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LUST DES GRAUENS: Mein Freund, der Lieblingsfeind

Das Fernsehen füttert die Lust an der Reizfigur: Warum wir Oskar Lafontaine und Freddy Krueger und Tatjana Gsell brauchen.

Margot Käßmann wäre es beinahe geworden. Und wurde stattdessen das Gegenteil. Ein deutscher Außenminister war es nie. Und hat es jetzt geschafft. Lieblingsfeind für ein großes Publikum zu sein. Denn: Wenn Westerwelle wettert. Wenn Bohlen brüllt. Wenn Lafontaine lamentiert. Dann geht es ihnen um Aufmerksamkeit. Die sie bekommen. Dann schaffen sie Zuschauern aber auch die Lust des Grauens. Durch Auftritt, Argumente, Assoziationen. Eine der wichtigsten Triebfedern für Fernsehen ist die Aufregung über TV-Figuren. Trotzdem schaffen sie eine seltsame Bindung. Der Begriff „Lieblingsfeind“ beschreibt es perfekt. Die Faszination dafür entsteht im Kindesalter. Der Teufel im Kasperle-Theater erhält mehr Entzückensschreie als der Kasper selbst. Die Horrorfigur Freddy Krueger verlängert den Effekt hinein ins Jugendalter. Und derzeit geriert sich Guido Westerwelle offenbar mit kalkulierter Wollust als Kasper-Teufel für Erwachsene.

Jeder kennt natürlich aus Nachbarschaft, Schule, Beruf und Web das Phänomen der zutiefst abgeneigten Persönlichkeit. Ja, komischerweise ist sie selbst Grundlage mancher Ehe. Das Leitmedium par excellence für Lieblingsfeinde aber ist immer noch das Fernsehen. Franz-Josef Strauß war der Inbegriff der televisionären Reizfigur. Ein Pionier! Der Feind kann nie widersprechen, man muss sein Urteil selten korrigieren. TV konzentriert sich auf einzelne zugespitzte Eigenschaften. Man entkommt differenzierten Argumenten. Trotzdem entsteht genügend Plastizität, um zu glauben, die ganze Persönlichkeit beurteilen zu können: Habitus, Kleidung, Gestik, Mimik. Was wäre Thilo Sarrazin ohne seinen Mund. Wunderbar! Schließlich gehört zur Bindung an Lieblingsfeinde die Regelmäßigkeit der Wiederkehr. Geschickte Ruhmsucher platzieren sich bewusst als Kontroverspersonen. Politische Karrieren beginnen so.

Die Symptome aufseiten der Zuschauer sind eindeutig: Körperliche Reaktionen, begeistertes Hinschauen. „Wenn ich Lafontaine sehe, wird mir schlecht.“ Auch der kritische Geist setzt aus. Man lässt keine differenzierenden Informationen mehr zu. Im Austausch mit anderen wird gelästert. „Komm schnell, da redet schon wieder die Steinbach!“ Herrlich für das Gemeinschaftsgefühl!

Das Phänomen verlangt nach einer Typologie. Urtyp ist der archaische Bedrohungsfeind. Wir haben in der Evolution durch Fluchtreflexe bei Existenzgefährdung überlebt. Auf einen Knall, ein gefährliches Wesen (!), eine plötzliche Situationsänderung reagieren wir mit höchster Aufmerksamkeit, um sofort abhauen zu können. Der Fernseher ist meist nicht gefährlich. Bis auf den seltenen elektrischen Schlag, die Implosion oder gelegentliche Ehestreitigkeiten übers Programm. Und so wirken zwar die Bilder archetypischer Bedrohungsreize auf unsere Reflexe. Wir können uns aber sofort entspannt zurücklehnen. Es sind nur Bilder. Der angenehme Nervenkitzel bleibt. Nosferatu, der Frosch-mit-der-Maske, Freddy Krueger und alle Filmbösewichte reizen uns. Und auch ein Ahmadinedschad, der Präsident Irans, löst entsprechende Reaktionen aus.

Gern projizieren wir auch eigene Erfahrungen auf den Bildschirm. Denn die armen Fernsehgestalten können sich nicht wehren. Bewusst und unbewusst werden schlechte Erfahrungen aus der eigenen Biografie auf neutrale Personen übertragen. Bemitleidenswerte Schauspieler, Moderatoren und Fernsehstars, die wahlweise Vater, Mutter, dem oder der Ex ähnlich sehen, müssen dann für deren Sünden herhalten. Besonders wirksam ist der Mechanismus bei einer verlorenen Liebe. Haarfarbe oder Statur können ausreichen, um Ausrufe wie „gesindelige Gsell, fieser Foffi“ auszulösen. Gerecht ist das selten. Das Gegenteil können sie nicht beweisen.

