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Medien: Journalistischer Fünfkampf

Deislers Depression und Dortmunds Defizit: Was Sportreporter alles wissen müssen

Der Oktober war auch für Sportjournalisten eine große sportliche Herausforderung. Er war ein Vielseitigkeitswettbewerb. An manchen Tagen mussten die Reporter arbeiten wie Kriminalisten, an anderen nach Tricks in einer Unternehmensbilanz suchen und dann wieder denken wie Ärzte. Der Oktober hat besonders deutlich gezeigt, wie sehr sich der Sport und der Sportjournalismus gewandelt haben, wie sehr der Sport hineinragt in andere gesellschaftliche Bereiche und dass es für die Reporter nicht mehr ausreicht, auf der Tribüne zu sitzen, Flanken und Tore zu beschreiben.

Es fing mit einer Hausdurchsuchung beim Leichtathletiktrainer Thomas Springstein an. Beamte der Staatsanwaltschaft fanden in seinem Kühlschrank Dopingsubstanzen, und Springstein ließ über seinen Anwalt erklären, er habe diese Substanzen selbst benutzt, um seinen Alterungsprozess aufzuhalten. Der Trainer steht unter dem Verdacht, Dopingsubstanzen an Minderjährige weitergegeben zu haben. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Er selbst bestreitet alle Vorwürfe.

Bei Springstein müssen Sportjournalisten viele Fragen beantworten. Etwa die, ob seine Aussage ernst zu nehmen ist, er habe die Substanzen selbst verwendet. Dazu müssen die Reporter wissen, welche Mittel bei ihm gefunden wurden und wie sie wirken. Im Grunde müssten sich Sportjournalisten ständig von Ärzten und Apothekern weiterbilden lassen, zumal regelmäßig neue Substanzen zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Bei Springstein geht es außerdem um Ethik. Was ist von einem Trainer zu halten, der minderjährige Mädchen das schnelle Laufen beibringen will, sich selbst aber mit Anabolika voll pumpt?

Der Oktober ging weiter mit einer Bilanzpressekonferenz des Fußball-Bundesligaklubs Borussia Dortmund. 119 Millionen Euro Schulden haben die Dortmunder inzwischen angehäuft. Doch was heißt das? Ist Dortmund zahlungsunfähig? Und was bedeutet die spontane Kapitalerhöhung der Dortmunder? Auf einmal wurden aus Sportjournalisten Unternehmensberichterstatter, es ging nicht mehr darum, die Tricks auf dem Rasen zu beschreiben, sondern die im Geschäftsbericht zu finden. Borussia Dortmund ist Fußballklub und Aktiengesellschaft. Das ist schon deshalb schwer auseinander zu halten, weil Gerd Niebaum Vereinspräsident und Geschäftsführer der Aktiengesellschaft zugleich ist.

Im Oktober haben sich Sportjournalisten auch wieder um verschiedene Dopingfälle von Athleten kümmern müssen. Medien wollen Geschichten erzählen von einfachen Menschen, die auf einmal Höchstleistungen bringen. Doping macht diese Geschichten wieder kaputt. Wohl auch deshalb spielt der Betrug in der Sportberichterstattung nur eine untergeordnete Rolle. Dabei müssten die Reporter inzwischen bei jedem Weltrekord an Betrug denken und sofort fragen, wie oft der erfolgreiche Sportler in der vergangenen Zeit kontrolliert wurde.

Dann kehrte Sebastian Deisler zurück in die Psychiatrie des Münchner Max-Planck-Instituts. Ein Rückfall des an Depression erkrankten Fußballprofis vom FC Bayern München? Hält sein Kopf die Beine vom Fußballspielen ab? Was ist überhaupt eine Depression? Über die Zusammenhänge zwischen seinem Beruf als Fußballprofi und seiner Krankheit ist seitdem viel berichtet worden.

Springstein, Dortmund und Deisler sind nur drei Ereignisse aus dem Oktober. Es kamen noch viele andere dazu. Der brasilianische Fußballprofi Serginho starb während eines Spiels. Wieso versagte sein Herz? Bosnien spielte gegen Serbien-Montenegro in der Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft, zwei Völker, die noch vor wenigen Jahren Krieg gegeneinander führten. Manchmal ist der Sport Betrug, manchmal Wirtschaft, manchmal Politik. Er hat sich in alle gesellschaftlichen Teilbereiche ausgebreitet. Der Sport ist dadurch auf jeden Fall interessanter geworden. Der Wettbewerb selbst spielt manchmal sogar nur eine Nebenrolle. Aber ist das schlimm?

Im Fußball stecke eine ganze Menge Welt, heißt es. Mit dem Sport lässt sich viel erklären. Und das Interesse am Sport und seinen Darstellern ist so gewachsen, dass das Wochenende gar nicht mehr ausreicht, um es zu befriedigen. Die Sportjournalisten, die nicht an der Verbreiterung und Vertiefung des Sports interessiert sind, flüchten in die flachen Gewässer des Boulevards. Für sie ist Springstein ein ostdeutscher Außenseiter, Dortmund ein Skandalklub und Deisler ein Psycho. Sportreporter sind lange belächelt worden als Fans, die es über die Absperrung geschafft haben. Zurzeit haben sie alle Möglichkeiten, ihre Kompetenz zu zeigen.

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