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Krimi-Finale: Ein Fall für drei

Das Beste kommt zuletzt. Aus München: Der 35. „Tatort“ in diesem Jahr ist einer der stärksten – auch wegen des Assistenten. Ein großartiger Abschluss eines alles in allem durchwachsenen „Tatort“-Jahres

„Ein Polizist wird immer nur dann gerufen, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Ein Polizist wird nie gerufen, wenn etwas Schönes passiert ist.“ Es ist etwas Schönes passiert. Doch dazu später. Die Münchner Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind seit 1991 im Einsatz. Über 21 Jahre „Tatort“, insgesamt 62 Folgen, da kann sich schon mal eine Erschlaffung, eine Ermüdung, ja, eine gewisse Gleichgültigkeit bei den Ermittlern einschleichen. Vor allem, seitdem Carlo Menzinger alias Michael Fitz, der dritte Mann, abhanden gekommen ist. Batic/Leitmayr alleine in München – man kennt sich, den müden Blick morgens, den richtigen Kaffee, das vieldeutige Schweigen, den Klaps auf die Schulter. Für durchschnittlich neun Millionen Zuschauer drei Mal im Jahr reicht das allemal.

Was „Tatort“-technisch allerdings zuletzt aus der bayrischen Hauptstadt kam, hat mit Übersättigung wenig zu tun. Schon „Der traurige König“ (Buch: Magnus Vattrodt) im Februar, mit einem völlig aus der Spur geratenen, zahnschmerzgeplagten Leitmayr, war thematisch und stilistisch über Durchschnitt. „Der tiefe Schlaf“ am Sonntagabend, der allerletzte Krimi 2012, setzt dem die Krone auf. Plot, Besetzung, Regie, Buch (beides Alexander Adolph), es ist einer der besten, wenn nicht der beste „Tatort“ seit langer Zeit. Der ein etwas abseitiges Thema der polizeilichen Ermittlungen behandelt: Wie sich der Alltag der Kommissare weniger um die Täter denn um die Opfer und deren Angehörige dreht. Oder, manchmal zumindest, drehen sollte. Vorab: Der Mörder bekommt in diesem Krimi gar kein Gesicht. Auch das ist ein Novum.

Carla, ein junges Mädchen, wird spätabends auf dem Weg vom Leichtathletiktraining nach Hause im Auto mitgenommen und brutal ermordet. Batic und Leitmayr bekommen bei den Ermittlungen einen ehrgeizigen Kollegen zur Seite gestellt – Gisbert Engelhardt, ein Technikfreak, der bei der Bundeswehr gedient hat. Der ist überzeugt, dass es sich bei Carlas Mörder um einen potenziellen Serientäter handelt. Er agiert jedoch so linkisch, dass ihn seine Kollegen schnell wegloben wollen. Was sie besser nicht hätten tun sollen. Engelhardt hat ein tragisches, allzu heftiges persönliches Interesses an der Jagd nach dem Serienmörder.

Sicher, die Vergewaltigung junger Mädchen, der Albtraum für die Eltern, das ist kein neues Krimithema. Deshalb richtet sich Adolphs Blick – auf die Ermittler. Auf das eingespielte Duo. Und auf den Neuen. Und da ist dem Bayerischen Rundfunk etwas Schönes passiert. Ein guter „Tatort“ hat nicht zuletzt auch mit guten Darstellern zu tun. Fabian Hinrichs hat 2012 den Alfred-Kerr-Darstellerpreis für seine Rolle in dem Theaterstück „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ an der Volksbühne Berlin bekommen. Leider ein viel zu seltenes Gesicht im deutschen Fernsehen.

Hinrichs spielt diesen Gisbert Engelhardt, diesen Möchtegern-Assistenten mit einer schroffen Verletzbarkeit, mit einer Aufgeladenheit, die sich im selben Augenblick wieder zurücknimmt, die mühsam ein Geheimnis verbirgt. Er sagt stupende Sätze wie jenen mit dem Polizisten, der eben immer nur dann gerufen wird, wenn etwas Schlimmes passiert. Ja, warum eigentlich nicht zu etwas Schönem? Jede Sekunde ein Ringen zwischen Gefühl, Intuition und Wahnsinn. Man könnte Fabian Hinrichs auch stundenlang beim Sitzen auf einer Parkbank zusehen und hätte seinen Spaß. Bei jedem Mundzucken verrät sich der Theatermann, an dessen Seite sich das allzu eingespielte Münchner „Tatort“-Team zu großer Leistung aufrafft.

Batic und Leitmayr mussten schon im „Traurigen König“ ans Limit gehen. Ausgerechnet Batic sagte vorm Untersuchungsausschuss gegen seinen Kollegen aus, nachdem Leitmayr angeblich in Notwehr den Täter niederstreckte. An guten Tagen erzählt der bayerische „Tatort“ ja immer wieder auch eine hübsche Ermittler-Mär von Freundschaft, Vertrauen und Verrat, wie es sonst nur der Kölner „Tatort“ schafft. Fabian Hinrichs gibt in dieser Hinsicht, in dieser Folge mehr als nur den Sidekick. Von wegen Gleichgültigkeit. „Der tiefe Schlaf“, eine Anspielung auf einen Raymond-Chandler-Krimi der Schwarzen Serie, zeigt die beiden Kommissare, die alten Hasen, am Ende bewegter, desillusionierter und deprimierter als je zuvor. Was wollte er eigentlich, dieser Kollege, der liebe Irre Engelhardt?

Ein Krimi mit einem ganz eigenwilligen Sog, auch auf der Tonspur. Ein gespenstischer, ein großartiger Abschluss eines alles in allem durchwachsenen „Tatort“-Jahres. Im ewigen Top-Ten-Ranking aller 868 bislang ausgestrahlten „Tatort“-Folgen auf der Fanseite tatort-fundus.de stehen alleine vier Mal die Namen Batic und Leitmayr. Immer öfter weiß man auch wieder, warum.

„Tatort - Der tiefe Schlaf“,

ARD, 20 Uhr 15

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