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Medien: Kranker Mann, was nun?

„Bild“ zeigt Jürgen Möllemann im Krankenbett – die Kunstgeschichte kennt das schon

Von Christina Tilmann

Die Haut ist fahl, fleckig gerötet. Der Blick leicht glasig, stier. Der Mund klafft leicht offen. Und die Hand ruht müde auf der Brust. Das alles ist in leichter Untersicht gezeigt, gleichzeitig sehr nah dran und hochachtungsvoll von unten aufgeblickt. Das erste Bild des Jürgen Möllemann in seinem Krankenzimmer, gestern von „Bild“ exklusiv aufs Titelblatt gehoben, ist mitleiderregend – und wohl berechnet. Hier geht es einem wirklich schlecht, suggerieren Text und Bild, und gleichzeitig kommt das Opfer nicht schlecht weg, wird von dem Fotografen aufs Tablett gehoben. Es denke niemand, hier sei kein PR-Berater am Werk.

Der Bildtypus ist aus der Kunstgeschichte wohl vertraut: Vor rund fünfhundert Jahren, 1490, machte der italienische Maler Andrea Mantegna Furore mit einem Bild des toten Christus: gemalt in extremer Untersicht, von den Füßen her nach oben geblickt, so dass der gesamte Körper verkürzt erscheint. Man sieht dem Toten gleichsam in die Bauchhöhle hinein. Das war, in der Frühzeit der Perspektive, technisch aufregend – und gleichzeitig theologisch skandalös. Der Körper ist leichenblass, leicht grünlich, der Mund klafft offen – und trotzdem wirkt der Mann athletisch, ja gesund. Ihm hätte man auch Fallschirmspringen zugetraut. Der, der hier im Zeitpunkt seines tiefsten Falls gemalt wird, ist gleichzeitig schon der Held, dessen Auferstehung unmittelbar bevorsteht. Das Bild hat Schule gemacht.

Im 19. Jahrhundert war es dann die Faszination von Vergänglichkeit, Siechtum und Tod, die die Künstler antrieb – verbunden mit dem Wunsch, den geliebten Menschen festzuhalten, sein Entschwinden aufzuhalten. Dante Gabriel Rossetti, einer der britischen Präraffaeliten, malte seine Frau gleichsam zu Tode, in dem er alle Stadien ihres Verfalls – sie hatte Schwindsucht – dokumentierte. Auch der dänische Maler Edvard Munch malte fast obsessiv immer und immer wieder ein krankes, rothaariges Mädchen. Erschöpft liegt es auf dem Kissen, das strahlend helle Licht kommt von links, lässt die blasse Haut und das Bettzeug aufleuchten. Auf dem Nachttisch stehen Flaschen und Gläser, ansonsten ist das Zimmer ärmlich, karg und leer. Die Pflegerin, gramgebeugt, ist nur von hinten zu sehen, ihr Haar ist früh ergraut. Das Ganze diesmal in Aufsicht, frontal, dem Besucher wie eine aufgeschlagene Zeitung hingehalten: Hier ist eine niedergestreckt, heißt die Botschaft, doch vielleicht kommt sie noch einmal hoch.

Zum Vergleich „Bild“, Seite 2: Noch einmal Möllemann, noch einmal die gleiche Szene. Nur wahrt der Fotograf Frank Ossenbrink diesmal Distanz, blickt Krankenschwester Annerose diskret über die Schulter. Das Licht kommt von links, lässt Möllemanns Haut und ergrautes Haar erstrahlen. Auf dem Nachttisch Flaschen, Blumen. „Er liegt in einem kargen Einzelzimmer“, textet „Bild“.

Und unlängst, im Sommer 2002 in Berlin: Da gewinnt das dänische Duo Michael Elmgreen und Ingar Dragset den mit 50000 Euro dotierten Preis der Nationalgalerie – mit einer Installation, die extrem lebensecht einen kranken Mann im Bett zeigt. Schwach, blass liegt er in den weißen Laken, leicht erhöht, der Blick geht hinaus durch das Fenster des Hamburger Bahnhofs. Draußen tobt Berlin und seine Politik. „Wer ist hier krank: Der Mann, die Kunst oder die Politik?“ fragten die Künstler anlässlich der Preisverleihung. Gute Frage. Aber schwer zu beantworten. Vielleicht hätten sie „Bild“ lesen sollen.

Noch einmal Munch, 1893. Diesmal malt er seine tote Mutter. Hier ist keine Hoffnung, kein Trost. Gelb und eingefallen sind die Wangen, todesstarr der Körper, kühl, grabeskühl der Raum. Dass draußen, vor dem Fenster, ein Herbsttag lockt, so golden schön, das sieht sie nicht mehr. Was sieht wohl Jürgen Möllemann von seinem Bett aus? „Bild“ zeigt es nicht.

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