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Medien: Kriegsberichterstattung: Die Nachrichtenjäger von Tent-City

Der grüne Nebel über Kabul hat sich gelichtet. Es gibt jetzt Fernsehbilder aus der zerschossenen Stadt.

Von Caroline Fetscher

Der grüne Nebel über Kabul hat sich gelichtet. Es gibt jetzt Fernsehbilder aus der zerschossenen Stadt. Schwarzer Qualm steigt auf an den Hängen, im Vordergrund wandeln verhüllte Frauen wie Gespenster umher. Aber: Es ist kein Geheimnis, dass die Bilder von dort fast ausschließlich der Sender Al Dschasira aus Katar liefert. Die zweite Front neben der militärischen ist die der Nachrichten. Afghanistan ist an dieser Front weitgehend ein weißer Fleck.

Den einzigen Zugang zu Afghanistan bieten die beiden Nachbarländer Usbekistan und Tadschikistan. Von dort können Reporter in die Grenzregion gelangen, die von der so genannten Nordallianz gehalten wird. Im üblicherweise verschlafenen, ehemaligen sowjetischen Garnisonsort Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan, ist das größte Hotel gewöhnlich zu zehn Prozent ausgebucht. Jetzt sind alle 200 Betten voll - mit Journalisten von der "New York Times" bis zu "Business Weekly", die miteinander um jedes kleinste Stück "Nachricht" wetteifern.

Wenn sie die Zustände an Afghanistans Nordgrenze mit der verheerenden Situation in Nordalbanien während des Kosovo-Krieges vergleicht, sagt Olivia Ward, kommt ihr Albanien vor "wie die Riviera!". Die Korrespondentin des "Toronto Star" ist eben von der tadschikisch-afghanischen Grenze zurückgekommen. "Es gibt kein Wasser, keine Elektrizität, keine Lebensmittel," sagt sie. "Alles, was man zum Leben braucht, muss man mitnehmen oder einfliegen lassen." Für ihren Kollegen, den Fotografen Ken Faught, hat Ward eine Liste mit Ausrüstung zusammengestellt, die man braucht: "Taschenlampe, Stromgenerator, Schlafsack geeignet für zehn Grad minus, Kerzen und Streichhölzer, Trockennahrung wie Früchte und Nüsse, Wasser, so viel Du transportieren kannst, Wasserkocher, Tabletten zur Desinfektion von Wasser, Medikamente gegen Verdauungskrankheiten, Vitamine und Salz gegen Dehydrierung, Verbandszeug, Mengen an Klopapier, dicke Winterbekleidung. Außerdem: eine kugelsichere Weste, wenn Du in Richtung Front willst, und ein Tuch, das Du zum Schutz vor Staub um Mund und Nase binden kannst."

Damit nicht genug. "Mein Satellitentelefon hat schon in Duschanbe nicht mehr funktioniert, Mobiltelefone braucht man gar nicht erst mitzunehmen. Texte kann man in einem einzigen Hotel per Internet senden, was aber Stunden dauert", sagt Ward. Der Landweg nach Afghanistan ist gefährlich - es ist ein Minenfeld. Bleiben Helikopter, deren Vermieter in Duschanbe oder in der usbekischen Hauptstadt Taschkent begriffen haben, dass sie ein Monopol besitzen. Bis zu 20 000 Dollar pro Tag lassen sich amerikanische News-Agenturen den Luxus eines Exklusiv-Hubschraubers kosten. Im Grunde hat nur ein Journalist, der zigtausende Dollars ausgeben kann, die Chance, kontinuierlich berichten, anstatt auf ein paar Tage bei Krise und Kriegern vorbeizuschauen.

