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Hachmeister

© promo

Lutz Hachmeister: „In Berlin wird jetzt Weltstadt gespielt“

Jetzt sind sie zusammen: Metropole, Politik und Journalismus. Das hat Folgen. Ein Gespräch mit dem Beobachter Lutz Hachmeister.

Welche Rolle spielt Berlin im heutigen Journalismus?

Wer im Augenblick im politischen Journalismus mitspielen will, muss in Berlin sein. Seit dem Regierungsumzug sind Hauptstadt, Metropole und Journalismus in der Bundesrepublik zum ersten Mal zusammengekommen. Man zeigt sich untereinander oder mit Politikern und Society-Figuren in Berlin-Mitte, im Borchardt, Einstein Unter den Linden, jetzt sind noch das San Nicci und der Grill Royal dazugekommen. Da wird jetzt Weltstadt gespielt, das ist im Grunde eine Aufholbewegung. Wirklich interessante Informationen bekommen Journalisten, wie wir ja aus der Geschichte wissen, eher bei Treffen mit Informanten in Tiefgaragen. Und ich verrate Ihnen etwas: Die wichtigen Gespräche finden in Charlottenburg oder in Sacrow statt.

Was ist der Unterschied zu Bonn?

Der Unterschied besteht im geselligen Miteinander. Es wird anders mit dem Regieren umgegangen, es gibt seit Schröder und Fischer neue Regierungsstile. Das ist der Berlin-Effekt. Es gibt eine neue Partykultur der Kapitale, sie wird vor allem von Klaus Wowereit verkörpert. Außerdem kommt jetzt eine Generation von Journalisten in die Führungspositionen, die stärker von 1989 als von 1968 und den kulturellen Folgen geprägt ist.

Hat eine andere Medienstadt noch eine Bedeutung?

Eine abnehmende Bedeutung, das war seit dem Hauptstadtbeschluss klar. Natürlich sitzt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in Frankfurt, die „Süddeutsche“ in München und „Spiegel“, „Zeit“, dpa und „Stern“ in Hamburg. Aber die Hauptstadtbüros aller großen Blätter sind personell enorm aufgestockt worden, die Zahl der in Berlin akkreditierten Auslandskorrespondenten ist sehr angewachsen, die „Welt“ ist hier, die „Bild“-Zeitung kommt. Berlin fehlt allerdings ein starker Fernsehsender, sowohl öffentlich-rechtlich wie privat.

Bei Presse und Online-Medien sehe ich eine wachsende Bedeutung Berlins, weil es aufgrund der ökonomischen und technologischen Entwicklung zu Kooperationen oder gar Fusionen kommen wird, die sich im Moment erst andeuten. Das wird auch das antiquierte Kartell- und Medienrecht aushebeln, von dem der Berliner Pressemarkt besonders geprägt ist.

Ihr letztes Buch widmet sich gezielt jüngeren Entwicklungen im politischen Journalismus. Was hat sich verändert?

Die politischen Polaritäten sind verschwunden. Heute kann ohne großen öffentlichen Aufschrei jeder mit jedem koalieren – das hätte es zwei Jahrzehnte zuvor nicht gegeben. Dieser Umstand wirkt sich auf den Journalismus aus: Wenn alles möglich ist, gegen was soll ich dann noch kommentieren? Deshalb suchen sich Journalisten zunehmend andere Themen außerhalb der klassischen Politik.

Zum Beispiel?

Politischer Journalismus im herkömmlichen Verständnis ist unwichtiger geworden. Heute können Doping im Leistungssport, die Spielarten des Religiösen oder Servicethemen zu Aufmachern in den Zeitungen und Magazinen werden. Auch Fernsehsender nutzen die Möglichkeiten der politischen Recherche kaum noch aus. Es gibt einen Siegeszug des Feuilletons, der Wissenschaftsreportage, der Beschreibung von Lebensstilen.

Zeigt sich genau darin nicht auch eine neue Macht des Journalismus, nämlich die, Themen auf die Agenda zu setzen?

Das ist richtig. Zugleich geht es aber zulasten des herkömmlichen politischen Journalismus. Man kann sagen, der Journalismus hat sich damit entgrenzt, zum anderen wird er beliebiger. Ich bedauere diese Entwicklung gar nicht, aber wir bekommen ein neues Politikverständnis im Journalismus, über das vor allem die politische Klasse nachdenken muss. Sonst wird nur noch der alte Betrieb simuliert.

Zumal sich die Taktung der Nachrichten durch die neuen Medien immens beschleunigt hat.

Ja, vor allem die Taktung von Pseudo-Nachrichten. Morgens liest man auf „Spiegel-Online“ oder sonst wo, dass die CSU Edmund Stoiber als Nachfolger von Horst Köhler vorschlagen will, weil er, allen Ernstes, ein Mann der jungen Leute und Held der Arbeiter sei. Abends dementiert dann Stoiber, dass er Bundespräsident werden will.

Wie eine Maschine dreht sich die journalistische Welt immer schneller - und alle machen mit?

Es gibt eben diese Bonner Figuren mit einer gebrochenen Biografie nicht mehr, wie Herbert Wehner, der schlecht sitzende Anzüge getragen und Genossen damit ausgetestet hat, wie lange sie mit ihm schweigen konnten. Der hat sich überhaupt nicht um irgendwelche In-Restaurants gekümmert. Aber der Journalismus in Deutschland hatte nach 1945 auch eine andere Ausgangslage. Das Land lag in Trümmern, es gab den Kalten Krieg, dann die Bedrohung durch einen Nuklearkrieg. Inzwischen ist die Demokratie eingespielt, es gibt kaum noch öffentliche Proteste. Es geht um Bürokratien. Das ist nicht wirklich spannend. Man kann dann nur noch Bedrohungen von außen übersteigern – all das, was nach dem 11. September 2001 passiert ist, oder die diffusen Gefahren und Chancen der Globalisierung.

