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Erst lesen, dann schauen: Die WDR-Produktion „Du bist dran“ (linkes Foto) mit Lars Eidinger, Ursina Lardi (M) und Johanna Scharf hat Suzanne Pradel bei der Adaption des Buches beraten, der TV-Film wird im April im Ersten ausgestrahlt. Für den Kinofilm „Tom Sawyer“ mit Louis Hofmann (l.) und Leon Seidel hat Pradel das Drehbuchgutachten erstellt. Fotos: WDR/dpa

© picture alliance / dpa

Literatur-Verfilmungen: Die Roman-Jägerin

Literatur für die Leinwand: Wie die Berlinerin Suzanne Pradel nach spannenden Stoffen für Film und Fernsehen sucht.

Dafür, dass sich Suzanne Pradel hauptberuflich mit Literatur beschäftigt, ist ihr Büro im Berliner Stadtteil Friedrichshain erstaunlich leer. Die beiden Regale an den weiß gestrichenen Backsteinwänden zieren wenige Bücher und ein paar Ordner, auf dem aufgeräumten Schreibtisch summt ein Laptop neben einer dünn mit Papieren gefüllten Plastikablage. Suzanne Pradel lacht. „Das ist nur ein Übergangsbüro. In dem Haus, in dem mein richtiges Büro ist, wird gerade der Dachstuhl ausgebaut. Im anderen Büro sieht es ganz anders aus, da stapeln sich die Bücher und Manuskripte bis unter die Decke.“

Suzanne Pradel ist Buchscout. Ihr Job ist es, Romane und Erzählungen danach zu analysieren, ob sie für eine Verfilmung geeignet sind. Nun kann man meinen, dass unser Fernseh- und Kinoprogramm doch eigentlich voll ist mit Literaturverfilmungen: „Die Vermessung der Welt“ und „Ruhm“ von Daniel Kehlmann, „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink, „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser, „Sherlock Holmes“, „Hexe Lilli“, zahlreichen Krimi-Adaptionen oder die ganzen Harry-Potter-Filme, um nur einige zu nennen. „Das stimmt schon“, bestätigt Pradel, „aber in Wirklichkeit liegt der Markt ziemlich brach. Denn den Produktionsfirmen fehlen sowohl Zeit als auch Personal und Know-how, um strukturiert und zielorientiert nach solchen Stoffen zu suchen.“ Genau da sah Pradel die Marktlücke – und ihre Chance. Vor vier Jahren beschloss sie, aus einer sicheren Festanstellung in die Unwägbarkeiten der Selbstständigkeit zu wechseln.

Vorher hatte hat die 45-Jährige als Dramaturgin, Autorin und Lektorin bei einer großen Fernsehproduktionsfirma gearbeitet, wo sie an zahlreichen nationalen und internationalen Produktionen mitgewirkt hat. Doch obwohl ihr die Aufgabe Spaß gemacht hat, kam sie an den Punkt, an dem sie feststellte: Das ist es nicht. „Dadurch, dass die Zeitspanne für die Produktion von Filmen immer kürzer und der Druck immer höher wird, arbeiten die Produktionsfirmen fast nur noch mit arrivierten Autoren, aber kaum mit jungen. Deshalb habe ich überlegt, wie man Film und Buch professioneller miteinander verbinden kann. Denn ein Roman stellt eine gute Basis dar, mit der man das Vertrauen von Redakteuren gewinnen kann.“

2009 startete sie „BuchScout – Agentur für filmische Adaptionen“ mit fünf freien Mitarbeitern. Das Angebot umfasst Romansuche, Adaptionsanalyse, die Vermittlung von Romanrechten, Lektorat, Projektbegleitung, die Erarbeitung von Präsentationen für Sender, Verleiher und Förderer sowie Übersetzungen in Deutsch, Englisch und Französisch. Doch obwohl sie viele Leute und die Strukturen in der Branche kennt, weiß, wer was produziert und welche Themen gerade gefragt sind, war die erste Zeit mühsam. Denn erstens sei es nicht leicht, in der Masse der jährlichen Neuerscheinungen Bücher zu finden, die sich für eine anspruchsvolle Verfilmung eignen. Zweitens müsse sie viel Überzeugungsarbeit leisten – ein langer Prozess mit vielen Gesprächen, Telefonaten, E-Mails und langen Perioden, in denen sie auf Antwort wartete.

