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Sigrid und Klaus Allenstein betreiben den Kiosk in der Ackerstraße 166 in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Krisenreport aus einem Zeitungskiosk in Berlin: Es ist ein Kampf, sagt Herr Allenstein

Neue Zeiten, neue Überlebensstrategie: Was früher ein Zeitungskiosk war, muss heute als Gemischtwarenladen funktionieren. Ein Krisenreport.

Mittwoch ist ein guter Tag. Am Mittwoch kommen die bunten Blätter. Und mit den bunten Blättern kommen die Stammkunden.
Also schließt Herr Allenstein den Laden auf, der im Nochdunkel des gerade beginnenden Tages lottogelb, kleeblattrot in die Ackerstraße leuchtet. Berlin Mitte, Aufwachphase. Sechs Uhr 30.
Er holt die Pakete aus den Kisten. Buntware. Die Frauenzeitschriften, abgepackt nach Gewicht. Legt sie ins Zeitschriftenregal.
Herr Allenstein ist alte Schule. Das hier: Routine.
Herr Allenstein packt auch den Tabak aus, die Zigaretten.
Stapelt schließlich auch die Tageszeitungen in den Tageszeitungsständer. Muss ja sein.
Aber, sagt Herr Allenstein, es ist ein Kampf.
Zeitungskrise ist: wenn die „Financial Times“ dichtmacht. Zeitungskrise ist: wenn die FAZ wieder Mitarbeiter entlässt. Printkrise ist, wenn es keinen Henri-Nannen-Preis mehr gibt, weil sich Prunk und Tanz im Schauspielhaus, millionenteuer, plötzlich pervers anfühlen. Krise ist aber auch, wenn Herr Allenstein am Morgen zwei „Morgenpost“, sieben Tagesspiegel, fünf „Berliner Zeitungen“ auspackt und am Abend zwei „Morgenpost“, fünf Tagesspiegel und drei „Berliner“ Zeitungen in eine Kiste legt, die noch in der Nacht geleert wird. Zeitungskrise ist, wenn Herr Allenstein auf all die Zeitungen im Zeitungsständer schaut und dann sagt: „Altpapier“.
Ein Wort, das dann dort hängt, unter der Decke, zwischen den übergroßen Zigarettenpackungen, den Gewinnchancen, den Teerwerten wie früher die Schwaden der Raucher. Dort hängt, bis es sich zu einem Gedanken verfestigt. Er enthält 0,04 mg Hoffnung. Er gehört hier dazu. Im Zeitungskiosk, Ackerstraße 166, Inhaber: Sigrid und Klaus Allenstein. Herr und Frau Allenstein, 65 und 61 Jahre alt, stehen ganz am Ende der Nahrungskette Print. Sie müssen auslöffeln, was gerade bitter schmeckt. Die sinkenden Auflagen der gedruckten Zeitungen, die Ratlosigkeit. Die Leser kommen immer seltener zu ihnen als Käufer. Weil sich die Wege, auf denen der Leser zum Journalismus gelangen kann, verändert haben.

Herr und Frau Allenstein teilen die Schicht. Zwölf Stunden, täglich

Das ist das Problem. Und deshalb kann man im Laden von Herrn und Frau Allenstein ganz unmittelbar erspüren, was dort passiert, wo ein Produkt angeboten wird, für dessen Herkömmlichkeit, schwarz auf weiß auf Papier, sich immer weniger zu interessieren scheinen. Herr Allenstein jedenfalls sieht Druckerschwarz. Das war mal anders. Am Anfang. Sie sind hier seit 15 Jahren. Haben das alles mitbekommen, den Wandel. Im Viertel, hinter den Fenstern. Und hier drin, ganz unmittelbar. Die Zeiten, die Wende. Kioskbesitzer im Kiez, da ist man ja immer gleich auch Seismograf. Für die Befindlichkeiten der Leute. Sie haben sich das so ausgesucht. Er, eigentlich Elektriker. Damals, in der DDR beim VEB Fortschritt. Und sie, geboren in Friedrichshain, Floristin bei der GPG Immergrün. Ostberliner Pflanzen. Frau Allenstein hat Blumen gebunden. In der Bahnhofshalle Jannowitzbrücke. Als da die Leute plötzlich vor dem Laden standen, die Gleise runter, bis um die Ecke, Anfang November 1989, tagelang, immer mehr wurden, als sie nicht mehr wusste, wie viel die Nelken kosten, weil die Leute mit fremden Münzen zu ihr kamen, da hatte Frau Allenstein gleich so eine Ahnung, dass es nicht leichter werden würde. Herr und Frau Allenstein haben es dann noch zehn Jahre versucht, in einem neuen Land, das doch eigentlich ihres war. In dem aber für Herrn Allenstein kein Platz mehr zu sein schien. Seine Firma machte dicht, er ging zur nächsten. Die Firma machte dicht: Und er, der sein ganzes Leben gearbeitet hatte, arbeiten wollte, ging zur übernächsten. Doch die Firma: Na, Sie wissen schon. Als dann auch noch Frau Allenstein arbeitslos wurde, suchten sie ihr Geld zusammen, fanden den Laden in der Ackerstraße und wurden Kioskbesitzer. Was Neues. Sie teilen sich die Schicht. Sie haben zwölf Stunden geöffnet. Reich wird man damit nicht, sagt Frau Allenstein. Es ist härter geworden. Seit wann, auch das weiß sie genau: Fünf Jahre. Sechs vielleicht. Krisenzeit.

