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Als der Sternekoch noch wütend war. Tim Raue berichtet Anne Will. Foto: NDR

© NDR/Wolfgang Borrs

KRITISCH gesehen: Dieser Talk wird kein leichter sein

Anne Will. ARD.

Anne Will. ARD.

Bei „Anne Will“ wird am Mittwoch jetzt Konzept-Talk gemacht. Während der 75 Minuten tritt jede Viertelstunde ein neuer Gast ins Gespräch ein. Erst Tim Raue, dann Sido, dann Veronica Ferres, schließlich sitzt das Duo Edmund Stoiber und Christian Nürnberger in den weißen Sesseln. Hinter der Gänsemarsch-Dramaturgie steckt die Hoffnung, dass die Bewegung in der Runde das Gespräch der Runde bewegt. Erinnert an den Fußballtrainer, der mit jeder Einwechslung auf ein besseres Spiel seiner Mannschaft setzt. Klappt nicht immer, sagt eine alte Bundesliga-Weisheit.

Große Skepsis, ob das bei „Anne Will“ klappen wird. Bevor die Fünferrunde nicht komplett ist, gibt es keine Diskussion, es gibt fünf Talks in einem. Anne Will fragt – Raue antwortet, Sido antwortet, Ferres antwortet. Die Gäste wirken wie sediert, keiner reagiert auf den anderen, es regiert die Statik. Zäher kann Talk kaum sein. Wer jetzt wegnickt, der muss sich nicht entschuldigen.

„Wut im Bauch“ ist als Thema aufgerufen. Warum brennen Autos, warum schlagen Menschen Menschen zusammen, warum werden Geschäfte geplündert? Von solchen kriminellen Wutbürgern sitzt keiner in der Runde. Da sitzen die Arrivierten, die Etablierten, die mittlerweile Situierten. Sie machen sich Gedanken über die anderen. Tim Raue, heute Sternekoch und früher Gang-Mitglied, wie auch der Rapper Sido breiten eigene Erfahrungen aus, die individuelle Wut-Biografie soll die gegenwärtigen Wutbürger beglaubigen. Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber fordert die individuelle Verantwortung ein.

Veronica Ferres erzählt, wie sie als Kind gemobbt worden sei und trotzdem eine positive Wut hatte. Angenommen, die Schauspielerin hat in ihrem Leben so viel erlebt, wie ihre Filmfrauen erlebt haben. Dann soll es uns recht sein, trotzdem bleibt der Verdacht fortbestehen, die Ferres will immer nur deswegen so viel erlebt haben, damit sie authentischer die Engagierte spielen kann. Durch Leiden zur Leistung, das ist Veronica Ferres. In ihrem Betroffenheits-Modus bleibt sie eine Herausforderung. Gratulation an den, der ihren Eigen-PR-Sprech erträgt. Anne Will wird aufpassen müssen: Solche Gäste nähren enorm die Verwechslungsgefahr mit dem parallel laufenden „Markus Lanz“ im Zweiten.

Die Moderatorin ackert, lächelt, integriert bis Mitternacht. Nach langen 50 Minuten und keine Minute früher hat sie die Runde zur Talkrunde zusammengeschweißt. Aus den Solisten werden Diskutanten. Und immer wieder fällt der Kamerablick auf Sido, der echt skeptisch gucken kann und sich zum Mover und Shaker hochwuchtet, als er Stoiber/Nürnberger vorwirft, dass deren Disput über den Finanzcrash und verfehlte Bildungspolitik in Bayern von den Kids aber so was von null kapiert würde. Sido spricht meist Plumpsätze, aber die haben Gewicht. Will ist ununterbrochen eine gute Gastgeberin, die keinen in der Runde zurücklassen will. Den Hosenanzug hat sie abgelegt, jetzt wird’s legerer. Lockerer wäre besser. Der Kampf um das Talk-Konzept wird kein leichter sein. Die Premiere findet nur 1,22 Millionen Zuschauer.

Das Thema ist gut gewählt, so wichtig und aktuell, wie es ist. Aber es gibt nur Annäherungen, dazu Einspielfilme, die pushen sollen. Das Rätsel, welche Befriedigung beispielsweise aus dem Anzünden von Autos entspringt, bleibt ungelöst. So nahe das Thema, so fern seine Betrachtung. In diesem blitzsauberen Fernsehstudio wird es in eine Talk-Welt übersetzt, die jener da draußen ganz fern scheint. Immerhin, es werden keine Schnell-Schnell-Lösungen herumgereicht, anders vielleicht, als wenn Parteipolitiker die Runde besetzt hätten. Ein Quantum Hoffnung macht sich breit: Raue, Sido, die Ferres und der Stoiber haben es geschafft, dann schaffen es die anderen, die Schläger, Zündler und Plünderer, auch.

Das wäre natürlich schön.

Kann man „Anne Will“ am Mittwoch einschalten? Ja. Muss man jeden Mittwoch einschalten? Hm. Joachim Huber

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