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Le Monde: Weltblatt in Wallung

Die Zeitung „Le Monde“ sucht dringend Investoren. Doch mit der Rettung droht der Verlust der Selbstbestimmung bei dem französischen Renommierblatt.

Für viele Journalisten ist es ein unerfüllter Traum, was für die Redakteure von „Le Monde“ seit Jahrzehnten Wirklichkeit ist. Zusammen mit den übrigen Mitarbeitern sind sie Mehrheitseigentümer von Frankreichs bekanntester Zeitung. Gegen ihren Willen kann niemand zum „Directeur“ berufen werden, der, wie in Frankreich üblich, das Blatt in Personalunion als Herausgeber und Verlagschef journalistisch und unternehmerisch führt. Es ist wohl ein einzigartigen Modell redaktioneller Unabhängigkeit.

Geschaffen wurde es 1951 von „Le Monde“-Gründer Hubert Beuve-Méry, um die Redaktion vor den Interessen von Finanz und Industrie zu schützen. Doch damit ist es demnächst vorbei – eine „historische Wende“ für „Le Monde“, wie ihr Direktor Eric Fottorino in der Ausgabe vom gestrigen Freitag schreibt.

In gleich zweifacher Hinsicht kämpft „Le Monde“ ums Fortbestehen – wirtschaftlich und publizistisch. Unter der Last eines Schuldenbergs von hundert Millionen Euro droht dem Pariser Weltblatt der Kollaps. Wenn sich in den nächsten drei Wochen kein Investor findet, der frisches Kapital einschießt, wird der Verlag im Juli Insolvenz anmelden müssen.

Doch mit der Rettung durch neue Investoren, mit denen Fottorino und sein Stellvertreter David Guiraud derzeit verhandeln, wird das Ende des bisherigen Selbstbestimmungsmodells verbunden sein. Noch hält die Gesellschaft der Redakteure als interner Anteilseigner mit den übrigen Verlagsangestellten 52 Prozent des Kapitals. Mit dem Einstieg neuer Aktionäre wird ihr Anteil auf eine Minderheitsbeteiligung schrumpfen – und entsprechend wird ihr Einfluss auf die Geschicke der Zeitung schwinden. „Le Monde“ werde bald nicht mehr „Le Monde“ sein, prophezeit die linke „Libération“.

Wie „Le Monde“ sind auch andere französische Zeitungen von der Pressekrise betroffen. „Libération“ hat mit dem Finanzier Edouard de Rothschild Rettung gefunden, „Le Figaro“ bei dem Flugzeugbauer Serge Dassault. Von den großen Pariser Zeitungen gehört sonst nur noch „Le Parisien“ einem eigenständigen Verlag. Doch auch das populäre Boulevardblatt schreibt rote Zahlen.

Der frühere „Le Monde“-Direktor Jean-Marie Colombani hatte gehofft, die Krise mit der Beteiligung an Regionalblättern und der Übernahme von Zeitschriften zu überwinden. Der Ausbau zu einer großen Mediengruppe führte indes nicht zu den erwarteten Synergien. 2008 musste erstmals ein Sozialplan aufgestellt werden, gegen den die Redaktion revoltierte. Colombani musste gehen, mehrere Titel wurden wieder verkauft; geblieben ist infolge weiter sinkender Auflage (rund 350 000 Exemplare), sinkender Anzeigenerlöse und der Konkurrenz des Internet eine prekäre Finanzlage. Für 2009 weist der Verlag bei einem Umsatz von 400 Millionen Euro 25 Millionen Verlust aus. Neben einem Überbrückungskredit in gleicher Höhe sind weitere 69 Millionen Euro fällig.

Trotzdem wurden gleich mehrere Interessenten bei „Le Monde“ vorstellig. Für Fottorino ein Beweis dafür, dass die Zeitung, die vor zwei Jahren „nicht mehr Herr ihres Schicksals war“, heute von Investoren wieder als „Chance“ angesehen werde. Neben Claude Perdriel, dem Verleger des Wochenmagazins „Le nouvel Observateur“, der bereits zwei Prozent an „Le Monde“ hält, gehören zu den Interessenten die spanische Prisa-Gruppe („El Pais“), der Italiener Carlo de Benedetti („L’Espresso“, „La Repubblica“), der Zürcher Ringier-Verlag („Cicero“, „Blick“), der neben „Le Monde“ Hauptaktionär bei „Le Temps“ in Lausanne ist. Und da ist noch das Investorentrio, zu dem sich der Mäzen Pierre Bergé, der Bankier Mathieu Pigasse, Eigentümer der Zeitschrift „Les Inrockuptibles“, und Xavier Niel, Gründer des Internetanbieters Free, zusammengetan haben.

Ein definitives Angebot hat bisher keiner von ihnen unterbreitet. Nach Einsichtnahme in die Bücher kamen „Nouvel-Observateur“-Verleger Perdriel Bedenken. „Die Verluste sind viel größer als angenommen, das kann und will ich nicht allein schultern“, wird er zitiert. Wen er sich als Partner für einen Einstieg vorstellt, ist unbekannt. Die Prisa-Gruppe, die als externer Aktionär schon mit 15 Prozent am „Le Monde“-Kapital beteiligt ist, steckt selbst in großen finanziellen Schwierigkeiten und verhandelt mit dem US-Investor Liberty Acquisition über eine Übernahme. Und das Interesse von de Benedetti und Ringier scheint noch nicht konkretisiert zu sein. Dagegen gelten die Ambitionen von Bergé, Pigasse und Niel nach Informationen von „Libération“ mit einer möglichen Investitionssumme von 80 Millionen Euro als am weitesten gereift.

Spätestens bis Ende Juni muss der Aufsichtsrat entscheiden. Bis dahin erwartet Fottorino von den potenziellen Mehrheitsaktionären neben einem dauerhaften finanziellen Engagement auch feste Zusagen hinsichtlich der publizistischen Unabhängigkeit der Redaktion. Darauf besteht auch die Gesellschaft der Redakteure. Sie hofft auf vertragliche Vereinbarungen, die ihr bei wichtigen verlegerischen und redaktionellen Entscheidungen ein Mitspracherecht garantieren. Doch erzwingen lässt sich das kaum. „Uns ist bewusst, dass wir weniger Rechte haben werden“, räumt ihr Sprecher Gilles van Kote ein. Wenn es jetzt darum geht, wer als künftiger Investor zum Zuge kommen soll, werden sie noch von ihrem alten Vorrecht Gebrauch können. Es wird das letzte Mal sein.

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