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Medien: "Lindenstraße": Beimer-Dämmerung

Beim Zehnjährigen der "Lindenstraße" sparte der Westdeutsche Rundfunk noch mit übertriebenen Feierlichkeiten. Nur die Zahl Zehn war in der Jubiläumsfolge x-Mal im ARD-Bild: Auf Rückseiten von Fotoalben, an Hausecken, in Bilderrahmen an der Wand.

Beim Zehnjährigen der "Lindenstraße" sparte der Westdeutsche Rundfunk noch mit übertriebenen Feierlichkeiten. Nur die Zahl Zehn war in der Jubiläumsfolge x-Mal im ARD-Bild: Auf Rückseiten von Fotoalben, an Hausecken, in Bilderrahmen an der Wand. Bei Folge 700 im letzten Jahr wartete man schon mit einer Riesenparty auf der Bundesgartenschau in Magdeburg auf. Jetzt, zum 15-jährigen Bestehen der deutschesten aller Serien, feiert sich das Team seit einer Woche, taucht im ARD-Frühstücksbuffet auf, bei Ulla Kock am Brink in der Lottoshow oder in der Reportage beim Set.

Alle Räder sind in Bewegung gesetzt, um der kränkelnden Serie den Kult zu erhalten, den sie längst verloren hat. Die "Lindenstraße" war zwar schon immer eine schlechte Angewohnheit, aber eine, über die man in den achtziger Jahren jeden Montag sprach. Im Zapping-Verfahren sahen wir konzentrierte deutsche Realität. Alles von Aids bis Zölibat wurde problematisiert. Die Themen zeigten Wirkung: Der erste Zungenkuss von Schwulen im deutschen Fernsehen irritierte Pädagogen und Wächter der guten Sitten. Und als Papa Sarikakis von Türken gefoltert wurde, teilte gar der türkische Botschafter Kanzler Kohl seine Bedenken mit.

Natürlich lachte man darüber, dass einer Handvoll Familien all das passiert, was sonst nur in der Zeitung steht. Doch die Kunst war: Es geschah soviel so langsam. Auf die Frage: Was war gestern in der "Lindenstraße", konnte man nicht viel sagen. Meist machte Mutter Beimer Spiegeleier, Frau Griese schwatzte beim Frisör, und Else Kling putzte die Treppe. Das offene Ende wurde deshalb so kultig, weil es künstlich dramatisierte, wenn Mutter Beimer sich nach der Spiegeleier-Session auf die Waage stellte. Aber die Serie schaffte es, dass schwul eben nur schwul ist und ein Behinderter nicht ständig den Rollstuhl problematisieren muss.

Die Geschichten und die Figuren entwickelten sich langsam. Um Klausi Beimer in den Sog der Neonazis zu schicken, ließ man vier Jahre vorher die Ehe der Beimers scheitern und Klausi peu à peu orientierungslos werden. Den langen Atem haben die Dramaturgen längst verloren. Handlungsstränge werden zügig abgewickelt, Vorspiel, Höhepunkt und Aus. Jede Figur ist scheinbar zu allem fähig, egal wie ihre Vorgeschichte ist. Mary schneidet Olaf den Penis mit der Geflügelschere ab, der brave Doktor Dagdelen wird zum skrupellosen Erpresser, Tanja ist erst Gattenmörderin, dann nette Heulsuse. Und Else putzt schon lange nicht mehr. Eine moderne Soap eben, wie man sie täglich sehen kann. Die schlechte Angewohnheit "Marienhof" hat man sich nur schon länger abgewöhnt.

Tina Angerer

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