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Leistung durch Leiden: Versöhnen statt verhöhnen

Der B-Promi füllt Fernsehshows und Klatschspalten. Er bekommt wenig Applaus und kassiert ganz viel Häme. Eine Ehrenrettung.

Die FDP war mal eine freche, interessante, herausfordernde Partei. Allein der Kampfslogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ konnte eine Jawoll-Woge in der Bevölkerung provozieren, die sich in Wahlergebnissen kapitalisieren ließ. Dann wurde die FDP ihrem Slogan untreu, die Leistung wurde immer weniger, anders als von der liberalen Partei wurde dies von den Wählern bemerkt. Nach 63 Jahren musste die FDP den Bundestag verlassen. Sie war schon in der schwarz-gelben Koalition der B-Promi.

Hätte FDP-Chef Rainer Brüderle doch mal auf Cindy aus Marzahn gehört. Die Moderatorin des Sat-1-Formates „Promi Big Brother“ hatte den Teilnehmern vor dem Einzug in Berlin-Adlershof glasklare Vorgaben gemacht. Sie „sollten uns und vor allen Dingen den Zuschauern nicht auf den Sack gehen“. Wenn Leute anfingen zu nerven, dann fände sie das immer nicht gut, sagte die Berlinerin. Die FDP hat unendlich genervt, oder?

Der B-Promi, ob Partei oder Mensch, ist eine Figur und eine Erfindung der Mediengesellschaft. Seine Eigenarten, Vorzüge und Nachteile stammen nicht notwendigerweise aus dem wirklichen Leben, sie sind aus medialer Notwendigkeit generiert. Früher, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, wurde im deutschen Fernsehen noch gegen einen Hamster gekämpft: „Vier gegen Willi“ hieß die Samstagabendshow mit Mike Krüger. Und heute? Je mehr der Hamster unter die strenge Kuratel der Tierschützer geriet, desto mehr gerieten Menschen in den Fokus der Medienmacher. Nicht irgendwelche Menschen, sondern Menschen mit den Insignien bekannt und bedeutend. A-Promis wie eine Claudia Schiffer (Model), ein Thomas Gottschalk (Show), eine Maria Furtwängler (Schauspiel).

Auch ein Boris Becker? „BB“ steht auf der Trennlinie zwischen A- und B-Klasse. Als Wimbledon-Gewinner war Becker Tennisgott. Nach seiner Sportkarriere ist er gefallen, nicht eben tief und doch auf eine Aufmerksamkeitsstufe, auf der er Lothar Matthäus, Christine Neubauer oder Sylvie van der Vaart begegnen kann. Dort, wo zum individuellen Können der allgemeine Klatsch kommt, wo Berufliches (weniger) und Privates (mehr) in einer öffentlichen Person aufgehen – und beides von ein und derselben Person bedient wird. B-Promi ist kein Schicksal, B-Promi ist eine Leistung.

Nach unten ist die Skala offen, kennt die Namensliste kein Ende. Neben den Tratsch-und-Klatsch-Riesen „Bild“, „Bunte“, „Gala“, „Exclusiv– Das Starmagazin“ bei RTL tummeln sich Gossip-Adressen wie klatsch-tratsch.de oder promipranger.de. Und das ist nur die Verwerter- und Verstärkerplattform. Sehr viel stärker in der Promi-Produktion ist das Privatfernsehen engagiert. Castingshows, Challengeshows, Konkurrenzen aller Art sind Programm gewordene B-Promi-Beschleuniger. Wer bei „Germany’s Next Topmodel“, bei „DSDS“ auf die vorderen Plätze kommt, der bekommt Angebote für weitere TV-Auftritte. Sehr gern gesehen ist das Format-Modell „Aufsteiger trifft Absteiger“. Über diesen Kreislauf, der sich am deutlichsten im „Dschungelcamp“ abbildet, wird mühelos auch die Ex-Klasse integriert. Also Brigitte Nielsen, Bata Illic, Willi Herren, Susan Stahnke, Nadja Abd el Farrag. Es ist ein durchlässiges System. Und es macht schnell alt: Gina-Lisa Lohfink, vom Model zum It-Girl zur „Besten Selbstvermarkterin“ 2012 gereift, gilt mit ihren Präsenzen in „GNTM“, „Gina-Lisas Welt“, „Big Brother, „Die Alm“ und Brustvergrößerung schon als Veteranin. Gina-Lisa Lohfink ist 27.

