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Konvergenz: In der Pizza-Hölle

Content is king – Technology is queen? Es kommt darauf an, was man draus macht – das Zusammenspiel von Technik und Inhalt in den Medien

Soziale Netzwerke, Google Street View, Twitter, Foursquare und Co. – die Medien-Industrie beschäftigt sich derzeit mit der Frage, was die Entwicklung der Medien bestimmt. Sind es immer noch die unterhaltenden und informativen Inhalte in Form bewegter Bilder, Musik oder dem gedruckten Wort, oder sind die eigentlichen Treiber mittlerweile eher die fortschreitenden technischen Möglichkeiten?

Diese Frage belebt nicht nur Paneldiskussionen auf Branchenveranstaltungen oder aktuelle medienpolitische Diskurse. Sie spielt auch eine wichtige Rolle in den strategischen Überlegungen der Unternehmen, in der Entwicklung und Produktion von Medientechnik und Medieninhalten. Und auch für den Mediennutzer ist sie durchaus relevant, wenn man bedenkt, wie in anderen Bereichen, beispielsweise in der Kommunikation oder der Medizin, intensiv über den Einfluss oder gar das Primat der technischen Möglichkeiten diskutiert wird.

Tatsächlich finden sich, beispielsweise im filmischen Bereich, die verschiedensten Formen des Zusammenspiels von Technik und Inhalt, und es sind die gelungenen Verbindungen, die zurzeit die mediale Entwicklung treiben. So eröffnen neue technische Möglichkeiten auch neue kreative Horizonte: den Wunsch und das Bemühen, den Zuschauer in das Geschehen auf dem Bildschirm einzubinden und seine Involvierung durch jedwede Form von Interaktion zu erhöhen, gibt es längst. 1970 machte der Fernsehfilm „Das Millionenspiel“ von sich reden, das Publikum folgte einer vermeintlich realen Flucht des Protagonisten vor Auftragskillern – das Telefon im Sender stand damals nicht still. 2007 endete die Ära der interaktiven Fernbedienung Betty, der gute alte Bildschirmtext als Kommunikationsform ist dagegen nicht totzukriegen und Deutschland wählt millionenfach den Superstar oder unseren Star für Oslo. Die Möglichkeit, Handlung und Ausgang fiktionaler Geschichten zu bestimmen, eröffnet jetzt Youtube mit interaktiven Buttons für Videos. Mit einem Klick wählt der User in mehr oder weniger spannenden Geschichten wie „The Time Machine“ oder „Deliver me to Hell“, ob die Gejagten durch Zeitsprünge ihren Häschern entkommen oder der Pizzaservice in einer von Zombies eroberten Welt doch noch die Bestellerin erreicht und gibt so der Story immer wieder die Wendung seiner Wahl. Und dies ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die interaktiven Möglichkeiten des Hybrid-TV.

In der 3-D-Technologie hat sich jüngst die Kluft zwischen technischer Qualität und inhaltlichen Möglichkeiten geschlossen: Nach ersten Experimenten mit dem stereoskopischen Film bereits 1895, gab es immer wieder Versuche, den 3-D-Film nachhaltig durchzusetzen, so in den 20er, 50er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber erst jetzt, mit den Möglichkeiten der digitalen Produktion und Projektion, haben Kreation und Technik gleichermaßen ein Niveau erreicht, das 3-D zum Wachstumstreiber im Kinomarkt werden lässt. „Avatar“ ist ein 3-D- Film und das umsatzstärkste Movie aller Zeiten, die Neuauflage von „Harry Potter“ in 3-D zielt erneut auf ein Multi-Millionenpublikum. Im nächsten Schritt soll die Technologie auch das Fernsehpublikum überzeugen. 3-D wirkt nebenbei übrigens auch als wirksamer Schutz gegen einen anderen – weniger segensreichen – Aspekt der technischen Entwicklung: 3-D ist unter anderem so beliebt bei den US-Produktionsstudios, weil es angeblich ein geschäftstüchtiges Mittel gegen Piraterie darstellt. „You can't camcorder 3-D“, drückte der Präsident von Dreamworks, Jeffrey Katzenberg, kürzlich seine Hoffnung aus.

Oder Geolokation, eine schon lange bekannte Technik, der einerseits GPS-fähige Handys und andererseits Dienste wie Foursquare oder Gowalla mit nutzerfreundlichen Oberflächen und neuen Inhalten für das mobile Internet zu Popularität verhelfen. Nach dem „Check In“ eines Users an seinem aktuellen Aufenthaltsort kann er neue und bekannte Leute treffen, sich verabreden, Tipps und Empfehlungen abgeben und nutzen, durch besonders aktiven Besuch von Orten zum Jäger und Sammler von Punkten werden – eine Beschäftigung, die im Falle von Foursquare angeblich immerhin schon rund drei Millionen Nutzer weltweit fesselt.

Eine Technik, die wiederum noch eine inhaltliche Anwendung sucht, ist womöglich Googles Street View. Zumindest bei uns wird dieses Vakuum gefüllt durch eher düstere Spekulation. Die Internetgemeinde hat dagegen einen Nutzen schon gefunden: Auf Seiten wie streetviewfunny.com machen sich User einen Spaß daraus, komische oder überraschende Straßenszenen zu entdecken, hoch zuladen und zu kommentieren.

Am Ende bleiben aber immer der Nutzer und seine Einschätzung des Nutzwertes von Inhalt und Technik die bestimmenden Faktoren. Und hier ist immer auch der Zufall mit im Spiel: Coca Cola war ursprünglich als Kopfschmerzmedikament entwickelt, Viagra als Herzmittel, und das Internet sollte der militärischen Nutzung dienen. Der Nutzer mit seinen medialen Vorlieben bleibt gleichzeitig auch „das unbekannte Wesen“ – und entwickelt sich mehr denn je zu einem solchen. Dies zeigen zum Beispiel die neuen Zahlen der Studie „Massenkommunikation“. Demnach ist die Nutzung von Fernsehen und Internet 2010 für jeweils beide Medien auf den höchsten Werten dieses Jahrtausends angekommen: Durchschnittlich sagenhafte 220 und 83 Minuten verbringen die über 14-Jährigen täglich vor den Bildschirmen. Wir sehen (noch?) nicht den prognostizierten Verdrängungswettbewerb der Medien, sondern eine emsige und offenbar zunehmende multiple Nutzung derselben.

Ein gelungenes Zusammenspiel von neuen Techniken und Inhalten erzielt also hohe Aufmerksamkeit. Wo aber bleibt die notwendige Zahlungsbereitschaft? Schließlich müssen Technik- und Inhaltekreation sowie der Vertrieb der Medieninhalte finanziert werden. Andernfalls bleiben Innovationen Randerscheinungen oder auf dem auf Dauer nur mäßig unterhaltenden Niveau von „user generated content“. Der technische Mehraufwand von 3-D schlägt sich in höheren Ticketpreisen nieder, Foursquare finanziert sich über Kooperationen mit lokalen Werbetreibenden, Google arbeitet unter anderem daran, die interaktiven Buttons auch in der Werbung einzusetzen. „Geschäftsmodell“ heißt das Zauberwort.

Susanne Stürmer ist Geschäftsführerin der UFA Film & TV Produktion GmbH. Ihr Beitrag beruht auf dem Impulsreferat zum Panel „Content is king – Technology is queen? Was treibt die Medienentwicklung?“ während der Medienwoche.

Susanne Stürmer

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