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Kurz und kritisch: Warnung vor dem Jetzt

In ihrem Buch "Privat war gestern" warnen die Medienanwälte Christian Schertz und Dominik Höch vor der Verrohung der Gesellschaft. Doch worin besteht die eigentlich?

Es gibt dieses ganz gewisse Früher, das, wenn es herbeizitiert wird, eigentlich nie im engeren Sinne real ist; es ist kein Ort, den es je in der wirklichen Welt gegeben hat, so einer, an dem sich Faschismus, Zensur oder andere schlechte Dinge finden, die heute in Deutschland weitgehend überwunden scheinen. Es ist ein Fluchtpunkt, von dem aus sich die verschiedenartigen Fehlentwicklungen des Jetzt als eine einzige Gemengelage darstellen. Von dem aus man zum Beispiel behaupten kann, Gossip-Portale im Internet, indiskrete Sendungen im Privatfernsehen und geschwätzige Staatsanwälte seien alle Teil derselben Verfallserscheinung: einer „gefährlichen Entwicklung“ hin zu einer „Verrohung“ der Gesellschaft. Just die wollen die Medienanwälte Christian Schertz und Dominik Höch in ihrem Buch „Privat war gestern – Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören“ beschreiben.

Dass es sich dabei nach Aussage der Autoren keinesfalls um „allgemeine Medienschelte“, sondern um einen konstruktiven Debattenbeitrag handeln soll, ist zumindest in den Eröffnungskapiteln kaum zu erkennen. Alle medialen Neuerungen der vergangenen dreißig Jahre werden da in einen Sack gesteckt und pauschal mehr oder minder deutlich verdammt. Von einer Weddinger U-Bahn-Schlägerei geht es munter zu StudiVZ und Facebook, da erstere ja „reales Nachspiel eines virtuellen Mobbings“ war. Kurz darauf geht es bereits um die Methoden von Boulevardmedien und den Zwang der Quote im Privatfernsehen. Zwischendurch eingestreut: ein Lob der guten, alten Telefonzelle, „gelb, schalldicht, isoliert“, Signum einer Zeit, in der der „Telefonierende ohne die Mitwelt in Ruhe reden“ wollte.

Das Unbehagen der Autoren über einen Zeitgeist, der nicht mehr ihre Vorstellungen von Privatsphäre bedient, ist allenthalben deutlich, und wird an einigen Stellen auch gut ausformuliert: dann nämlich, wenn Höch und Schertz öffentliche Lehrstücke wie die Prozesse um Jörg Kachelmann, Klaus Zumwinkel und die von Schertz in Medienfragen beratene Ex-No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa analysieren und bewerten. Die Frage, inwieweit Staatsanwaltschaften sich als mediale Player inszenieren und Angeklagte denunzieren dürfen, ist legitim. Fraglich ist nur, was sie damit zu tun hat, dass Menschen heutzutage in Zugabteilen telefonieren oder private Fotos ins Internet stellen.

Der vielleicht klügste Satz des Buches findet sich dann auch in dessen Schlussbemerkung: „Zweifellos“, ist da zu lesen, unterlägen die Vorstellungen darüber, welche Bereiche des Lebens jemand sich selbst oder seinem engsten Kreis vorbehalten wolle, „einem Wandel in Zeit und technischer Entwicklung“. Dass Veränderung nicht zwingend Verfall bedeutet, dass sie vielleicht auch Teil einer genuinen gesellschaftlichen Entwicklung ist, die es, will man nicht nur andere Medienskeptiker erreichen, eher zu beschreiben als zu verdammen gilt – das ist vielleicht der wichtigste vieler Aspekte von Differenzierung und Beobachtung, die den Autoren im kulturpessimistischen Furor untergegangen sind. Johannes Schneider

Christian Schertz, Dominik Höch: Privat war gestern. Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören. Ullstein Buchverlage 2011. 256 Seiten, 19,90 Euro.

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