Promi-Fernsehen von unten

Zwar ist die Frage, ob der Bedarf an B-Promis wirklich so groß ist oder nur künstlich groß gemacht worden ist, letztgültig nicht zu beantworten, trotzdem ist die Dichte an medialen Pseudo-Stars nicht geringer geworden. Der Boulevard ruft, der Wettbewerb tobt. RTL schickte voller Quotengewissheit „Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika“. Namen tun hier nichts zur Sache, es war Promi-Fernsehen von unten – und es war eine Pleite. Sat 1 reanimierte das Container-TV als „Promi Big Brother“ mehr tapfer als klug. Um das totale Scheitern zu verhindern, werden „Have-Beens“ wie David Hasselhoff und Pamela Anderson aus den Staaten eingeflogen.

Aber die Privatsender glauben voller Trotz (und FDP-gleich) ans Überleben der B-Promi-Formate. Anfang November hetzt der Privatsender bekannte Zeitgenossen in der Reihe „Promi undercover“ in verschiedenen Berufen auf ahnungslose Mitbürger. Also wird der Schauspieler Heiner Lauterbach in der Umwidmung des ARD-Klassikers „Verstehen Sie Spaß?“ als orientierungsloser Taxifahrer in München, Schlagersänger Patrick Lindner als chaotischer Flughafenangestellter agieren. Jürgen Drews und Verona Feldbusch werden nicht fehlen. Geradezu paradigmatisch ist der Einsatz von Moderatorin Gülcan Kamps als penetrante Strandaufsicht auf Mallorca. Ihre letzten Promi-Arbeitsnachweise lauten „Let’s dance“, „Das perfekte Promi-Dinner“, „Promi Shopping Queen“.

Wo früher Schauspielerinnen und Schauspieler Mieder und Lederhosen im Softporno platzen ließen, da war das spätere Argument stets: „Ich war jung und brauchte das Geld.“ Heute lautet die Losung in der B-Promi-Kaste: „Ich brauche das Geld und die Aufmerksamkeit.“ Manche sind mit ihrem Status unzufrieden, manche leben ihren Status aus. Daniela Katzenberger, die pfiffige Kunst- und Kultfigur des White Trash, zieht ordentlich Tantiemen aus ihrem Image. Ihr Buch „Sei schlau, stell dich dumm“ zeigt, dass sie Ruhm für plan- und machbar hält. Die Ehrliche-Haut-Nummer kommt an. Der „Katze“ wird es herzlich egal sein, wofür sie eigentlich bekannt, wenn nicht berühmt ist. Das weiß bei Gina-Lisa Lohfink, Indira Weis, Liliana Matthäus, Ross Antony, Sarah Knappik und Marc Terenzi auch keiner. Aber eine semiprominent besetzte Party ist eine Party, die heraussticht. Danach sehnt sich auch der Friseur um die Ecke. Gerne lässt sich die zweite Reihe aus Show und Soap und Schmiere für rote Teppiche casten, auf die kein A-Promi jemals seinen Fuß setzen würde.

Ist das alles so neu? Dem Schlagersänger Rex Gildo war mal kein Einrichtungshaus für einen Auftritt zu weit. Der Glanz kennt sein ganz großes Elend. Auf jeden Fall muss der B-Promi solch eine Schlagseite haben, dass ein Teil des süchtigen Publikums in Verzückung gerät und der andere sich den Finger in den Rachen steckt. Emotion, Emotion, das ist der Nenner. Verhöhnen statt versöhnen. Auch das hat seinen Wert, wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier mit Blick auf den B-Promi festgestellt hat: „Wir sollten ihn dafür lieben, dass wir ihn verachten dürfen.“

Und die Sender lieben ihn auch, alle Sender. Auch in den (Quiz-)Shows von ARD und ZDF sitzt die allerdings seriöse Semiprominenz vornehmlich aus den eigenen Sendungen. Jan Hofer von der „Tagesschau“ kann da für viele andere einstehen. Zwei Fliegen werden mit einer Sendeklappe erwischt: Nachrichtensprecher Hofer wirbt für die Show und gleichzeitig wirbt er für die „Tagesschau“. Das Risiko des Scheiterns ist eingepreist. Denn Schadenfreude stellt sich beim Versagen von Prominenten immer ein, was erheblich zur Selbstbestätigung der Zuschauer beiträgt. Woran sie scheitern, das macht den Unterschied zwischen den Systemen aus. Nach unten ist das Qualitätsniveau offen.

Das verlangt Opferbereitschaft: B-Promis, die ihre Menschenwürde riskieren, sich zum Affen machen. Schlimm, sehr schlimm, am schlimmsten? Es geht auch eine Nummer kleiner. Der B-Promi bietet ein enormes Entschuldigungspotenzial für das B-Promi-Publikum an. Peinlich, das sind immer die anderen. In dieser Rolle ist der B-Promi ein Sozialarbeiter mit profunden Zuschauerkenntnissen.

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