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Die Vorführung von „Kony 2012“ in Uganda endete im Tumult. Hier werde nicht die Wahrheit über die Situation der Bewohner der Region gesagt, ärgerten sich die Zuschauer.

© AFP

Joseph Kony: Über das Ziel hinaus

Die Kritik an „Kony 2012“ ebbt nicht ab. Nun erleidet der Regisseur des Internet-Films gegen den gesuchten Kriegsverbrecher einen Zusammenbruch. Ugandas Ministerpräsident lädt die Macher der Kampagne in sein Land ein.

Die Aufforderung erfolgte über Twitter: „Ich schätze euer Interesse und lade euch zu einem Besuch ein“, schrieb Ugandas Ministerpräsident Amama Mbabazi an die Organisation hinter „Kony 2012“, der wohl erfolgreichsten Internet- und Social-Media-Kampagne gegen einen international gesuchten Kriegsverbrecher. Inzwischen haben weit über 80 Millionen Menschen weltweit den 30-minütigen Internetfilm der amerikanischen Nichtregierungsorganisation „Invisible Children“ gesehen. Er zeigt die Gräueltaten von Joseph Kony, dem Anführer der sogenannten „Widerstandsarmee des Herren“ (LRA). Mit dem Video soll Kony so berühmt gemacht werden, dass er sich nirgends verstecken und bis Ende des Jahres gefasst werden kann. Doch nicht nur die Staatsführung in Uganda hat ihre Schwierigkeiten mit den Darstellungen und Behauptungen in dem sonst hoch professionellen Film. Auch über die Rolle von Facebook und Twitter wird kontrovers diskutiert.

Für Jason Russel, Mitgründer von „Invisible Children“ und Regisseur des Films, war die Kritik an dem Video und seiner Organisation in den zwei Wochen nach Veröffentlichung wohl zu viel. Jason wurde am Donnerstag von der Polizei in San Diego festgenommen und in eine Klinik eingewiesen, nachdem er nackt auf der Straße umhergerannt war und den Verkehr behindert hatte. Der Initiative spricht von einem bedauerlichen Vorfall und erklärte, Jason sei wegen „Erschöpfung, Dehydrierung und Unterernährung“ ins Krankenhaus gebracht worden.

In dem Film wird dem aus Uganda stammenden Kony vorgeworfen, Zehntausende von Kindern verschleppt zu haben, um die Jungen als Kindersoldaten und die Mädchen als Sexsklaven zu missbrauchen. Besonders die jungen Nutzer von Twitter und Facebook haben das Anliegen von „Invisible Children“ entsprechend aufgegriffen. Dabei hat die Realität den Film eingeholt. Kony befindet sich nicht mehr in Uganda. Die LRA agiert in Kongo, Zentralafrika und im Südsudan. „Kommt und schaut euch Uganda selbst an, ihr werdet einen sehr anderen Ort vorfinden, als den, den Invisible Children darstellt“, schreibt Mbabazi.

Eine öffentliche Aufführung des „Kony 2012“-Film in Uganda endete vor einigen Tagen mit einem Tumult. Die Zuschauer, unter denen sich auf Opfer von Konys sogenannter Widerstandsarmee befanden, seien wütend gewesen, weil in dem Film weiße Kinder in Amerika gezeigt wurden und nicht die Wahrheit über die Situation der Bewohner der Region gesagt werde. Auch die Spendenaufrufe für „Invisible Children“ und der Verkauf des „Action Kits“ für rund 30 Dollar wurde kritisiert. Nach Steinwürfen auf die Leinwand wurde die Vorführung abgebrochen.

Inzwischen wird aber auch die Kritik an der Art der Verbreitung des Films über Facebook und Twitter immer lauter. Christian Zainhofer, Mitglied im Bundesvorstand des Kinderschutzbundes, sagte dem Tagesspiegel, er sei nach dem 30-minütigen Film „völlig platt“ gewesen. So unkommentiert, wie der Film bei Youtube und über Facebook angeboten wird, sei „schwer verständlich, worum es geht“, sagt Zainhofer.

