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Widerständig. Nach dem Bau der Berliner Mauer klebt Lotte Reinhardt (Anna Maria Mühe) heimlich Flugblätter. Foto: ZDF

© Oliver Vaccaro

Kaleidoskop der 60er: Der geteilte Himmel

Der ZDF-Zweiteiler „Deckname Luna“ handelt von Liebe und Spionage im Osten und Westen Deutschlands. Vier Stunden dauert der Film, er könnte länger dauern.

Eisig ist es in Sibirien, von wo ein deutscher Wissenschaftler, der für die Russen forschen musste, sich mithilfe des BND in die Bundesrepublik absetzt. Der Einstieg in das vierstündige Sechziger-JahreSpionage-Thriller-Drama „Deckname Luna“ könnte nicht treffender sein. Denn eisig ist Anfang der 60er Jahre auch das Klima zwischen Ost und West. Die Flucht des schon unter Hitler angesehenen Raketeningenieurs ruft die Staatssicherheit der DDR auf den Plan. „Wenn wir von hier aus Zugriff auf ihn hätten – über seine Enkelin Lotte…“, sinniert ein bürokratiemüder Genosse Major in Rostock – und träumt sich schon in eine höhere Verantwortung innerhalb des real existierenden Sozialismus. Von dem hat in Anbetracht des Mauerbaus vor allem die junge idealistische Heldin die Nase voll. Vorbei der Traum jener Lotte Reinhardt, ins russische Kosmonautenprogramm aufgenommen zu werden. Eine andere Aufgabe wartet auf sie: Nach der Flucht in den Westen bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihren geliebten Großvater auszuspionieren, um dem Zwillingsbruder die schlimmsten Qualen im Stasiknast zu ersparen.

Aus der leidenschaftlichen DDR-Abenteurerin wird eine Spionin mit Mikrofilm und Multifunktionslippenstift, eine 21-jährige Frau, die aus Liebe lügt, betrügt – und doch eine echte Heldin bleibt. Anna Maria Mühe besticht in ihrer ersten auf ein Massenpublikum abzielenden Primetime-Hauptrolle, bei der sie die ganze Last der Aufmerksamkeit tragen muss. Die anderen sind gut, aber sie liefern nur Ausschnitte der Wirklichkeit: Götz George als geheimnisumwitterter Überläufer, Heino Ferch als sanfter Stasimajor mit Stil, Andreas Schmidt als dessen Kollege Kleingeist, Stefanie Stappenbeck als Sixties-Schöne, die Selbstbestimmung mit Sexappeal versöhnt… Einige Charaktere funkeln, bedienen mehr als die üblichen Ost-West-Klischees, werden getrieben von Sehnsüchten, die mit der politischen Situation schwer zu vereinbaren sind. Mühes Lotte muss in all diesen Welten gleichermaßen zu Hause sein.

„Deckname Luna“ ist ein fulminantes, packendes Stück Fernsehen. Der Film spiegelt den politischen Wettlauf zwischen Ost und West anhand der Entwicklung der Raumfahrt. Gesellschaftlich waren die Sechziger keineswegs das hippe Jahrzehnt, als das sie heute gern gefeiert werden. Die Autoren Christian Jeltsch und Monika Peetz sowie die Regisseurin Ute Wieland lassen nur gelegentlich den Westen leuchten und den Rock and Roll tanzen. Denn mehr als Pop lag eine allgemeine Technikbegeisterung in der Luft, die in der Weltraumforschung ihren euphorischen Ausdruck fand. Bedeutsamer noch als das Thema ist für den Zweiteiler die Machart, die rasante Genremixtur aus Familiendrama, Spionagethriller und Politutopie. Durch die dynamische Dramaturgie und die perfekte Verzahnung der Handlungsstränge werden viele Geschichten parallel erzählt, doch es wird nie kompliziert. Wirkungsvoll werden Konflikte und Perspektiven hüben und drüben miteinander verknotet. Das geht umso leichter, da BND, Stasi und KGB sich in ihren perfiden Methoden kaum unterscheiden.

Zeigte die ARD in „Blutadler“, dass cooles, amerikanisches Thrillererzählen auch hierzulande möglich ist, führt das ZDF den Beweis, dass historisches Fernsehen nicht nur Geschichte(n) erzählt, sondern auch eine filmische Verantwortung besitzt: Zeitgeschichte sollte unterhaltend sein und die jüngeren Zuschauer nicht kaltlassen. Großartig, wie Regisseurin Wieland den Look, den Sound, die Genrerituale der Sixties lustvoll herbeizitiert. „Deckname Luna“ ist keiner jener Filme, die zwei Teile haben, weil sie sich mit nur einem Teil schwer finanzieren lassen. Dieser Film braucht vier Stunden. Und man könnte Mühe, George und Co. auch noch länger zusehen. Rainer Tittelbach

„Deckname Luna“, Montag und Donnerstag, ZDF, 20 Uhr 15

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