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Medien: Keine Scherzgrenze

Erfolgreich als Borat, Ali G und Brüno: Der Komiker Sacha B. Cohen verunsichert mit derbem Humor

Es passiert nicht oft, dass Stefan Raab jemanden trifft, dessen humoristische Schmerzgrenze unterhalb seiner eigenen liegt. Der Gast, der kürzlich bei „TV total“ mit erigiertem Daumen die Showtreppe hinabgestakst kam, dürfte der erste gewesen sein, der es geschafft hat, den Pro-Sieben-Moderator aus dem Takt zu bringen. „Ich hoffe, Sie haben nicht alles verstanden“, stammelte ein sichtlich irritierter Raab in die Kamera. An die Regie gerichtet: „Müssen wir so was piepen?“

Der Gast hieß Borat Sagdiyev. Nach seiner Begrüßung – er küsste Raab auf den Schritt („weil du ein Mann von Ehre bist“) – übergab der schlaksige Schnurrbartträger, nach eigenen Angaben kasachischer Fernsehjournalist, sein Gastgeschenk: einen schwarzen Klumpen, eingeschweißt in Plastik. „Schamhaare aus Kasachstan“, erklärte Sagdiyev in gebrochenem Englisch, „Jahrgang 1979, gut für Töpfe putzen“. Vor seiner Fernsehkarriere sei er „Zigeunerfänger“ und „Eismacher“ gewesen, gegen Geld habe er auch Tieren eine „sexy Zeit“ verschafft. Zum Schluss, bevor ihn das Studiopublikum mit tosendem Applaus verabschiedete, lud Sagdiyev Raab nach Kasachstan ein. Dort könne sich der Moderator mit seiner Schwester vergnügen. Das ist starker Tobak, selbst für Pro Sieben. Und am 2. November geht es weiter. Dann kommt „Borat“ in die deutschen Kinos. Die Geschichte: Der kasachische Fernsehreporter Borat Sagdiyev wird von seiner Regierung in die USA geschickt, um eine Dokumentation über „das großartigste Land der Welt“ zu drehen. Dort angekommen, geht es bald nur noch darum, Pamela Anderson zu finden und zu heiraten.

Borat, das ist zu allererst mal ein bekanntes Klischee. Satirisch sehr weit auf die Spitze getrieben, sicher. Aber in das Bild, welches sich die westliche Welt inoffiziell von fernen Schwellenländern macht, passt dieser Bursche perfekt: schlecht angezogen, ungehobelt, konsumgeil und potenziell gefährlich. Borats politische Weltsicht irrlichtert zwischen Stalinnostalgie und dumpfem Antisemitismus. „Schmeißt den Juden in den Brunnen!“, sang er bei einem Auftritt in den USA. Ein Sprecher des kasachischen Außenministeriums bezeichnete Borats Verhalten 2005 als „unvereinbar mit der Ethik und dem zivilisierten Auftreten der Menschen Kasachstans“. Borats Antwort: Stimmt, Kasachstan sei tatsächlich im Kreis der zivilisierten Länder angekommen. Seit 2003 dürften Frauen auch innerhalb von Bussen mitreisen, und Homosexuelle müssten keine blauen Mützen mehr tragen.

Was Borats Antisemitismus angeht, muss man wissen, dass Sacha Baron Cohen, der Mann, der hinter Herrn Sagdiyev steckt, selbst Jude ist (der darf das, würde Maxim Biller sagen). Und was den Protest der kasachischen Regierung angeht, nun, der ist schlichtweg weltfremd. Borat ist eine Fantasiefigur, stupid. Der Brite Cohen zählt zu Hause und in den USA seit Jahren zu den meistgefeierten Komödianten. „Es kann gut sein, dass ich so heftig lachen musste wie NIE zuvor“, schreibt ein Fan auf der Seite der Internet Movie Database über eine „Borat“-Testvorführung. Der 35-jährige Cohen ist nicht nur jünger und frischer als andere TV-Humoristen. Als Cambridgeabsolvent ist er Metzgermeistern wie Stefan Raab auch intellektuell haushoch überlegen. Während der Deutsche mit zehn Fingern auf eine Bananenschalenpointe zeigt und sich schon vorher selbst kaputtlacht, bleibt Cohen alias Borat in bester „Monty Python“-Manier seiner Rolle treu. Das gleiche gilt für seine Figur des flamboyanten Brüno. Der schwule Modejournalist hört sich das dadaistische Gewäsch bekannter Designer nicht nur seelenruhig an, sondern schafft es mit seinen Fragen, dass einer von ihnen erst die Leichtigkeit seiner Kollektion betont, nur um zehn Minuten später über die „neue Schwere“ zu schwadronieren.

Cohens bekanntestes Alter Ego ist allerdings Ali G, ein grenzdebiler, aber eigentlich herzensguter Möchtegerngangster, dessen Wortschatz aus wenig mehr als „Booyakasha“, „Wesside“ und „Muschi“ besteht. Ali G hat die MTV Music Awards moderiert. Ali G war Chauffeur in Madonnas „Music“-Video. Und fast kein Prominenter – es waren viele – war zu Gast in „Da Ali G Show“ auf Channel 4, ohne sich lächerlich zu machen; mal aus Arroganz, mal aus Anbiederung, meist aus blanker Unsicherheit. „Das kann der doch nicht ernst meinen“, steht dann in den Gesichtern geschrieben. Doch Ali, Brüno und Borat zwinkern nicht.

Ein perfektes Beispiel dafür, wie Cohen es schafft, die Schwächen seiner Adressaten bloßzulegen, bot er am 9. Juni 2004. Die Harvard Universität hatte Ali G als Redner zur Abschlussfeier geladen. Eine große Ehre, bei der es traditionell darum geht, den edelsten aller Ostküstenabsolventen Honig um den Bartflaum zu schmieren. „Ihr Typen seid die Zukunft“, rief der Gast im breitesten Einwandererenglisch. „Ihr habt echt die Chance, das Leben der Armen zu ändern – oder ihr geht an die Wall Street und verdient Millionen, holt euch Plasmabildschirme, Chinchilla-Mäntel und jede Menge Beziehungen mit geldgeilen Schlampen, die euch die ekligsten sexuellen Wünsche erfüllen für ein bisschen Kohle.“ Pause. „Leute, verschwendet nicht die Möglichkeit, die Gott euch gegeben hat.“ Wieder Pause. „Wir sehen uns an der Wall Street!“

Und wir sehen uns im Kino.

Der Komiker im Internet:

www.borat.tv

Marc Felix Serrao

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