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Kolumne: Narziss als Goldfund

Unsere Kolumnistin simuliert das neue Facebook und merkt: Irgendetwas stimmt hier nicht.

Von Anna Sauerbrey

Hallo. Mein Name ist Anna. Ich bin 38 Jahre alt, wohne in Berlin und mein Beziehungsstatus ist geschieden. Dass meine Ehe kaputt ist, liegt vielleicht daran, dass ich diese fürchterliche Kränkung nie überwunden habe, als mich im Alter von acht Jahren ein Shetlandpony in einem Freizeitpark bei Hünxe mal vor meiner ganzen Schulklasse abgeworfen hat. Seitdem traue ich niemandem mehr, außer natürlich Facebook. Klicken Sie HIER, um das Super-Acht-Video zu starten, das mein Vater damals von der Pony-Peinlichkeit gedreht hat und das ich mit einem Spezialscanner digitalisiert habe, um es HIER einzustellen. HIER, bei „Timeline“, Facebooks jüngster Innovation, einem neuen Super-Datenstaubsauger. Hier kann man noch detaillierter und in noch größerer medialer Vielfalt über sein Leben berichten als bisher und das teste ich jetzt mal.

Facebook will, dass wir bald alle unsere Profile wie ein Tagebuch nutzen und viele interessante Dinge über unsere Vergangenheit einstellen, die Facebook ja leider nicht kennt, weil es erst in unsere Leben kam, als wir alle schon erwachsen waren. Da ich Facebooks narzisstischem Menschenbild voll und ganz entspreche – sonst würde ich diese Kolumne ja wohl auch nicht in der Ich-Form schreiben – mache ich das natürlich gerne und füttere damit bereitwillig ein amerikanisches Großunternehmen, das im Clinch mit sämtlichen deutschen Datenschutzschützern liegt und dem an seinem Hauptsitz in Dublin bald eine formale Untersuchung durch den irischen Datenschutzbeauftragten ins Haus steht, wegen 16 Anzeigen.

Hey, wenn Sie einer von diesen Typen aus dem Direktmarketing dieses Pharmaherstellers sind, der nach neuer Kundschaft sucht – ich bin nicht so neurotisch wie mein Ex-Mann das in seinem jüngsten Posting dargestellt hat und brauche keine Tabletten. Das meint auch mein Psychologe, der hat mich zuletzt für gesund erklärt, nach nur 48 Therapiestunden, sein Gutachten stelle ich HIER als Pdf zum Download zur Verfügung. Ich bin auch körperlich total fit, das können sie HIER sehen. Ich trage nämlich ein GPS-Gerät von Nike. Die Routen, die ich jogge, werden HIER regelmäßig auf der Karte eingetragen. Da habe ich auch mein Lieblingscafé um die Ecke markiert. Nur für den Fall, dass Ihnen meine Bikinifotos aus dem letzten Urlaub so gut gefallen, dass Sie mir dort mal auflauern wollen. Darüber hinaus bin ich politisch engagiert, ich „like“ regelmäßig Veranstaltungen von der SPD und unter den Büchern, die ich zuletzt gelesen habe, ist alles von Peer Steinbrück. Ich habe das beim Lesen live kommentiert und hey, ich finde, es kann schon mal passieren, dass man Nato und EU verwechselt. Meine vielen Freunde finden das auch okay, vor allem Facebook. Facebook ist mein Freund. Wollen Sie auch mein Freund sein? Oder haben Sie jetzt auch das Gefühl, dass irgendetwas an dieser Geschichte nicht stimmt?

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Meinungsredaktion des Tagesspiegels und betreut gemeinsam mit Johannes Schneider die Netzspiegel-Seite. Und nein, sie gibt hier nicht ihren "Beziehungsstatus" preis.

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