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Johannes Unger, RBB: "Mir war die Kaffeekrise kein Begriff“

Das Projekt "60 x Deutschland" über das Leben in Ost und West ist eine Art Familienzusammenführung.

Herr Unger, "60 x Deutschland", was soll uns das sagen?

Es geht um die gemeinsame Erinnerung und eine Perspektive auf Augenhöhe. Das Entscheidende ist der Ost-West- Blick. Stellen Sie sich zwei Fotoalben vor, ein Album Ost, ein Album West - die Geschichte zweier verwandter, aber einander fremd gewordener Familien. Wir haben nichts anderes getan, als diese Familiengeschichten zusammen zu führen. Wir laden dazu ein, sich mit der deutsch-deutschen Geschichte zu beschäftigen. Dabei kann es nicht um die absolute Wahrheit gehen. Dafür ist das Fernsehen nicht geeignet.

Sie planen nichts weniger als einen Generalangriff auf alle Deutschen.

Als Angriff würde ich es nicht bezeichnen, ich hoffe jedenfalls, dass die Zuschauer es nicht so auffassen. Wir laden dazu ein, sich gemeinsam zu erinnern. Andere Medien reden immer nur von 60 Jahren Bundesrepublik. Wir dagegen haben ganz Deutschland - West und Ost - im Blick.

Fernsehen braucht Bilder. Aber da das Fernsehen der DDR unter Staatsaufsicht stand, liegt der Verdacht nahe, dass die Bilder aus der DDR eine, sagen wir es zurückhaltend, eingeschränkte Sicht der Dinge transportieren.

Es gibt tatsächlich eine unterschiedliche Materiallage West und Ost. Das haben wir in der Tat ein wenig unterschätzt. Bis in die sechziger Jahre haben wir es vor allem mit den Bildern der Wochenschauen West und Ost zu tun. Beide waren politisch und propagandistisch aufgeladen. Aber dann ging die Schere doch sehr schnell sehr weit auseinander. Die westdeutschen Archive liefern dann eine unglaubliche Vielfalt freier Berichterstattung, aus der DDR haben wir viel politisch gelenkte Propaganda. Alltag und Lebensgefühl in der DDR spiegelt dieses Material nicht immer gut wieder.

Ein ganzes Jahr dauert bei Ihnen 15 Minuten. Ist das nicht viel zu wenig?

Das sehe ich nicht als Problem. Verdichten und Kürzen ist unsere journalistische Aufgabe. Natürlich ist es eine große Verantwortung zu entscheiden, was wir zeigen und was nicht. Aber unsere Chronik ist keine neutrale Chronik. Es ist unser journalistischer Blick auf die deutsche Geschichte.

Kommen Ost und West ausgeglichen zu Wort?

Die Macher der Beiträge kommen kunterbunt gemischt aus Ost und West. Da gibt es ganz unterschiedliche Erinnerungen, die wir ständig ausgetauscht haben. Mir zum Beispiel war die Kaffeekrise in der DDR des Jahres 1977 kein Begriff.

Wieviel Guido Knopp steckt in den 60 Folgen?

Wir haben Guido Knopp viel zu verdanken, weil er das Geschichtsfernsehen für breite Schichten populär gemacht hat. Wir haben allerdings viel journalistischer gearbeitet, das heißt, wir haben weniger auf blanke Dramaturgie, Personalisierung und Emotion gesetzt.

Keine nachgestellten Szenen?

Nicht eine einzige. Wir haben ausschließlich authentisches Material verwendet.

Haben Sie bei der Produktion von "60 x Deutschland" etwas dazugelernt?

Mir ist schmerzhaft klar geworden, wie sehr die Westdeutschen den Osten schon vergessen oder wenigstens ausgeblendet hatten. Die Ostdeutschen dagegen waren immer auf die Westdeutschen ausgerichtet. Für die Westdeutschen war die DDR sehr, sehr weit weg. Unsere Chronik macht die Entfernung deutlich, sie zeigt aber auch, wie überraschend schnell die beiden deutschen Staaten - trotz aller Probleme - dann zusammengewachsen sind.

