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Zu neuen Ufern. 31 „Tatorte“ und 14 Jahre lang hatte Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes) den Blick stets auf den Bodensee gerichtet. Jetzt geht es nach Portugal.

© SWR/Hollenbach

Letzter "Tatort" mit Eva Mattes: Eine Seele von See

Müdigkeit war ihr Schicksal: Eva Mattes tritt als Konstanzer „Tatort“-Kommissarin ab. Nach 31 Krimis und 14 Jahren ist das zu verschmerzen

Bei der Nachrichtenagentur dpa fand sich vor Jahren ein Satz zum Begrenzer Opernfestival, dem keiner widersprechen kann: „Die Existenz des Bodensees ist für die Bodenseefestspiele unabdingbar.“ So ist es. So blieb es auch in all den 30 „Tatorten“ am malerischen See mit der Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes), ihrem etwas später hinzugestoßenen Assi Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) und der Sekretärin „Beckchen“ (Justine Hauer), der treuen Schwabenseele.

In der Erinnerung an die 14-jährige Amtszeit der Kommissarin Blum kommt es einem vor, als habe der See alle Krimispannung erfolgreich gedämpft. Da mochten raukehlige Kommissarskollegen aus der Schweiz der deutschen Polizistin über den See zu Hilfe kommen (und sogar Erotik mitbringen), da trieben verbrechertragend Millionärsjachten über die Wellen – Frau Klara behielt als stets korrekte Wacht die Übersicht. Gedankentief ließ sie den Blick selbst bei Nebel über das Gewässer schweifen, als käme Seele vom Wort „See“.

Die am häufigsten zu sehenden Blum-Attitüden: Bedächtigkeit, Disziplin, strenge Mütterlichkeit. Eine rundgesichtige Madonna vom Bodensee, die uns Fernsehkinder beruhigte und nicht selten in den Zuschauerschlummer sinken ließ. Sie war in frauenbewegter Zeit gestartet als Fortsetzerin der Kommissarinnen-Tradition beim Südwestrundfunk. Ein weiblicher Maigret, eine sensible Unprovinzielle in der unsensiblen Provinz. Verbrecherjagd auf asoziale Reiche war ihr Kerngeschäft, zunehmende Müdigkeit ihr Schicksal. Und nun in der 31., der Abschiedsfolge mit dem superfetzigen Titel „Wofür es sich zu leben lohnt“ (Regie: Aelrun Goette, die mit Sathyan Ramesh auch das Buch schrieb) wird es da anders sein? Ganz ohne Seele, ganz ohne unabdingbaren See?

Der Bodensee wieder in einer tragenden Rolle

Erst mal nicht. Das Gewässer ist gleich in den ersten Bildern in einer tragenden Rolle zu sehen. Über den Bodensee gleitet – Fackeln leuchten – ein Boot mit einem aus vielen Wunden verblutenden Mann, der auf Laub und Äpfel gebettet ist. Das Gefährt trägt nicht, wie es der adventliche Sendetermin nahelegen könnte, eine teure Last, und das Segel der Liebe fehlt gänzlich. Der Sterbende, er heißt – nomen non omen – Josef Krist (Thomas Loibl). Er war ein rechter Demagoge, wie Rückblenden zeigen. Ein bigottes Ekelpaket, nicht hilfreich, sondern bloß einflussreich.

Dieser rechte Hassprediger passt eigentlich ins Beuteschema der Kripo-Seniorin Blum – auf also zum großen Krimi-Halali. Doch, erfahren wir, die Jägerin ist schwach geworden, physisch und psychisch krank am Herzen, voller Sehnsucht nach Ruhe und Abschied. Assistent Kai Perlmann kann das nicht fassen, er liebt nun mal reife Frauen wie Klara, er begreift nicht, dass die Abschiedsstunde geschlagen hat.

