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Medien: Leo und die Detektive

Von M. Ehrenberg Wer sich in diesen Tagen auf die Suche nach Live-Übertragungen von der Fußball-WM macht, erlebt so manche Überraschung.

Von M. Ehrenberg

Wer sich in diesen Tagen auf die Suche nach Live-Übertragungen von der Fußball-WM macht, erlebt so manche Überraschung. Freunde, die ausländische Sender in ihrem Kabelnetz entdeckt haben. Plötzlich können sie WM-Spiele schauen, die sonst verschlüsselt auf Premiere laufen. Dann finden sich Gastronomen, die in allerletzter Minute die d-Box in ihrer Schenke einstöpseln. Man sollte sie besser nicht fragen, ob sie die Gebühr dafür bezahlt haben. Und hinter all dem entdeckt man die Menschen, die die Gastronomen und die Kabelnetze kontrollieren sollen: die Rechte-Fahnder.

Einer von ihnen ist John Kristick. Er arbeitet bei der Kirch-Sport AG. Die Schweizer Firma überprüft während der Fußball-WM mit einem weltweiten Überwachungssystem die Einhaltung der Fernseh- und Internet-Rechte, die ihr von der insolventen Kirch-Media übertragen wurden. Kristicks Auftrag ist klar. Rund 900 Millionen hatte Kirch für die WM-Rechte an die Fifa gezahlt. Dafür erhielt Premiere die Übertragungsrechte. Tausende sollten sich einen Decoder kaufen, um die komplette WM live zu sehen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Täglich 2500 neue Abonnenten meldete Premiere-Chef Georg Kofler zu WM-Beginn. Bleiben immer noch Tausende Fußball-Fans, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie Geld für etwas bezahlen sollen, was sie jahrzehntelang umsonst bekommen haben. Gefragt sind Alternativen: in Medienkanälen und Hackeranleitungen.

„Uns ist klar, dass wir die Einhaltung der TV- und Internetrechte nicht hundertprozentig überprüfen können“, sagt John Kristick. Kirch-Sport hat extra die Londoner Firma Sports Marketing Surveys (SMS) engagiert, die weltweit, rund um die Uhr, Sendungen überprüft, damit eine unrechtmäßige Nutzung von WM-Bildern verhindert werden kann. Für das Internet nutzen die Fahnder so genannte „Internet Infringement Monitoring Programme“, eine relativ sichere Überwachungstechnik. „Wir steuern die hoch frequentierten Websites mit Sport-Inhalten an, weil ja nur die offizielle Fifa-WM-Site Audio- und Videoinhalte rund um die WM zeigen darf.“ Um die 3000 Seiten kämen da in Frage. Die hätten Kristick und seine Leute „ziemlich gut im Griff".

Kniffliger wird es beim Fernsehen. Vor ein paar Tagen machten Pay-TV-Gegner die Fußball-Fans darauf aufmerksam, dass in grenznahen Gebieten (zu Belgien, Holland, Polen) alle WM-Spiele live zu sehen sind. Ein Zustand, den sich der Rechteinhaber erstaunlich lange hat gefallen lassen.

Erst am Wochenende musste der nordrhein-westfälische Kabelnetz-Betreiber Ish das belgische Programm RTBF aus dem Netz nehmen, weil Kirch-Media eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. „Uns war nicht bekannt, dass wir neben einer Million belgischer Zuschauer auch eine Million deutsche Zuschauer hatten“, so eine RTBF-Sprecherin.

Einigen Berlinern dürfte das Fremdgehen im Kabelnetz bekannt vorkommen. TV Polonia hatte für Polen die WM-Übertragungsrechte von der KirchGruppe erworben. TV Polonia findet sich im Berliner Kabelnetz auf Kanal 31. Da das polnische Nationalteam in der Vorrunde ausgeschieden ist, suchte man nach Live-Bildern am Montag vergebens. Das ZDF stellte sich ganz schlau an. Es platzierte sein WM-Studio am Potsdamer Platz direkt neben einer Großbildleinwand, die die ganze WM live überträgt. Immer wenn dort ein Tor fiel, schmunzelte Sportchef Wolf-Dieter Poschmann („mal sehen, was dort los ist") und die ZDF-Kamera schwenkte auf die Premiere-Bilder, sichtbar für die 15 Millionen TV-Zuschauer zu Hause, die für diesen Live-Service keinen Cent bezahlt hatten. Damit hat Kristick kein Problem, diese Szenen seien in einer „speziellen Übereinkunft“ mit dem ZDF geregelt. Es sei auch nicht so, dass Detektive im Auftrag von Kirch-Sport und SMS weltweit kontrollieren würden, ob Sender mit ähnlichen Tricks versuchen, Live-Atmosphäre auf den Schirm zu zaubern.

„Wir setzen darauf, dass die lizensierten Abnehmer in Europa, Asien, Afrika, Amerika selber darauf achten, ob andere Anstalten unerlaubte Dinge tun und uns das dann melden. Schließlich wollen die das viele Geld nicht umsonst bezahlt haben“, sagt Kristick. Im Großen und Ganzen funktioniere die Medienüberwachung. Nur im Fernsehen von Nordkorea wurden zwei Fußballspieleübertragen, ohne dass Kirch-Media einen Euro dafür gesehen hätte.

Wer darf was für wieviel Geld sehen oder ausstrahlen? Die Frage wird Kirch-Sport AG, Senderchefs und Kabelnetzbetreiber noch länger beschäftigen, wobei die technischen Möglichkeiten im Fernsehen nicht abzusehen sind. Der Job als Rechte-Fahnder könnte John Kristick bald von Satellitenreceivern abgenommen werden. Ob Free-TV oder Pay-TV – die Zukunft von Großereignissen liegt im Digitalfernsehen, glaubt Hartmut Schultz, Sprecher der Kirch-Gruppe. „Dort sind die Übertragungen dann nur noch von ganz bestimmten Receivern zu entschlüsseln. Dies verschafft Urheberschutz und Rechtssicherheit.“

Von solchen Gewissheiten ist das Internet noch weit entfernt. Beinahe hätten Kristicks Fahnder die ARD dingfest machen können: im Netz. Das Magazin „Monitor“ berichtete über den Ausweg für Millionen enttäuschte Fußballfans. Das „Kommando Gerd Müller“ versprach eine kostenlose Übertragung aller WM-Spiele im Internet: unter fussballfueralle.de. Die vermeintlichen Fussballpiraten entpuppten sich jedoch als Satire-Idee. Statt Linke und Ronaldo gab es ein Tischfussballspiel. Tunesien gegen Japan.

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