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Ohne Blut an der Stirn. 14 Autoren wie Gunther Geltinger (hinten stehend) stellen sich in diesen Tagen beim Klagenfurter Literatur-Wettbewerb mit ihren Texten den kritischen Augen und Ohren der Jury um Burkhard Spinnen (vorne). Foto: Johannes Puch/ORF

© Puch Johannes

Literatur-TV: Antifernsehen, rosarot

14 Autoren, drei Tage Lesung live, ein Sender mit Kulturauftrag – der Ingeborg-Bachmann–Preis in Klagenfurt als TV-Event.

Das Ingeborg-Bachmann-Lesen in Klagenfurt ist ein Unikum im deutschsprachigen Fernsehen. Rund sechzehn Stunden lang übertragen ORF und 3sat die halbstündigen Lesungen und die anschließenden Diskussionen der Jury, live und ungeschnitten. „Antifernsehen“ hat das ein Kritiker genannt. Passieren tut hier tatsächlich nicht viel. Ein Autor liest einen Text, sieben Literaturkritiker bewerten das Gelesene, eine Moderatorin stellt die Autoren vor. Da sind dann ein Hut, der neben einem Kritiker liegt, das rosarote Sakko einer Jurorin, wie in diesem Jahr das von Meike Fessmann, oder ein Autor, der nach der Lesung sein Manuskript aufisst, wie 2009 geschehen, echte Ereignisse. Und da ist natürlich der berühmte Auftritt von Rainald Goetz, der sich 1983 Schnitte in seine Stirn ritzte und blutend seinen Text las, Fernseh- wie Literaturgeschichte. Wiewohl diese Goetz-Performance nicht live übertragen wurde. Erst 1989 wurde der 1977 unter anderem von Marcel Reich-Ranicki nach dem Vorbild der Gruppe 47 ins Leben gerufene Wettbewerb in Gänze live gezeigt.

Allerdings versuchen die Verantwortlichen von ORF, 3sat und des Bachmann-Wettbewerbs, Lesungen und Diskussionen ein bisschen anzureichern. Mit einer besonderen Dekoration des Bühnenbilds zum Beispiel. Der aus Villach stammende Künstler H.P. Maya hat in diesem Jahr eine Installation geschaffen, die große, weiße Papierstapel zeigt. Einer davon dient als Pult, die anderen liegen davor und vor den ebenfalls weißen Tischchen der Jury. Das suggeriert Bewegung, aber auch eine gewisse Unordnung, wie es sich für die Produktion von Literatur womöglich gehört, wie es sich ein bildender Künstler so vorstellt bei Schriftstellern zu Hause.

Die Kameras innerhalb des ORF-Studios sind ständig in Bewegung: der Autor oder die Jury von hinten, ganz nah, ein Schwenk auf den gedruckten Text. Zudem werden mit Spiegeln hinter der Jury besondere Effekte erzielt. Auch das Publikum ist Teil der Inszenierung. Immer wieder fahren Kameras Reihen der Zuschauer ab. Der Literaturbetrieb kann sich hier schön selbst beim Zuhören und Lesen betrachten. Zudem hat es immer wieder Pläne gegeben, entscheidender in den Wettbewerb einzugreifen. Eine Zeit lang wurde diskutiert, ob nicht Schauspieler die Texte lesen sollten, weil viele Autoren zwar anständige Schreiber, aber schlechte Vorleser waren. Das wurde wieder verworfen. Hätten Schauspieler, so die Überlegung, die Texte allein durch ihre Performance interpretiert, ihnen bestimmte Richtungen gegeben – eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung. Heutzutage sind solche Diskussionen nicht mehr denkbar. Die Autoren haben gelernt, sich vor Kameras zu bewegen. Von ihren Agenten werden sie zu Medienprofis geschult. Dass sie gut vorlesen können, versteht sich einfach, was wiederum für eine gewisse Gleichförmigkeit sorgt.

Das führte vor vier Jahren dazu, den Wettbewerb auf andere Weise schneller und telegener zu machen. Zum einen durch den Wechsel des Moderators. 2007 führte statt dem ewig brummelnden, sich nobel zurückhaltenden Ernst W. Grandits Dieter Moor durch die Lesetage. Seine Moderation beinhaltete nicht nur Wortzuweisungen und Vorstellungen, sondern Witzchen, Sprüche, mitunter gar Fragen an die Autoren vor oder nach ihrer Lesung. Das kam nicht gut an.

Zum anderen entschied man damals, die Teilnehmerzahl von 18 auf 14 zu reduzieren, die Jury zu verkleinern und den Wettbewerb an zwei statt an drei Tagen auszutragen, mit der Verkündung der Sieger nicht erst Sonntagmorgen, sondern Samstagabend, um 20 Uhr. Das brachte die Jury auf. Sie beklagte sich, zu wenig Zeit zu haben, um zu einer Entscheidung zu kommen. Und es nützte bezüglich der Einschaltquoten nichts. Die blieb niedrig: 30 000 bis 50 000 Zuschauer schauen bei 3sat während der Bachmann-Preis-Tage zu. Das entspricht einem Marktanteil von 0,2 bis 0,4 Prozent, bei einem Prozent Marktanteil, den 3sat sonst im Schnitt hat. So läuft die Übertragung dieses Wettbewerbs unter dem „kulturellen Auftrag“ der Öffentlich-Rechtlichen, verdankt sich bei der Einschaltquote aber selbst bei einem Sender wie 3sat der vorgenommenen Mischkalkulation. Erfolgssendungen wie die 3sat-Pop-Reihen machen die Live-Übertragung des Ingeborg-Bachmann-Lesens erst möglich.

Insofern nahm man von dem Experiment mit Dieter Moor wieder Abstand. Seit 2008 wird wieder an drei Tagen gelesen und am Sonntag der Preis verliehen. Die österreichische Journalistin Clarissa Stadler führt durch den Wettbewerb, anfangs wie Moor etwas aufdringlich, inzwischen trotz einiger Aussetzer („Frau Fessmann hat eben eine andere Meinung als Sie, Herr Spinnen!“) zurückhaltend. Es ist unspektakulär, was hier passiert, das Wort siegt über die Bilder. Was nicht zuletzt an der Jury liegt. Die gibt sich lieber analytisch, als dass sie aufgeregt agiert. Von dem Furor, der das „Literarische Quartett“ vor allem in der Person Marcel Reich-Ranickis auszeichnete, ist die Klagenfurter Jury weit entfernt. Sie dient der Literatur, nicht dem Fernsehen. Ein rosarotes Sakko, ein himmelblau schimmerndes Hemd oder knallgrüne Bachmann-Preis-Täschchen müssen als Zugeständnisse ans andere Medium reichen.

35. Tage der deutschsprachigen Literatur live, 3sat, 9 Uhr 45 bis 14 Uhr. Preisverleihung am Sonntag ab 11 Uhr 30.

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