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Loveparade und "Titanic": Beschwerderekord

Noch nie zuvor hat es beim Deutschen Presserat so viele Beschwerden gegeben wie in diesem Jahr. Auslöser der Protestwelle ist jedoch nicht allein die Berichterstattung über das Unglück bei der Loveparade.

Schnell kursierten Fotos und Videos von Menschen in Todesangst sowie notdürftig abgedeckten Leichen im Netz, nachdem am 24. Juli bei der Loveparade in Duisburg eine Massenpanik ausbrach und 21 Menschen starben. Viele Zeitungen, Magazine und Portale bestückten mit diesen Bildern ihre Artikel, Foto- und Videostrecken. Noch am selben Abend hagelte es beim Deutschen Presserat Beschwerden: 245 – so viele wie noch nie zu einem Anlass.

Auch insgesamt verzeichnet das Selbstkontrollorgan der deutschen Verlage 2010 einen Beschwerderekord. Rund 1600 Beanstandungen erwartet der Presserat bis Ende des Jahres, 300 mehr als 2009. Erstmalig hat es mit 690 Beanstandungen mehr Proteste über Berichte, Fotos und Videos im Netz gegeben, als in Zeitungen und Zeitschriften (460 Beschwerden). Das gab der Deutsche Presserat am Donnerstag bei seiner Jahrespressekonferenz in Berlin bekannt.

„Diese Zahlen bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass sich die Qualität der Presse insgesamt verschlechtert hat oder insbesondere im Online-Bereich gegen den Pressekodex verstoßen wird“, sagte Bernd Hilder, Sprecher des Presserats und Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“. Denn trotz des Beschwerderekords blieb die Zahl der Rügen durch den Presserat in etwa gleich. Das Gremium sprach 2010 bisher 21 öffentliche und sechs nichtöffentliche Rügen aus, 2009 waren es 22 öffentliche und acht nichtöffentliche Rügen.

Grund für die gestiegene Zahl der Beschwerden ist zum einen, dass diese seit 2009 auch online eingereicht werden können, also schneller und unkomplizierter. Denn dem Formular einen Link zu einem im Internet veröffentlichten Artikel anzuhängen, ist einfacher, als einen Zeitungsausschnitt einzuscannen oder einzuschicken. Wohl auch deshalb wurden mehr Beschwerden über Veröffentlichungen im Netz eingereicht.

Hinzu kommt, dass die die meisten Bilder und Videos von der Massenpanik in Duisburg im Netz veröffentlicht wurden. Fast alle Beschwerden zur Loveparade-Berichterstattung richteten sich gegen „Bild“ und Bild.de. Der Presserat sprach gegen Bild.de eine öffentliche Rüge aus, weil explizit über das Sterben eines der Opfer berichtet wurde.

Als besonders problematisch bewertet das Gremium, dass sich Journalisten in sozialen Netzwerken wie Facebook bedienen, um an Fotos und weitere persönliche Angaben von Opfern zu gelangen – ohne vorher Angehörige um Einverständnis zu fragen. „Auch wenn die Menschen in den Netzwerken privaten Daten veröffentlichen, bedeutet das nicht, dass diese auch für die Medienöffentlichkeit gedacht sind“, sagte Hilder. Bei seiner Sitzung im März will sich der Rat mit der journalistischen Nutzung von sozialen Netzwerken befassen.

Auch die „Titanic“ hat zum Beschwerderekord 2010 beigetragen. Das Satire-Blatt hatte auf seinem Cover anlässlich der Diskussion zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche den gekreuzigten Jesus gezeigt, vor dem auf Höhe des Genitalbereichs ein Pfarrer kniet. Knapp 200 Beschwerden gingen beim Presserat wegen dieses Titelbilds ein, weil sich Menschen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten. Der Presserat erteilte der „Titanic“ aber keine Rüge, weil die Karikatur von der Pressefreiheit gedeckt ist.

Gesunken sind 2010 die Beschwerden wegen Schleichwerbung. Ob Zeitungen und Zeitschriften ihren Anzeigen- und Redaktionateil tatsächlich besser trennen, oder Verstöße lediglich seltener angezeigt wurden, geht aus den Zahlen nicht hervor. Sonja Pohlmann

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