Der Leiter des Afrika-Referats der Hilfsorganisation Caritas, Christoph Klitsch-Ott, sieht den Film ebenfalls mit gemischten Gefühlen. Die Informationen zu Kony und den Kindersoldaten seien veraltet, zudem würden die Bilder weder in einen Zusammenhang gestellt, noch gebe es Hintergrundinformationen. Allerdings erzeuge das hochemotionale Video Aufmerksamkeit und Interesse für das Problem der Kindersoldaten, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Nun bleibe zu hoffen, dass sich die „Leute langfristig engagieren für Afrika, für das Problem der Kindersoldaten, für Gewaltkonflikte auf dieser Welt“.

Die Arbeit von „Invisible Children“ lässt sich nicht mit Institutionen wie dem Kinderschutzbund vergleichen. Dafür unterscheidet sich allein das Verbändesystem in den Vereinigten Staaten zu sehr von Einrichtungen in Deutschland, sagt Christian Zainhofer. Anders als hierzulande gebe es in den USA keine staatliche Unterstützung. Ein Merchandising wie mit dem „Action Kit“ für die weltweiten Aktionen gegen Kony am 20. April wäre für den Kinderschutzbund völlig undenkbar.

Der Kinderschutzbund selbst beschäftigt sich derzeit in einer Arbeitsgruppe mit den sozialen Medien. In diesem Zusammenhang würden auch Gespräche mit Facebook führt. Es sei falsch, dieses Netzwerk zu verteufeln, sagt Zainhofer. Dass sich Kinder und Jugendliche in den Netzwerken mit politischen Themen wie Acta oder der Situation in Afrika beschäftigen, sei sehr positiv. Allerdings müsse der Verstand der Kinder dahin geschärft werden, dass man nicht alles als bare Münze nimmt – eine Aufgabe auch für die Schulen. Im Fall des Kony-Films könnte sich Zainhofer überdies vorstellen, die Aussagen des Films um neutrale Informationen beispielsweise der Bundeszentrale für politische Bildung zu ergänzen.

Dazu wäre die Bundeszentrale inhaltlich sehr gut in der Lage. Speziell mit dem Thema Afrika beschäftigt sich die Einrichtung seit Jahren, auf der Internetseite www.bpb.de/afrika befinden sich auch verschiedene Dokumente über die Bürgerkriege auf dem Schwarzen Kontinent und speziell ein Konfliktporträt über Norduganda, erklärte Sprecher Daniel Kraft auf Anfrage. Auch auf Facebook ist die Bundeszentrale mit Verweisen zu aktuellen Themenschwerpunkten vertreten (www.facebook.com/bpb.de). Innerhalb der Einrichtung wird derzeit darüber diskutiert, wie man die Möglichkeiten von Social Media für den politischen Bildungsauftrag nutzen kann, ohne von den eigenen Grundsätzen abzuweichen. Ein Problem dabei ist der richtige Umgang mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. So wie vor Jahren über den Umgang mit dem Privatfernsehen diskutiert wurde, muss nun festgelegt werden, ob und in wieweit eine Zusammenarbeit mit Medienfirmen wie Facebook wünschenswert ist.

Für Christoph Neuberger vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist Facebook jedenfalls kein geeigneter Ort für den politischen Diskurs. Der Klick auf den „Gefällt mir“-Button erfordert so wenig Aufwand, dass davon kaum Schlüsse auf die „Gesinnungsstärke“ gezogen werden können, sagte er dem Tagesspiegel. Der Klick sei der virtuelle Button, den man früher an die Jacke gesteckt habe, oder wie der T-Shirt-Aufdruck und der Aufkleber auf der Stoßstange. Zwar könnten durch solche Bekenntnisse auch in der neuen Welt des Internets Freunde angeregt werden, sich Diskussionen anzuschließen. Wie weit die Überzeugung aber wirklich reicht, zeigen Beispiele wie beim Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg. Der ehemalige Bundesverteidigungsminister habe zwar viele Fans auf Facebook gehabt, von denen aber kaum jemand auf die Straße ging, als zu Demonstration aufgerufen wurde. Der 20. April wird zeigen, wie aktiv die „Kony 2012“-Sympathisanten wirklich sind.

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