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Medien: Kosmos Berlin

Zwei Filmemacherinnen begleiten drei Putzfrauen und gewinnen einen Grimme-Preis

Gisela schiebt schon weit vor Sonnenaufgang ihren Utensilien-Wagen durch die Boutiquen an der Friedrichstadtpassage und wienert mit wahrer Leidenschaft die Vitrinen. Die Argentinierin Delia wäre eigentlich gern Malerin geworden, nun aber bügelt sie unverdrossen einem vornehmen Junggesellen die Hemden. Ingeborg träumt noch immer von Liebe, vom Singen, von einer guten Arbeit und saugt derweil eine fremde Wohnung. Drei Frauen zwischen Mitte 40 und Ende 50: Putzfrauen.

Das Leben einfach so zeigen, wie es ist, aus der Sicht von Menschen in ihrem alltäglichen Kampf mit einer mal turbulenten, mal aggressiven, mal grotesken Welt. Darum geht es den beiden Filmemacherinnen Judith Keil und Antje Kruska. 29 Jahre sind sie alt und haben gerade ihre Studien abgeschlossen. Bei einem Praxis-Seminar an der FU von Andres Veiel („Black Box BRD“) lernten sie sich kennen. Veiel, dem sie assistieren durften, riss sie mit in seiner Begeisterung für das dokumentarische Arbeiten. Judith Keil, die sich schon immer im Fernsehen lieber Dokumentarfilme anschaute, drehte erst einmal mit Freundinnen einen trashigen Film über ein Berliner Hochhaus. „Da hat es gezündet“, sagt sie, „Dokumentarfilme machen, das wäre ein Traum“. Und Antje Kruska fügt hinzu: „Der Dokumentarfilm ist die schönste Möglichkeit, das Leben intensiv kennen zu lernen, tief in die Biografien von Menschen einzutauchen. Das hat einen Sog.“

Das erste große Opus kam – wie so oft – per Zufall zu Stande. Antje Kruska fuhr an einem trüben Tag mit ihrem Freund auf der Autobahn, die Lust auf eine Kaffeepause lockte sie in eine abgelegene Raststätte, in die sich offensichtlich sonst kaum ein Reisender verirrt. Sie treffen dort, am Ende der Welt, eine merkwürdige Gesellschaft an, die ihre Fantasie entzündet. Wie leben diese Leute, was bewegt sie, welche Träume, Hoffnungen, Verzweiflungen treibt sie um? Antje und Judith fahren gemeinsam noch einmal dorthin. „Ausfahrt Ost“ entsteht in langer, geduldiger Arbeit, 80 Minuten anrührende Geschichten aus dem ganz fremden Kosmos kleiner Leute. Das Kleine Fernsehspiel des ZDF nimmt sich des Werkes an, im vorigen Jahr wurde es für den Grimme-Preis nominiert.

„Der Glanz von Berlin“ verdankt sich einem ähnlichen Zufall. Bei einem Studentenjob als Sekretärin begegnete Antje Kruska einer Putzfrau, die gänzlich ungerührt auch die Unterhosen der Herren wusch, dabei sang und ihre abenteuerliche Lebensgeschichte erzählte. Die müsste man mal porträtieren, sagte sich Antje. Aber die Frau wollte nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden, wegen Schwarzarbeit. Die beiden jungen Frauen, schon längst entzündet für die Idee, diesmal weiblichen Schicksalen am unteren Rand der Gesellschaft nachzugehen, geben eine Annonce auf und finden so ihre Protagonistinnen.

Da ist die strahlend vergnügte Gisela von der Putzkolonne, deren Mann – ein liebenswerter Kotzbrocken – zu Hause mit stolzer Hingabe die verschnörkelte Schrankwand mit dem Pinsel entstaubt. Da ist die schöne Sängerin Ingeborg, die auf der Suche nach Ehemann Nummer 4 Lothar begegnet, der sie anhimmelt. Aber sie kann sich doch nicht verlieben, sitzt mit ihm auf dem Sofa und bietet ihm vor laufender Kamera Freundschaft statt Liebe. Und schließlich ist da die energische Delia, die sich nicht unterkriegen lässt, mit breitem Pinsel und kräftigen Farben ihre argentinischen Visionen vom lustvollen Leben aufs Papier malt.

Die Putzfrauen-Arbeit dient dem Film nur als Aufhänger für das dreifache Porträt von Frauen, für die sich sonst kaum jemand interessiert. „Wir können viel von ihnen lernen“, sagen die beiden Filmemacherinnen, von Delia die pragmatische Konsequenz, von Gisela das eheliche Zusammenhalten wie Pech und Schwefel, von der zerrissenen Ingeborg das Vertrauen in die eigene Kraft. Verstehen also Judith Keil und Antje Kruska ihre Filme politisch? Ja, weil sie gegen Vorurteile angehen und unauffällig für Toleranz werben wollen. Nein, weil sie ohne sozialkritisch-pädagogischen Elan auskommen und lediglich einen „menschlichen Blick“ auf sehr verschiedene, aber immer liebenswerte Leute werfen. Und tatsächlich, so zärtlich und so unsentimental taucht kaum je ein Film hinab in die exotisch-unbekannte Welt jener Menschen, die unbekannt mit und neben uns wohnen.

Beim Hofer Filmfestival lief „Der Glanz von Berlin“ vor überfülltem Saal, die verblüfften Verleiher rissen sich plötzlich um das Werk und brachten es mit großem Erfolg in die Kinos und auf die Berlinale, ehe das ZDF den Film ausstrahlte. Nun erhält er auch noch den Adolf-Grimme-Preis. Und beweist damit, dass unser Alltag alles andere als alltäglich ist. Im Gegenteil – er glänzt, ganz still und ungeheuer lebendig.

Mechthild Zschau

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