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Leser-Nachwuchs: Bin Laden trifft Lady Gaga

Zu schlau für „Bravo“, zu cool für „Geolino“, keine Lust auf "SpongeBob" oder "Wendy": Immer mehr Ableger renommierter Zeitschriften peilen die junge Zielgruppe an.

Vielleicht muss es auf Schulhöfen demnächst noch öfter heißen: Was liest du? Immer mehr Zeitschriften bekommen Nachwuchs. Was einst mit „Geolino“ begann, haben „Spiegel“ und „Stern“ längst erfolgreich weitergeführt. Sie nutzen das Image der eigenen Marke, um im unübersichtlichen Kinderzeitschriftenmarkt Aufmerksamkeit zu erzielen. Der jüngste Spross unter den Line Extensions ist nun „Ahoi!“ aus dem Hamburger Mareverlag, der ab dem 1. Juni immer zeitgleich mit dem Mutterblatt, also alle zwei Monate, erscheinen wird. Die Zeitschrift wendet sich laut Marketing-Abteilung an „Sieben- bis 14-Jährige aus einkommensstarken Haushalten, deren Eltern großen Wert auf frühe Bildung auf hohem Niveau legen“.

Das Heft kostet 3,90 Euro, erscheint in einer Druckauflage von 80 000 Exemplaren und beinhaltet nicht nur eindrucksvolle Fotografien und Exklusivtexte von bekannten Kinderbuchautoren, sondern auch eine Zugabe, wie sie sonst eher in Heften wie „SpongeBob“ oder „Wendy“ zu finden sind: einen Beihefter mit kleinen Aufklebern. Während man bei den Gewinnspielen von „SpongeBob“ und Konsorten allerdings nur DVDs oder geschmacklose Bettwäsche gewinnen kann, lockt beim „Ahoi!“-Preisrätsel eine Fahrt in einem echten U-Boot.

Die Themen der ersten Ausgabe, ein Interview mit dem 18-jährigen Weltmeister im Wellenreiten und eine Reportage über einen Jungen auf einem indonesischen Hausboot, könnten so auch im „Stern“-Ableger „Yuno“ oder in „Geolino“ (beide aus dem Verlag Gruner und Jahr) stehen. In all diesen Magazinen geht es um hochwertigen Journalismus, fundiert recherchiert und leicht verständlich aufbereitet. So machen Themen wie Japan, Tschernobyl, Justin Bieber und Borussia Dortmund aus „Yuno“ eine 90-seitige Wundertüte für Kinder, die zu schlau für „Bravo“ (Auflage 403 000) und zu cool für „Geolino“ (217 000) sind. Dabei wird die Gruppe der Zehn- bis 14-Jährigen angepeilt.

Doch genau das ist auch die Schwierigkeit, findet Kathrin Kommerell, Autorin des Buches „Journalismus für junge Leser“. „Kinder zwischen Kindheit und Pubertät sind eine extrem heterogene Zielgruppe mit dauernd schwankenden, wechselnden Interessen und Identitäten“, sagt sie und fragt sich, ob das „Stern“-Prinzip vom Bauchladen in diesem Alter überhaupt greift.

Die ersten zwei Testausgaben von „Yuno“ wurden nach Verlagsangaben im vergangenen Jahr immerhin je 45 000 Mal verkauft. Daher erscheint das Magazin nun seit April alle zwei Monate mit einer Druckauflage von 110 000. Entstanden ist die Illustrierte für Kinder beim hausinternen Ideenwettbewerb „Grüne Wiese“ 2009.

Redaktionsleiter Florian Gless, der außerdem Ressortleiter „Deutschland und Gesellschaft“ beim „Stern“ ist, glaubt, dass sich Kinder als Leser gar nicht so sehr von Erwachsenen unterscheiden: „Sie wollen genauso ernst genommen, fasziniert und gut unterhalten werden.“ Das heißt, es werden aktuelle Themen aufgegriffen, weitergestrickt und eingeordnet. „Kinder brauchen Stellungnahme und untermauerte Meinung“, sagt Buchautorin Kommerell, die für die evangelische Kirche das Kindermagazin „Benjamin“ herausgibt. „Sie haben altersgemäß ein starkes Bedürfnis nach einer ethischen Einordnung, weil sie selbst starke Meinungen und eine ausgeprägte Empathie haben.“ Tatsächlich gelingt es „Yuno“ auf diese Weise, Information, Spaß und Meinung glaubhaft und sympathisch zu präsentieren, auch wenn das schnipselige Häppchen-Layout recht gewöhnungsbedürftig ist.

Um Meinungen geht es auch in „Dein Spiegel“, der seit Dezember 2010 monatlich erscheint und eine verkaufte Auflage von 72 000 Exemplaren erreicht. Kathrin Kommerell nennt es ein „Nachrichten- und Meinungsmagazin für die Kinder der informierten, bildungsbürgerlichen Meinungsträger“ und lobt „attraktive Sprache, journalistischen Anspruch und kindgerechte Zugänge“. Hier finden sich nebeneinander Geschichten zu den Grünen, Osama bin Laden, der Firma Nestlé, zu Lady Gaga oder der Honigbiene. Zielgruppe sind die Neun- bis Zwölfjährigen, was etwas gewagt scheint.

Ein Kind, das gerade mal halbwegs flüssig lesen gelernt hat, wird die Erörterung der heiklen Frage „Durften die Amerikaner Osama bin Laden einfach so erschießen?“ wohl kaum verstehen. Andererseits, den neuen Kinderzeitschriften geht es auch um die Zielgruppe der Eltern, die, von Förderwillen getrieben, ihrem Kind eben so viel Bildung wie möglich angedeihen lassen wollen. Es hat dann auch schon etwas von einem Statussymbol, wenn mein Kind „Spiegel“- oder gar „Zeit“-Leser ist. „Die Zeit“ hat im vergangenen Sommer erstmals ein 70-seitiges „Kinderheft“ für Leser ab sieben Jahren herausgebracht – ein anspruchsvoll illustrierter Mix aus Wissen, Basteln und Rätseln auf hochwertigem Papier für den Preis von 4,95 Euro. Die „Bravo“ kostet 1,40 Euro.

Nun entwickelt der Verlag das Zweimonatsheft „Zeit Leo“, das sich an Kinder ab acht Jahren richtet. „Das Themenspektrum soll so sein, dass die jungen Leser Spaß daran finden, sich mit völlig neuen Dingen auseinanderzusetzen“, sagt Objektleiterin Christiane Dähn. „Kinder an das Lesen heranzuführen, ist uns seit langem ein Herzensanliegen. Der Start von ,Zeit Leo’ im September ist da nur ein weiterer Schritt.“

Da macht es auch nichts, wenn Kinder im Zeitungsladen noch nicht gleich nach „Dein Spiegel“ oder „Zeit Leo“ fragen, sondern aus alter Gewohnheit nach dem coolsten Gimmick Ausschau halten. Bei der Zeitschrift „SpongeBob“ für 3,20 Euro aus dem Verlag Egmont Ehapa, angelehnt an die gleichnamige amerikanische Zeichentrickserie, gab es kürzlich eine rückwärts laufende Uhr.

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