Ein wichtiges Motiv ist der Neid. Hier hat das Boulevardfernsehen gleich ein ganzes Genre geschaffen, die Reichenspecials. Meist nur begrenzt sympathische Leute, fettbackige Protzer, geliftete Schabracken, führen uns ungehemmt ihre finanzielle Potenz vor. Der gnädige Sender zeigt sie allerdings häufig so prollig und unsympathisch, dass der Neid ein wenig abgemildert wird. Dem potenziell seelenvergiftenden Neid steht der Balsam der Selbsterhöhung durch den sozialen Vergleich mit Lieblingsfeinden gegenüber. Wenn eine betrunken erscheinende Naddel seltsame Sätze sagt, wenn Boris Becker schlechte Amateurvideos mit hilflosen Glückwünschen präsentiert. Dann wächst unser Selbstbewusstsein in ungeahnte Höhen. Kein Wunder, dass wir solche Szenen immer wieder sehen wollen! .

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Nicht jede Lieblingsfeindschaft ist emotional oder sozial bedingt. Ein Ärgernis sind den meisten auch die, die eigene Werte und Erkenntnisse herausfordern. Besonders, wenn sie sich dabei im Ton vergreifen. Sarrazin schaffte es damit auf die Nummer eins der „Tip“-Jahresliste peinlicher Berliner. Zwar stimmten viele der angeblich richtigen Diagnose zur Integrationsverweigerung zu. Doch seine Wortwahl, seine eigenen, Demagogie streifenden Feindbilder machten ihn selbst zum beliebten Feind.

Westerwelle verkörpert noch besser die Eigenschaften eines Lieblingsfeindes. Er beleidigt nach Ansicht vieler die Intelligenz, indem er Selbstverständlichkeiten als Neuerkenntnis präsentiert und sich als tapferer Held geriert. Er etikettiert große Gruppen als Schmarotzer, die die meisten eher als Opfer sehen. Die Wortwahl generalisiert und nährt Pauschalurteile. Lösungen fehlen. Dies in Wiederholung, mit Zuspitzung, Vereinfachung, mangelnder Wärme. Die Kriterien Popanz, Polarisierung, Penetranz und Permanenz sind erfüllt. Durch wohl bewusste Positionierung als Lieblingsfeind. Um die Zustimmung einzelner Milieus zu erreichen, allgemeines Profil allemal. Die aktive Ausgrenzung vieler grenzt ihn aber potenziell selbst von noch viel mehr Menschen aus. Fast die Sucht zum Lieblingsfeind.

Fatal kann die Lieblingsfeindschaft dann werden, wenn Fernsehpersönlichkeit und private Person, wenn Rolle und Realität auseinanderklaffen. Auf Filmbösewichte abonnierte Schauspieler werden auch als Privatperson zum Feind erklärt. Blöd, wenn sie es nicht aus Imagegründen selbst so wollen. Claude-Oliver Rudolph ist so ein Fall. Schräg im Schauspiel, provokant in der Presse, angenehm im Ambiente privater Gesellschaft.

Lieblingsfeinde schaffen Ambivalenz. Beim Film zwischen Realität und Fiktion. Noch mehr aber bei einem plötzlichen Bruch in der öffentlichen Wahrnehmung. Da wurde jüngst das Fräulein Hegemann zu einem Feuilletonstar hochgeschrieben. Kurzes Stottern der Medienmaschine dann, als Plagiatsvorwürfe sich bestätigten. Etliche reagierten auf die enttäuschte, jetzt schon alte Liebe mit neuer (Lieblingsfeind-)Feindschaft. Mehr aber interpretierten kurzerhand ihre Begeisterung um, sprich „Remix“, und konnten so die Zuneigung halten. Klassische Reduzierung kognitiver Dissonanz. Und der Markt weiß jede Variante der Aufmerksamkeit zu nutzen.

Margot Käßmann schließlich hatte kurz das Potenzial zu einer Lieblingsfeindin. Rasch enttäuschte Zuneigung nach dem Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der Aufforderung zur Askese, dem Auffallen durch Alkohol. Und das auf Basis eines hohen Medienprofils und zuspitzender Einmischung in die Politik. Schnell zog sie die Reißleine und trat zurück. Auch wenn bei einem Verbleiben sie und ihr dann steinigerer Weg dem Amt vielleicht gut getan hätten. Doch wer will mit einer solchen Hypothek leben. Jetzt ist sie allen eine Lieblingsfreundin. Trotzdem: Liebe Lieblingsfeinde, wir lieben euch!

Professor Jo Groebel ist Direktor des Deutschen Digital Instituts und hat sich als Medienpsychologe in zahlreichen Studien und Veröffentlichungen mit den Wirkungen und Motiven rund um Medien befasst.

Jo Groebel

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