Die krimiübliche Fahndung nach dem Mörder des rechten Hasspredigers verläuft ohne große Überraschung an. Das Wo-waren-Sie-zum-Mordzeitpunkt drögt vor sich hin. Die Ehefrau des Ermordeten (Julia Jäger) und die Tochter der Eheleute (Paula Knüpling) werden verhört. Schweizer Kollegen arbeiten an einem nicht ganz unähnlichem Fall, dem Mord an einem Finanzgauner. Reiches Schwein, eiskalte Witwe – der Erzählproporz zwischen SWR und dem mit finanzierenden Schweizer Fernsehen fordert sein den Zuschauer irritierendes Recht. Hüben und drüben hängen die Handlungsstränge ziemlich unverbunden herum, und der Zuschauer fragt sich, lassen es die Macher mit den Bildern vom Leerräumen des Blum-Büros an Abschiedssymbolik bewenden?

Tun sie nicht. Sie schicken die 68er-Gespenster los. Perlmann bringt Geheimnisse ans Licht, die von einer für sein Gemüt unerhörten Wandlungsfähigkeit von Ex-Linken handeln. Die Krist-Gattin, fabelhaft von Julia Jäger gespielt, gibt die zur Rechten hirngewaschene Ehefrau, aber Perlmanns Spannerblick beobachtet den Triumph-Tanz des politischen Chamäleons Anna Krist. Der Tiger auf ihrem entblößten Rücken zuckt zur Stakkato-Musik von Händel und Sinead-O’Connor-Songs. Hat sie ihre neurechte Gesinnung nur gespielt? Perlmann ist fasziniert, eine teuflische Weiblichkeit aus vergangenen Zeiten überwältigt ihn. Er befragt die Muttergöttin Klara, sie schweigt. Ihre eigene Seelenrettung ist ihr genug.

Für Blum haben sich die Macher eine ganz besondere Abschiedsfalle ausgedacht, die auf die Tatsache zielt, dass Eva Mattes mal Mimen-Küken in der Fassbinder-Familie war, diesem sattsam durchgenommenen Intrigantenstadl, in dem der große Rainer Maria Schauspieler quälte, Frauen unterdrückte und große Filme machte. Die müde Kommissarin, so hat sich die Dramaturgie ausgedacht, gerät in ein einsames Seeuferhaus, darin die Fassbinder-Megären wesen.

Schauriges Hexenspiel

Lieb gemeint, aber schrecklich ernüchternd. Hanna Schygulla chargiert als dauergrinsende, menschenfressende Kräuterhexe aus Leibeskräften. Allein, wenn sie das Wort „kleinblütige Bergminze“ herauskünstelt oder die ermüdete Klara mit dem Hinweis zu trösten versucht, das Leben sei eine „Zicke“, ein „Luder“, das alle wollen würden, kann man sich nicht vorstellen, dass Blum für einen Augenblick glauben kann, sie sei in einer neuen Heimat angekommen. Auch Irm Hermann in der Rolle einer bellenden Zeremonienmeisterin oder Margit Carstensen als bösartig gewordenes Muttertier wirken mit ihren Allerweltsweisheiten mehr nach Pflegeheim als nach lebendiger Fassbinder-Gedenkstätte.

Höhepunkt des schaurigen Hexenspiels: Vor den Augen der Kommissarin wollen die tollen Trullas einen an einen Esszimmerstuhl gefesselten Textilgeschäftsmann (Matthias Habich) abmessern. Blum verhindert es. Die Hexen legen mit einem Benzin-übergossenen Boot vom Steg ab. Sie summen die Internationale. Auf zum letzten Gefecht – Ironie oder Gaga? Wer versteht die Signale?

Der unabdingbare See hat seine Schuldigkeit getan. Klara ist frei, sie bricht mit dem Auto Richtung Portugal auf. Perlmann sieht dem entschwinden Wagen hinterher, da fällt Klaras Briefkasten herab. Post mit Aufforderungen, vergangene Krimizeiten wieder aufleben zu lassen, wird es nicht mehr geben, könnte das heißen. Auch keinen Advent für solche stillen Figuren mit ehrwürdiger Vergangenheit wie Mattes’ Klara. Schade muss nicht geseufzt werden.

„Tatort: Wofür es sich zu leben lohnt“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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