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Medien: Kommune trifft LPG

„Die Siedler“: Ein Dokumentarfilm über einen Kampf der Kulturen in Klein Jasedow, dem „Arsch der Welt“

In der Provinz blüht die Fantasie eher im Verborgenen. Eine Blume im Sumpf. Verdächtigungen, Nachreden, Unterstellungen. Lange Haare? Lesbisch? Sonnenwendfeiern? Was hier einmal kursiert, bleibt ewig im Gedächtnis der Stammtische. Und nirgendwo ein Winkel, wo man unerkannt bleibt. Stadtluft macht frei, wusste bereits das 13. Jahrhundert. Rousseau vernebelte dann diese klare Einsicht wieder. Darum verirren sich bis heute immer wieder Städter in Gegenden, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben. Auf der Suche nach dem Ursprung fallen sie auf die vermeintliche Landidylle herein. Die Ureinwohner aber sagen: Ursprung gibt’s hier nicht, hier gibt’s nur industrielle Großflächenwirtschaft. Dem Städter schwant, die Art Natur, die er suchte, existiert vielleicht nur im Öko-Laden um die Ecke.

Natürlich ist die Provinz ein Härtetest für jeden Neuankömmling. Er muss bis in die dritte Generation warten, schreibt sogar die „Anklamer Zeitung“, bis er hier als Gleicher unter gleichen gilt. Aus solcher Provinz flüchtet man üblicherweise, wenn man noch etwas vorhat im Leben. 40 000 Menschen zogen 2001 aus Mecklenburg-Vorpommern fort, aber es kamen auch 30 000 her. Wer macht denn so was? Was suchen alternativ gestimmte Städter in einem Ort wie Klein Jasedow, von dem selbst der „Spiegel“ schrieb, hier sei er wohl: der „Arsch der Welt“? Wahrscheinlich suchen sie echte Bewährungsproben, das süße Pathos von Neulandbezwingern. Aber die Realität der Provinz ist vor allem eins: trivial.

Darüber hat Grimme-Preisträger Claus Strigel einen Film gemacht, der nicht mit einem „politischen Feature“ verwechselt werden will. Das heißt, es wird nicht unbedingt nachgefragt und was an Fakten und Informationen fehlt, ersetzt die Poesie. Schön anzusehen ist es also, und dass man hinterher nicht so genau weiß, wie man den „Fall“ nun bewerten soll, ist vielleicht sogar beabsichtigt. Strigel weiß die Aura des Rätselhaften zu pflegen. Verschneite Felder und mit der nächsten Blende scheint schon die Sonne – die Landschaft jedenfalls kommt gut weg hier.

Mit den Menschen ist es schwieriger. Und ist es nicht wirklich seltsam, wenn da 1997 eine Gruppe von 16 Leuten aus der Schweiz nach Klein Jasedow zieht, erst mal alle zusammen in eins der verfallenen leerstehenden Häuser? Wir erfahren von ihnen zuerst nur, dass sie ihr Geld (Kollektivkasse?) mit „Medien“ verdienen, auch mit Kräutergärten, Experimentalmusik und „naturphilosophischer Beratung“. Manche im Dorf halten so was für eine Sekte, aber militante Heilsbotschaften hat eigentlich keiner je zu hören bekommen. Kurz zuvor, heißt es kryptisch, saßen sie alle noch oben über dem Genfer See und waren „ganz unten“. Solche Unklarheiten nutzt Strigel zur atmosphärischen Stimulation. Er will nicht über Sinn oder Unsinn des „ökosozialen Projekts“ richten, das die Neuankömmlinge verbindet. Das tun schon die Dörfler. Dieser sehenswerte Film stellt das Auftauchen des Fremden in einer von Selbstentfremdung gezeichneten Region in den Mittelpunkt, findet Symbole für das Aufeinandertreffen verschiedener Lebensformen.

Die Neuen halten nun schon mehrere Jahre durch, bauen verlassene Häuser aus und haben im ehemaligen Versammlungsraum der LPG ihr Büro eingerichtet. Sie beschäftigen mittlerweile mehrere der Dörfler. Aufschwung in einer Region, die bis eben vollständig auf Abriss abonniert schien – aber niemand freut dies so recht. So muss vor 20 Jahren etwa die Stimmung in der Toskana gewesen sein, als immer mehr Deutsche in die verlassenen Häuser zogen. Liegt Deutschlands neue Toskana gar in Ostvorpommern?

Natürlich, die ehemaligen LPG-Bauern waren selbst zu lange zwangskollektiviert, um arglos gegenüber Kommune-Experimenten zu sein. Das immerhin ist eine Erfahrung, die sie den Ankömmlingen voraus haben. Der LPG-Nachfolgebetrieb betreibt immer noch Großflächenwirtschaft, er ist hier der Monopolist. Aber eine Alternative dazu behauptet sich nun; dieser handwerklich produzierende Ökohof mit multimedialer Vermarktungsstrategie und esoterischem Anstrich. Die Öko-Kommunarden, nicht mehr ganz junge Aussteiger aus gutbürgerlichen Berufen, haben aber auch etwas gelernt: Darauf, missioniert zu werden, wartet in Klein Jasedow niemand.

So bleibt die Provinz für die einen ein zu kultivierendes Neuland, für die anderen ist sie das beharrende Moment inmitten einer zu schnell über ihre Köpfe hinweggegangenen Entwicklung, die zur bloßen Abwicklung wurde. Jetzt endlich erzeugt hausgemachte Reibung Energie. Die braucht der Aufschwung Klein Jasedow.

„Die Siedler“, Mittwoch, ARD 23 Uhr 30

Gunnar Decker

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