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Wahn oder Wirklichkeit? Eigentlich müsste der Junkie Jürgen (Georg Friedrich, links) im Koma liegen. Aber dann klettert er zu Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt) ins Krankenhausbett. Foto: BR

© die film gmbh/Jacqueline Krause-

Krimi: Traum, Rausch, Angst

„Fieber“ – Matthias Brandt deliriert sich als Kommissar Hanns von Meuffels durch den „Polizeiruf 110“.

Am 20. Oktober 1971 unterbricht Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel überraschend die Sitzung des Parlaments und verliest ein Telegramm. Man habe Willy Brandt soeben den Friedensnobelpreis verliehen. Donnernder Beifall. Brandts Gesicht versteinert, keine Freude, der Mann ist kompliziert. Mindestens! Kürzlich saß Matthias Brandt in der Talkshow „3 nach 9“. Gastgeber Giovanni di Lorenzo stimmte eine beängstigende Lobrede auf den Schauspieler an. Er habe Aura! Sei unheimlich beliebt! Liebling des Feuilletons! Überall Verklärung und Hymnen! Matthias Brandt versteinerte, sperrte sich gegen jeden weiteren Superlativ. Wer ihn kennenlernen möchte, wer etwas Persönliches von ihm wissen will, der solle ihn in seinen Rollen, seinen Filmen suchen, dort, sagte Brandt, gebe er viel preis, zu seinen Bedingungen, mit den Mitteln der Kunst.

„Fieber“ ist der vierte Fall, den Kommissar Hanns von Meuffels im „Polizeiruf 110“ zu lösen hat. Die drei vorangegangenen Krimis waren harte Kost. Verwegen, experimentell, ruppig. Bereits von Meuffels zweiter Fall „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ wurde aus Jugendschutzgründen aus dem Hauptabendprogramm verbannt. Zu ängstigend sei das, hieß es. Ach, wirklich? Was soll man erst angesichts des neuen Falls empfinden, der ein leichtes Grauen, einen nachlaufenden Horror erzeugt? Hanns von Meuffels wird bei einem missglückten Einsatz von einem Junkie angeschossen und schwer verwundet. Sein Überleben ist ungewiss. Während die Ärzte um sein Leben kämpfen, tritt der Kommissar als Geist aus sich heraus und betrachtet verwundert die Szene.

Dieses Nahtoderlebnis, dieses Aus- dem-Körper-Schlüpfen, spielt der Film mehrfach aus und er erweitert es in wunderbar hintersinniger Weise. Der Junkie, der ebenfalls angeschossen wurde, kämpft im selben Krankenhaus um sein Leben und er ringt um von Meuffels Seele. Denn der Junkie, grandios gespielt vom Österreicher Georg Friedrich, ist von Meuffels existenzieller Antipode: Ein Rauschmittelmensch, verführbar und verführerisch, entblößungsbereit, brutal sinnlich, vital bis zum tödlichen Schuss. Und da ist von Meuffels, dieser zugeknöpfte Mensch, formbewusste, innerlich leicht verlotterte und melancholische Typ.

Der geisterhafte Pas de deux gehört zu den poetischsten Momenten des Fernsehjahres! Dieser Krimi ist lyrisch, weil er Traum-, Rausch- und Angstbilder mischt und den Kommissar delirierend in den neuen Fall hineingleiten lässt. Der Albtraum, aus dem er erwacht, kommt an kein Ende, weil das Krankenhaus selbst ein Albtraum ist. Menschen verschwinden spurlos, sterben plötzlich ohne ersichtlichen Grund. Ein irres Fieber schleicht durch die Gänge und ergreift auch Besitz von unserem Helden, der nicht weiß, ob er halluziniert oder einer ungeheuerlichen Verschwörung auf der Spur ist. Werden im Keller des Krankenhauses illegale Experimente durchgeführt? Werden die Toten ausgeschlachtet? Die Ärzte wispern, Papiere werden gefälscht, Diagnosen verschleiert. Eine Ärztin, die auspacken will, stirbt urplötzlich. Und weil die Klinik von chinesischen Investoren übernommen werden soll, darf nichts nach außen dringen. Von Meuffels, kaum der Lebensgefahr entronnen, beginnt ein zweites Mal um sein Leben zu kämpfen. In Zeitlupe schlurft der Kommissar durch die Gänge, schiebt einen Tropfständer neben sich her, gibt sich als Arzt aus, stöbert in finsteren Archiven und zapft eigenhändig Leichen Blut ab.

Der Krimi wird zur Seelenstudie mit Mysterie- und Horroranklängen, ohne an Spannung zu verlieren, ohne sich zwischen den Stilen zu verzetteln. Matthias Brandt hält das zusammen und auch die formbewusste Komposition des Regisseurs Hendrik Handloegten. Es steckt viel irre, kauzig-skurrile Komik in diesem Fall, die der Versteck- und Leisespieler Brandt jedoch nie paukenschlagend rausbrüllt. Ihm reicht ein Blick, ein kleines Schnaufen, ein scheues Seufzen, ein Wegdrehen des Kopfes, eine magere Geste. Vielleicht erntet Matthias Brandt öffentlich so viel Lobpreis, weil er nicht recht zu fassen ist? Weil er sich in seinen Rollen zwar zeigt, aber immer nur kurz, ohne dass man das Gefühl hätte, seine Persönlichkeit jetzt wirklich am Schlafittchen gepackt zu haben. Er spielt oft bedrückte, um ihre Würde kämpfende Menschen. Auch das – seine glaubhafte Anwaltschaft für die, die versuchen, den Kopf über Wasser halten – lässt ihm Sympathien zufliegen. Übrigens: Hanns von Meuffels stammt aus Bremen, ist aber, im Gegensatz zu Matthias Brandt, kein Werder-Fan. Geboren jedoch wurde der Kommissar in Lübeck, da wo einst Willy Brandt das Licht der Welt erblickte. Wer will, mag das als stillen Gruß lesen. PS: Verschieben Sie anstehende Krankenhausaufenthalte! Versäumen Sie nicht diesen Film!

„Polizeiruf 110: Fieber“, 20 Uhr 15, ARD

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