Also doch ein Verlust des Politischen?


Ich habe in dem Buch von einer „Resistenz des Politischen“ gesprochen, die sich unter der Oberfläche der Mediengesellschaft und ihrer Talkshows herstellt. Also die Arbeit der Bundestagsausschüsse, der Ministerialbürokratie, der Lobby-Gruppen. Das vollzieht sich alles viel zäher und resistenter, als es die mediale Oberfläche vorspiegelt. Da hat sich eigentlich nicht viel verändert.

Brauchen die Politiker in Zukunft überhaupt noch Journalisten? Angela Merkel spricht mittlerweile ohne journalistische Vermittlung durch ihren Podcast zum Volk.

An
gela Merkels Podcast ist eben nicht sehr relevant. Die Multiplikation von Botschaften im Internet spielt eine Mechanisierung des Journalismus auch eher vor. Nach wie vor haben etablierte Medienunternehmen, Nachrichtenagenturen, Journalisten, überhaupt professionelle Urheber von Texten, Bildern und Filmen eine enorme Macht, Themen und Stile zu setzen. In Zeiten eines medientechnologischen Umbruchs investieren die Medienkonzerne jetzt stärker in die Verteilformen als in die journalistische Substanz. Das wird sich auch wieder ändern, da bin ich ganz sicher.

Aber man wird an den Online-Medien nicht vorbeikommen, oder?

Ne
in, warum auch, schon jetzt ist alles Online in einem Netz, Radio, Fernsehen, Fotografie, Musik, Games, Print. Das Internet fügt alle bisherigen Medien auf einer höheren technologischen Ebene zusammen. Es macht auch bisherige Vorstellungen von Regulierung hinfällig. Neulich habe ich gelesen, eine Untergruppe der deutschen Landesmedienanstalten habe beschlossen, dass Websites eine Rundfunklizenz beantragen müssen, wenn Bewegtbilder zeitgleich von 500 Klicks aufgerufen werden. Da wird mit alten Begriffen wie „Rundfunk“ hantiert, in typischem Rückspiegeldenken, damit alte Zuständigkeiten erhalten bleiben. Aber das ist der übliche Zirkus der deutschen Medienpolitik.

Dabei wäre es wichtig, mediale Entwicklung wie zum Beispiel Google zu beobachten.

Ja, da
s ist ein Anachronismus. Google kann transnational machen, was es will. Der Konzern verteilt zum Beispiel ganz unschuldig Pornografie aller denkbaren Formen weltweit, während die Landesmedienanstalten sich hier mit sogenanntem Jugendschutz die Zeit vertreiben. Man braucht im Grunde öffentliche Institutionen, die mit den Googles dieser Welt satisfaktionsfähig kommunizieren können. Die Datenakkumulation von Google wäre ein wichtiges Thema, aber auch die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten. Es gibt ja ernstzunehmende Hinweise, dass Google mit CIA und NSA zusammenarbeitet, weil die Rechnerkapazität von Google viel größer ist, als die der Geheimdienste. Also, was folgt daraus? Das ist doch eine wichtigere Frage, als solche Begriffskataster, ob ein Videoblog vielleicht Rundfunk ist.

Auch rückständig: Die Führungspositionen im Journalismus werden nach wie vor von Männern besetzt. Ändert sich das?

Zu 95
Prozent werden die Elitemedien noch von Männern geführt, nehmen Sie das traditionell frauenlose Herausgebergremium der „FAZ“, die Chefredaktionen von „Spiegel“, „Süddeutscher Zeitung“, „Welt“. Gut, die „taz“ hat eine Chefredakteurin, bei der ARD gibt es nach 50 Jahren reiner Männerdominanz jetzt mal zwei Intendantinnen. Im Grunde ist das Mediengeschäft nach wie vor ein Männerbund, ein Jungsclub. Aber das wird sich unweigerlich ändern. Wenn man genauer hinsieht, gibt es im Journalismus sehr viele Reporterinnen, die den Betrieb feiner analysieren und beschreiben als die direkt in die publizistisch-politische Klasse verwickelten Männer. Sie machen nur nicht so viel Getöse darum.

Welche weiteren Veränderungen kommen auf den Journalismus zu?

Im Int
ernet wird alles auf einer elektronischen Fläche wieder zurückgeholt. Da haben Sie die Chats, die Communities, die Blogs und Vlogs und Pornos, aber auch den klassischen Journalismus in extremer Nähe. Und jüngere Nutzer vertrauen dem Internet fast alles an, sie geben sich dem Medium in erstaunlicher Weise preis. Ein technologischer Kommunismus, der den faulig gewordenen politischen Kommunismus ersetzt hat. Das ist die Sehnsucht nach egalitären Strukturen, die McLuhan schon in den 1960er Jahren beim Aufkommen des Fernsehens vohergesagt hat.

Journalisten fühlen sich dadurch marginalisiert. Doch es geht in diesem Beruf darum, Zeitgenosse der gesellschaftlichen Verhältnisse, der politischen Dramen und der Comédie humaine zu sein. Publizisten, die sich durch realistischen, zeitgenössischen Stil und Recherche auszeichnen, sind weiterhin kenntlich und wertvoll. Also: kein Ende des Journalismus in Sicht.

Das Interview führte Mercedes Bunz.

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