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Kriegsdrama: Guy Môquet, 17 Jahre jung

Volker Schlöndorff erzählt in „Das Meer am Morgen“ von der Erschießung französischer Geiseln 1941.

Die jungen Männer rennen um die Wette, fröhlich, ausgelassen, eine Unterhose dient im Ziel als Siegesflagge. Später, am Zaun, wird geflirtet. Autor und Regisseur Volker Schlöndorff lässt das Internierungslager Choisel in der Bretagne in den ersten Szenen von „Das Meer am Morgen“ wie eine Jugendfreizeit aussehen. Ausgeliefert sind diese lebenshungrigen Jungs 1941 im besetzten Frankreich dennoch: dem Willen des Führers, der deutschen Befehlshaber in Paris und deren französischen Handlangern. Als Vergeltung für einen erschossenen deutschen Offizier in Nantes sollen auf Befehl aus Berlin 150 französische Geiseln ermordet werden. Für die Todesliste ausgewählt werden auch Kommunisten aus Choisel. Der Jüngste ist der 17-jährige Guy Môquet, der beim Flugblätterverteilen erwischt worden war.

Môquet ist in Frankreich ein Name ähnlich wie Sophie Scholl in Deutschland. Institutionen und eine Pariser Metro-Station sind nach ihm benannt, Präsident Sarkozy forderte die Schulen auf, den Abschiedsbrief Môquets alljährlich an dessen Todestag vorzulesen. Seine Erschießung am 22. Oktober 1941 hatte der Résistance enormen Auftrieb gegeben.

Schlöndorff stützt sich in dem für Arte France gedrehten Fernsehfilm auch auf eine deutsche Quelle: Denn protokolliert wurden die Ereignisse von Schriftsteller Ernst Jünger, damals Wehrmachts-Hauptmann in der Pariser Kommandantur. Sein Chef, General Otto von Stülpnagel (André Jung), der – wie Jünger – die Vergeltungspolitik ablehnte, hatte ihn dazu beauftragt. Jüngers Text „Zur Geiselfrage“ ist 2011 mit einem Schlöndorff-Vorwort bei Klett-Cotta erschienen. Auch die Abschiedsbriefe der Getöteten hatte er übersetzt.

Schlöndorff charakterisiert Jünger durch eine Dialog-Szene mit einer befreundeten Sängerin. Jünger (Ulrich Matthes) gibt sich als frankophiler, elitärer, über den Dingen stehender Soldat, als „Mann der Tat“, aber nicht als Mörder. Tatsächlich stand der konservative, den Ersten Weltkrieg verherrlichende Jünger („In Stahlgewittern“) dem Widerstand gegen Hitler nahe. Die Verhaftungen von Juden kommentiert er mit Mitleid, seinen Stolz auf die Uniform mindert das nicht. Nach den ersten Geiselerschießungen, bei denen sich keiner der Hingerichteten mit Hass gegen die deutschen Soldaten gewandt habe, berichtet er in typisch stahlgewittriger Diktion: „Der Mensch scheint erst im Angesicht des Todes zu seiner wahren Größe zu finden.“

Als Gegenpol gewissermaßen nutzt Schlöndorff die Zeugnisse eines weiteren deutschen Schriftstellers, Heinrich Böll. Die Einheit des jungen Wehrmachtssoldaten Heinrich (Jacob Matschenz) stellt das Erschießungskommando. Die Szenen – das lächerliche Gebrüll des Vorgesetzten, das Üben des Hinrichtungsablaufs nach strenger Vorschrift – wirken wie eine Farce. Schütze Heinrich, das Stahlgewitter nicht aushaltend, bricht zusammen. Die Figur ist nachempfunden aus Bölls Erzählung „Das Vermächtnis“.

Oscar-Preisträger Schlöndorff („Die Blechtrommel“) erzeugt durch die verschiedenen Perspektiven ein vielschichtiges Bild, das die Ereignisse sicher nicht wertfrei erzählt, aber ein simples Gut-Böse-Schema vermeidet. Deutsche wie Franzosen werden hier auf eine Gewissensprobe gestellt. Ein bürokratischer Akt, Terror, der ganz leise und scheinbar legitimiert daherkommt, kaum weniger entsetzlich als die Hinrichtung selbst.

„Das Meer am Morgen“, 20 Uhr 15, Arte

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