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Medien: Kammerspiel der Angst

ARD-Film der Woche: Zehn Jahre später kehrt ein Kindsmörder zurück

Wie stark ist die Wiederholung als Prinzip, Zeitmaß und Erwartung in unserem Leben? Fallweise hat sie etwas Zwingendes. Wie zerstörerisch der Wiederholungszwang auftreten kann, und sei es nur als Erwartung, das zeigt dieser düstere Psychokrimi mit bedrückender Konsequenz. Der fröhliche Auftakt – ein Mädchen spielt Tennis, läuft durch ein Maisfeld – ist nur die Kontrastfarbe für den Schrecken, der sogleich folgt. Plötzlich liegt sie am Boden, die blonde Paula, und kämpft mit ihrem Vergewaltiger, ihrem Mörder.

Schnitt. Zehn Jahre später. Der Zuschauer orientiert sich. Es sind die Eltern des Opfers, die ihm jetzt vorgestellt werden, die Eheleute Walter (Inka Friedrich und Jörg Schüttauf). Sie sind weggezogen aus dem Ort, an dem die Tat geschah. Sie haben wieder eine Tochter, Lilly ist im Grundschulalter. Die Familie lebt in einem Dorf, hier ist es ruhig und anheimelnd. Hier können Menschen von einem tiefen Schock genesen. Und dann geschieht es, dass der Mörder (Volker Bruch) – er war Paulas Tennislehrer, die Eltern kannten ihn – im Dorf gesehen wird. Er hat seine Strafe abgesessen, er ist wieder frei. Und es zieht ihn – nein, nicht unbedingt an den Ort des Verbrechens, aber in den sozialen Umkreis, aus dem heraus es geschah. Er tritt Vater Walter in den Weg. Der weiß erst nicht, wen er vor sich hat und fragt, ob er helfen könne. Dann erkennt er den jungen Mann – Stahmann heißt er – und bricht wortlos zusammen. Fällt um, wie ein abgesägter Baum. Eine starke Szene, die mit knappen Mitteln klarmacht: Nichts ist vergessen. Weder Tat, noch Täter, noch die Qualen des Verlusts.

Es beginnt die Thriller-Partie des Films. Der Mörder geht wieder um. Was will er? Töten? Diesmal Lilly? Verzweifelt versuchen die Wagners, ihr Kind zu schützen. Sie verbarrikadieren sich in ihrem Haus, verbieten der Kleinen, es unbegleitet zu verlassen, verfluchen die Polizei, die nichts tun kann. Solange Stahmann den Wagners nicht droht, kann sie ihn nicht mal per Bannmeile von deren Haus fernhalten. Ein alter Bulle namens Bösche (Peter Franke), der kurz vor der Pensionierung steht, schiebt Wache und spendet eine Illusion von Kontrolle. Die Drohung, die in der Luft liegt, ist schwer zu ertragen. Muss der nächste Mord geschehen? Stehen Familientragödien unter dem Gesetz des Wiederholungszwangs? Irgendwann erwischt der Unhold das Kind. Als Lilly zurückkehrt, weint sie. Was hat der Kerl ihr angetan? Die Wahrheit. Das Mädchen weiß jetzt, dass es eine Schwester hatte. Der unselig aufgebrachte Vater Walter Wagner, großartig gespielt von Jörg Schüttauf, sieht rot, überwirft sich mit jedem, der ihm helfen will, fast sogar mit seiner Frau, und besorgt sich schließlich eine Waffe.

Die atmosphärisch starke Kamera von Eeva Fleig inszeniert das Dorfidyll als Schauplatz des Schreckens; man hat das lange nicht mehr gesehen, eine blühende Wiese, ein weiter Horizont, ein Sonnenuntergang – Einblicke, die den Zuschauer erschaudern lassen. Die Regie von Nils Willbrandt setzt ganz auf das Kammerspiel der Ängste: des traumatisierten Elternpaares vor dem Zerstörer seines Friedens, des psychisch kranken Täters vor der Welt und sich selbst. Dieser verlorene Junge hat nicht ganz unrecht, wenn er feststellt: „Ihr seid nicht besser als ich.“ Er richtet diese Worte an die Dorf-Gang, die den Außenseiter per Selbstjustiz fertig machen will. Aber sie passen am Ende sogar auf den Vater. Der kann sich nichts anderes denken als die Wiederkehr der bösen Geister – in ihm selbst und „draußen“, in der Gestalt Stahmanns – vor denen er seit einem Jahrzehnt auf der Flucht ist.

Dabei will der Mörder den Wiederholungszwang durchbrechen. Seine Rückkehr hat einen unvermuteten Grund: Er sucht Vergebung.

„Nichts ist vergessen“, 20 Uhr 15, ARD

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