr. Sommer des Fernsehens abstempeln lassen, sie meint es mit ihrer Sendung ernst: „Ich will Anstöße geben, zum Arzt oder zur Selbsthilfegruppe zu gehen.“ Viele Menschen, sagt sie, würden Vorsorgeuntersuchungen ignorieren, sogar Symptome verdrängen.

Und wer nicht am Nachmittag von Ausschlägen und Jungfernhäutchen belästigt werden möchte, kann ja ZDF gucken. Dort werden vom kommenden Jahr an um 16 Uhr Natur- und Tierfilme gezeigt. Garantiert nicht ansteckend.

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