Ohne Zeitungen könnten sie zumachen, nur Zeitungen verkaufen geht aber auch nicht.

Klaus und Siegrid Allenstein sind die Eigentümer des Zeitungskiosk in der Ackerstraße 166 in Berlin Mitte. Geöffnet jeden Tag, außer sonntags, von ganz früh, 6.30 Uhr bis zum Schluss 18.30 Uhr stehen beide im Kiosk.
Klaus und Siegrid Allenstein sind die Eigentümer des Zeitungskiosk in der Ackerstraße 166 in Berlin Mitte. Geöffnet jeden Tag, außer sonntags, von ganz früh, 6.30 Uhr bis zum Schluss 18.30 Uhr stehen beide im Kiosk.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ohne die Zeitungen, sagt Frau Allenstein, könnten sie gleich zusperren. Aber mit den Zeitungen alleine auch nicht überleben, das ist klar. Das war schon immer so. Und doch ist es in den vergangenen Jahren noch einmal spürbar weniger, schwieriger geworden. Früher, sagt Frau Allenstein, haben sie fünfzehn „Spiegel“ verkauft. Heute werden sie in einer Woche noch zwei los. Vielleicht auch mal fünf. Kommt auf den Titel an. Alle Zeitungen gehen schlechter. Sagt Frau Allenstein. Morgens kommt einer, der kauft zwei „Süddeutsche“ und zwei Tagesspiegel. Für das Café die Straße runter. Das war’s dann erst mal. Vor zehn Jahren, die „Spiegel“-Auflage noch deutlich über einer Million und nicht deutlich darunter, war die Bar an der Ecke noch eine Fußballkneipe, war die Torstraße noch irgendwie richtig Osten. Die Wende kam zeitverzögert. Dann aber richtig.

Die 3-Tage-Broccoli-Diät geht immer noch

Neue Menschen, neue Gardinen, zugezogen. Aber eben nicht: neue Kunden.
Die aus dem anderen Deutschland, sagt Herr Allenstein, die lassen sich hier nicht blicken.
Bleiben die Stammkunden.
Der 90-Jährige, der seine „Sport-Bild“ kauft. Und Zigaretten.
Oder die Kindergärtnerin. Eine „B.Z.“, eine „Bild der Frau“.
Das zumindest geht immer noch gut. „Bild“ und Kreuzworträtsel. „Kurier“ und 3-Tage-Broccoli-Diät. Jenny Elvers, die Royals. Das Paul-Sahner-Menü. Post von Wagner. Klatsch – mitten ins Gesicht.
Aber sonst? Nüscht, sagt Herr Allenstein. Sagt auch Frau Allenstein.
Stehen dort, schütteln die Köpfe. Stehen in ihrem Laden, der noch immer so aussieht wie vor 15 Jahren schon. Als man die Republik noch allein mit der „Bild“-Zeitung regieren konnte. Schröder-Deutschland. Würfelzucker-Deutschland. Wundertüten-Deutschland. Der Konsalik kostet 3,50 Euro, die Telefonkarten sind vom Umtausch ausgeschlossen.
Sie haben den Lottocomputer und die Nescafé-Kaffeemaschine. Internet aber haben sie nicht. Das würde nicht passen. Und ohnehin: Das mit dem Internet, das hat Herr Allenstein gleich verstanden, ist ja so eine Sache.

Das Digitale: Auch so ein neues Land

Wir hatten mal einen Kunden, sagt Herr Allenstein, der ist über Jahre gekommen. Und Frau Allenstein nickt. Der hat immer die „Berliner“ gekauft. Bis die „Berliner“ zehn Cent teurer geworden ist, da kam er nicht mehr. Sagte, zum Abschied, das kann ich auch im Internet lesen. Weg war er, so schnell konsste janich kieken. Mit dem Internet können sie in ihrem Kiosk nicht mithalten. Auch klar. Um in ihren Kiosk zu gelangen, muss man vier Stufen nehmen. Das Internet, die neuen journalistischen Plattformen, das ganze blinkende, schreiende, bilderstreckende Online-Angebot aber ist nie weiter entfernt als eine kurze Bewegung des Zeigefingers.

Die Wanderung des Lesers. Auch so eine Wende.
Das Digitale. Auch so ein neues Land.
Muss man sich erst mal dran gewöhnen. Dauert.
Ich bin nur ein einfacher Mann, sagt Herr Allenstein.
Steht da in dem Laden, der weit weg ist von E-Paper, von Algorithmen und der „Huffington Post“. Und sagt einen ganz einfachen Satz: Wenn man die Zeitung umsonst ins Netz stellt, muss man sich doch nicht wundern, dass das Geschäft nicht mehr läuft. Sagt: Das ist Irrsinn. Im Laden kostet die doch auch was.
Schulterzucken, watt soll ick machen. Ist jetzt eh zu spät.
Und am Abend räumt er die Zeitungen in die Kiste, was immer ist, als würde man den Tag zu Grabe tragen. Altpapier und Internet. Hoffentlich, sagt Frau Allenstein, geht das noch ein Jahr gut. Das mit den Zeitungen. Dann gehen sie in Ruhestand, dann interessiert es sie nicht mehr.
Bis dahin muss es noch, irgendwie.
Herr und Frau Allenstein verkaufen seit einiger Zeit auch iTunes-Gutscheine.
Herr und Frau Allenstein bieten seit einiger Zeit auch Trockenreinigung an.

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