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O-Saft in Brüssel, Molotowcocktails in Athen. Die Filmemacher zeigen nicht nur Kanzlerin Angela Merkel bei Verhandlungen, sondern auch die wütenden Proteste der Griechen gegen die Beschlüsse.

© AFP

Krisen-Krimi: ARTE zeigt Doku über die Euro-Rettung

Eine Arte-Doku blickt hinter die Kulissen der Euro-Rettung und begleitet Politiker bei ihren Sitzungsmarathons nachts in Brüssel - ermüdend ist das keineswegs.

Dies ist ein Krimi. In den Hauptrollen: Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Jean-Claude Juncker, Georgios Papandreou und Josef Ackermann. Die Drehorte: Brüssel, Athen und Frankfurt. Das Ergebnis: Happy-End nicht in Sicht.

Acht Monate lang haben die Filmemacher Stephan Lamby und Michael Wech die wichtigsten Akteure des Euro-Krisen-Managements begleitet. Dass die dramatisch aufgemachte Dokumentation „Der Domino-Effekt: Kippt der Euro?“ dabei herauskommen wird, ahnen sie nicht, als sie im Mai 2011 mit den Dreharbeiten beginnen. Ursprünglich geplant ist ein Stück über die Krisenkompetenz von Regierungen und Banken – anhand eines scheinbar regional begrenzten Themas: Hilfe für das in Zahlungsnot geratene Griechenland. Doch dann werden nicht nur die Filmemacher, sondern auch die politischen Akteure überrollt von den Entwicklungen, die Europa in die „größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ stürzen. So bezeichnet Jean-Claude Juncker, luxemburgischer Premierminister und Chef der Euro-Gruppe, die aktuelle Lage.

Wie Europa in diese Krise überhaupt hineingeraten konnte, reißen die Filmemacher eher kurz an, allein dafür hätte es mindestens die 90 Minuten gebraucht, die der Film dauert. Stattdessen konzentrieren sie sich auf die zahlreichen Krisengipfel. Bis tief in die Nacht harren Lamby und Wech vor den verschlossenen Türen der Verhandlungssäle in Brüssel aus, fangen die konzentriert-angespannte Atmosphäre ein: leises Tuscheln, Papierrascheln, müde Gesichter, dampfender Kaffee und Teller mit frischem Obst auf den Tischen – und schneiden diese Szenen gegen die wütenden Reaktionen auf die gefassten Beschlüsse: Molotowcocktails fliegen gegen das griechische Parlament, Böller knallen, Polizisten und Protestler kämpfen.

"Entweder wir schreiben Geschichte oder wir werden Opfer der Geschichte"

„Entweder wir schreiben Geschichte oder wir werden Opfer der Geschichte“, sagt Griechenlands Ex-Premier Papandreou. „Der Druck, womöglich das Falsche zu machen, ist groß. Aber wenn der Druck so groß ist, dann treffen wir auch die richtigen Entscheidungen“, sagt Bundesfinanzminister Schäuble.

In vielen Einzelinterviews versuchen die Politiker ihr Vorgehen zu erklären, beschreiben ihr Ringen um die Lösungen und mit den Banken, die Griechenland 50 Prozent seiner Schulden erlassen sollen. „Mit Banken darf man nicht nur leise sprechen“, erklärt Juncker die Strategie beim Gipfel in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 2011, bei dem der Schuldenschnitt für Griechenland gekoppelt an weitere Sparmaßnahmen für das Land vereinbart wurden.

Was Juncker dabei nicht sagt: wie sehr die Politik gleichzeitig von den Finanzmärkten getrieben scheint. Beschlüsse müssen gefasst werden, bevor die Märkte öffnen. Diese Abhängigkeit wird in der Doku nur kurz angespielt. Ebenso die Frage, was den „Domino-Effekt“ auslöst, warum also nach Griechenland auch Portugal, Italien und Spanien in den Krisen-Strudel geraten. Dazu hätten Lamby und Wech noch mehr erklären dürfen, gerade wenn sie ihren Film so betiteln.

Die Europäische Zentralbank sollte nicht die Notenpresse anwerfen

Dennoch: In wohl keiner anderen Doku sind die bisherigen Euro-Rettungsversuche so gut dargestellt worden. Lamby musste wie bereits mit seinem ARD-Film „Retter in Not“ über die Bewältigung der Finanzkrise 2009 auch dieses Mal in völlig offene, sich immer wieder neu darstellende Situationen hinein drehen. Dass ihm Politiker, Banker und Berater trotz der Anspannung zur Verfügung standen, hat Lamby seinem Ruf als ausgezeichneter und preisgekrönter Macher von Filmen beispielsweise über Helmut Kohl, Angela Merkel, Fidel Castro, Henry Kissinger und Stefan Aust zu verdanken.

Zur Premiere der Dokumentation am Sonntagabend im Kino Babylon in Berlin kam Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. In einem Gespräch mit Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff widersprach er der Darstellung Junckers, dass sich Europa in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg befinde. „Diese Dramatisierung hilft uns auch nichts“, sagte Schäuble. Auch Vergleiche zwischen der momentanen Situation in Europa und der Lage in Deutschland in den 20er Jahren lehnte Schäuble ab. Eine solche Darstellung sei „ein katastrophaler Fehler“. Die Krise beherrsche nicht die Politik – allerdings beherrsche auch die Politik nicht vollständig die Krise, denn „dann hätten wir sie ja gar nicht“, sagte Schäuble.

Um die Krise zu lösen, sei es keine gute Idee, dass die Europäische Zentralbank wie die US-Notenbank Fed die Notenpresse anwerfe. „Wenn das anfängt, werden die Märkte nur eine gewisse Zeit beruhigt.“ Das Vertrauen in die Euro-Zone aber ginge dann verloren. Vielmehr müssten die Länder ihre Verschuldung zurückfahren und nun endlich das umsetzen, was in den 90er Jahren geplant gewesen sei: „Wir müssen eine Stabilitätsunion neben die Währungsunion stellen“, sagte Schäuble. Er gehe davon aus, dass die Euro-Länder bei der Lösung der Schuldenkrise in diesem Jahr ein ganzes Stück vorankommen. Es bleibe aber noch einiges zu tun, sagte Schäuble am Sonntag.

Am Freitag war Frankreich zusammen mit acht weiteren EU-Ländern von der Ratingagentur Standard & Poor’s in seiner Bonitätsnote herabgestuft worden, am gestrigen Montagabend entzog S&P auch dem Euro-Rettungsschirm EFSF die Bestnote. Der Krimi geht weiter.

„Der Domino-Effekt: Kippt der Euro?“, 20 Uhr 15, Arte

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