Olivia Ward gehört zu den erfahrensten Kriegs- und Krisenreportern Kanadas. Den Bombenhagel über Bagdad erlebte sie in Hotelkellern und hat dabei geschrieben, in Tschetschenien und Inguschetien verbrachte sie Nächte auf Luftmatratzen und Tage in Flüchtlingslagern. In Belfast besuchte sie geheime Stellungen der IRA. Um internationale Preise und Ehrungen, die sie zahlreich erhalten hat, geht es ihr nicht. Ward will an die Front, um zu wissen, was wirklich geschieht, gesagt und gedacht wird. Für die Europa-Korrespondentin des "Star" sind ihre beiden Büros in London und Moskau nur Übergangsquartiere zwischen Krisenregionen. Kaum etwas kann Ward vom Berichten abhalten. Selbst für sie sind die Konditionen in Nordafghanistan kaum noch tragbar. Schon die Preise der Flugtickets Moskau - Duschanbe mit "Tajik Airlines" (Spitzname: "Tragic Airlines") haben sich mehr als verdoppelt. 800 Dollar kostet der Flug inzwischen. Für ein Visum - "die Bürokratie ist unvorstellbar schwerfällig", sagt Ward - verlangen Tadschiken jetzt 120 Dollar. Die Nordallianz, die in Dushanbe eine "Botschaft" unterhält, will noch einmal 200 Dollar. Das ist dieselbe Summe, wie sie ortskundige Fahrer pro Tag sehen wollen, wenn sie die 48 Stunden staubige, bergige und steinige Piste nach Nordafghanistan zurücklegen, eine Reise, auf der man im Wagen schlafen muss. Gefahren wird im Konvoi von bis zu 50 Autos.

"An der Grenze steigt man aus und läuft mit seinem Gepäck zu Fuß an den Fluss, wo man mit Glück eine Fähre zum andern Ufer findet", schildert Olivia Ward, "wegen der Gefahr von Angriffen geschieht das nur bei tiefster Dunkelheit, in der Nacht." Jenseits des Flusses, in Hoja Bahadin, liegt, was Journalisten "Tent-City" nennen, die Medien-Zeltstadt in der Wüste. "Da kann man sein Zelt aufschlagen", erzählt Ward, "gemütlich ist es nicht." Große Agenturen wie CBC, die Canadian Broadcasting Company, haben sich Behausungen bauen und sogar Möbel dafür anfertigen lassen. Fahrer und Übersetzer, unerlässlich fürs Berichten, verlangen in Hoja Bahadin täglich höhere Honorare, bei 200 Dollar machen sie nun nicht mehr Halt.

Um außerhalb von Tent-City zu berichten, braucht man die Genehmigung der Nordallianz. "Sie schreiben etwas auf einen kleinen Zettel, ohne den kommt man nirgends hin." Zugänglich ist auch mit dieser Prozedur nur ein kleiner Radius um Tent-City herum. "Einige versprengte Flüchtlinge kann man da treffen, und die Jungs von der Nordallianz fotografieren, wie sie sich mit Waffen in Szene setzen", berichtet Ward.

Manche Agenturen stellen sich in Tent-City auf die Wintermonate ein. Ward hält das für unrealistisch: "Wenn Schnee und Kälte kommen, wird wahrscheinlich erstmal Kampfpause sein, auf beiden Seiten." Oder es folgen Gefechte, von denen man gar nichts mehr sehen wird, Kämpfe zwischen Spezialeinheiten der Briten, der US-Armee mit den Taliban.

Zurück in Duschanbe finden sich die "Kriegsausflügler" in Apotheken und bei Ärzten ein. "Das Angebot ist üppig", sagt die kanadische Reporterin, "Lebensmittelvergiftung, Grippe, Hepatitis." Gerüchte sprechen sogar schon von Cholera und Typhus. In den Bars und Restaurants der malerisch im Hochland gelegenen Stadt steigen ebenso die Preise wie überall sonst. Olivia Ward sagt ironisch: "Die Lage, die für Reporter immer schlimmer wird, sieht wenigstens für das verarmte Duschanbe immer besser aus!"

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