Auch die Frage, wer ihre Arbeit bezahlen soll, war anfangs ein Problem. Ihr Konzept stieß zwar auf Interesse, aber vom Budget, den Tantiemen oder seinem Anteil wollte niemand etwas abgeben. Mittlerweile hat sich das geändert. Verlage, Redakteure, Produzenten oder auch Autoren, die ein Buch veröffentlicht haben, treten an sie heran, bitten sie um Analysen, ob ein Werk Chancen auf eine Verfilmung hat oder fragen sie, wie man einen Roman am besten verfilmen kann. Und bezahlen sie auch dafür. „Buch funktioniert anders als Film“, erklärt sie. „Wie ein Architekt einen Rohbau mit Leben erfüllt, übersetzen wir einen Roman in einen Film, weisen auf mögliche Schwierigkeiten hin, bieten Lösungsvorschläge an oder schreiben gleich ein Adaptionskonzept.“

Bisher hat Suzanne Pradel mit ihrer Agentur schon einige Projekte erfolgreich betreut, unter anderem den Kinofilm „Hanni und Nanni“ (Regie: Christine Hartmann) oder die TV-Produktion „Du bist dran“ (WDR, Regie: Sylke Enders), dazu hat sie zahlreiche Drehbuchgutachten erstellt wie zum Beispiel zu „Tom Sawyer“ (Regie: Hermine Huntgeburth) und „Eine dunkle Begierde“ (Regie: David Cronenberg).

Aktuell arbeitet sie mit dem belgischen Regisseur Hans Van Nuffel an der Entwicklung seines neuen Kinofilms „Equator“ und bereitet den Roman „Jacob beschließt zu lieben“ von Catalin Dorian Florescu, Gewinner des Schweizer Buchpreises und Eichendorff-Literaturpreises 2011, für eine mögliche Verfilmung auf.

In ihrer Wohnung drängen sich in einem drei Meter langen und fast vier Meter hohen Regal Tausende von Büchern in zwei Reihen hintereinander. „Mittlerweile kaufe ich kaum noch Bücher, sondern lade sie mir aufs iBook runter“, sagt Pradel. Um zu entscheiden, was sich auf dem unübersichtlichen Büchermarkt zu lesen lohnt, arbeitet Pradel so zeitsparend und effektiv wie möglich. Beim Sport hört sie zum Beispiel auf ihrem iPod Büchersendungen und Buchkritiken, die sie haufenweise abonniert hat. „Wenn mich was interessiert, frage ich erst beim Verlag nach, wie es mit den Rechten aussieht, und nur, wenn die frei sind, lese ich das Buch.“

Zurzeit sucht sie vor allem Stoffe, die sich für deutsch-französische Kino-Koproduktionen eignen. Für Pradel, die außer Deutsch perfekt Englisch und Französisch spricht und schreibt, ist das „die ideale Spielwiese. Ich habe selbst eine europäische Biografie und fühle mich da sehr zu Hause.“

Der deutsche Fernsehmarkt wird sich ihrer Einschätzung nach weiter in Richtung internationale Koproduktionen entwickeln müssen, da sich sonst der Trend, dass deutsche Sender immer weniger produzieren, weiter verschärfen wird. „Bisher geht die Entwicklung eher dahin, preiswert Produkte auf dem amerikanischen Markt einzukaufen, als selbst zu produzieren“, sagt sie. „Oder es werden nonfiktionale Sachen gemacht wie ,Bauer sucht Frau’ oder ,Dschungelcamp’. Aber es gibt immer mehr Plattformen im Internet wie Youtube und iTunes, die guten Content brauchen, das ist auch für mich ein interessanter Bereich.“

Während der Berlinale ist Pradel in den vergangenen Tagen von morgens bis abends unterwegs gewesen. Filme anschauen, Leute treffen, Termine vereinbaren. Was ist gerade Trend? Was will das Publikum sehen? Wie ist ein Film gemacht und wie hätte man ihn vielleicht anders machen können? Das sind Fragen, die sie sich auch dann stellt, wenn sie privat ins Kino geht. Zu ihrem Freizeitvergnügen lese sie seit Monaten nichts mehr, sagt sie. „Ich lese und schreibe ja den ganzen Tag, da brauche ich als Ausgleich was anderes und gehe dann lieber ins Kino.“

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