Wie viel Unterhaltung steckt in der Chronik? Wird es lustig?

Natürlich gibt es auch viele lustige und unterhaltsame Momente, aber im Wesentlichen ist es eine politische Chronik. Wir haben im Verlauf der Produktion die unterhaltsamen Elemente aus Film, Musik und Kultur verstärkt. Die Schwierigkeit dabei sind die Fremdrechte an den Bildern. Sie glauben gar nicht, wie viele Rechte es in diesem Zusammenhang für ein multimediales Projekt zu beachten gibt.

Rechte kosten Geld. Wie teuer ist die Chronik?

Alles in allem hat die TV-Produktion "60 x Deutschland" gut 1,5 Millionen Euro gekostet. Der RBB hat einen Grundstock finanziert, dann ging das Klinkenputzen los, aber die Partner in der ARD und darüber hinaus waren sofort von der Idee überzeugt und haben mitgemacht.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt?

Auf die gesellschaftliche Relevanz. Mit anderen Worten auf das, was die Gesellschaft in jedem Jahr ganz besonders geprägt hat. Das kann der Nato-Doppelbeschluss sein oder eben die Krise wegen der Mangelware Kaffee. Das kann manchmal ein bisschen konstruiert wirken, ist dann aber so gewollt. "60 x Deutschland" ist eine Chronik und keine Analyse.

Haben Sie sich bemüht, ganz besondere, möglichst nie vorher gezeigte Bilder zu finden?

Eher im Gegenteil. Es ging uns nicht um investigative Bilderrecherche. Es sind die Ikonen dabei, also alle wichtigen Bilder. Viele Zuschauer werden einiges schon gesehen haben. Aber nicht alle haben schon alles gesehen - erst recht nicht die Westdeutschen vom Osten und umgekehrt. Wir wollen mit den Bildern zum Erinnern beitragen. Das geht mit bekannten Bildern am besten.

Uns kommt es so vor, als sei in Ihrer Chronik ein Jahr wie das andere.

Sie brauchen einen Erzählrhythmus. Die Zuschauer sollen sich an die Folgen gewöhnen. Es braucht ein Rezept, nach dem gekocht wird. Ich glaube, dass wir das Rezept gefunden haben.

Haben Sie keine Angst, dass Ihnen keiner zusieht? Sie senden spät am Abend und wiederholen mitten am Vormittag.

Ich hätte mir auch einen besseren Sendeplatz vorstellen können. Aber es war nun einmal nicht möglich. Aber das Schöne ist, dass wir nicht nur im Ersten Programm der ARD zu sehen sein werden, sondern auch in fast allen Dritten Programmen wie dem RBB-Fernsehen. Jeder, der "60 x Deutschland" sucht, wird es auch finden können - im Übrigen auch als große RBB-Hörfunkreihe. Und wir sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Wir werden jede Folge am Tag vor der Ausstrahlung ins Internet stellen.

Und der RBB ist endlich das, was er immer sein will: Hauptstadtsender mit Programm für ganz Deutschland.

Wir sind zwar in der Regel eher bescheiden, aber ich muss doch sagen, dass wir als Berlin-Brandenburger Sender in diesem zeitgeschichtlichen Themenbereich ARD-weit führend sind.

Das Inteview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

"60 x Deutschland", ARD, 2. März bis 22. Mai, jeweils montags bis freitags nach dem "Nachtmagazin"; die Wiederholungen laufen ab 3. März um 10 Uhr 03; im RBB-Fernsehen vom 3. März bis 3. Juni, sonntags 22 Uhr 15, montags bis donnerstags 22 Uhr 05; Die ebenfalls 15 Minuten langen Radiofeatures starten am 2. März; Antenne Brandenburg, montags bis freitags, 18 Uhr 10; Inforadio, montags bis freitags, 18 Uhr 45;

Die Internetseite www.60xDeutschland.de startet am 2. März.

Johannes Unger ist verantwortlich für

das Projekt

"60 x Deutschland" und leitet die Redaktion Dokumentation und Zeitgeschehen beim RBB-Fernsehen.

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