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Medien: „Man kann ja nicht alle entlassen“

Lutz Hachmeister über den Schleichwerbungsskandal und die Frage, wie die ARD da herauskommt

Trotz der Kündigungen der vergangenen Woche geht der Skandal um Schleichwerbung und Korruption in der ARD weiter.

Das ist jetzt ein Flächenbrand. So funktioniert Journalismus nun einmal. Die Diskussion koppelt sich stark vom eigentlichen Thema Schleichwerbung ab und wird sicher in eine Generaldebatte um Aufgaben und Sinn des öffentlichrechtlichen Rundfunks münden. Zumal sich jetzt jeder äußert, egal, ob er kompetent ist oder nicht. Jeder hat einen Fernseher, jeder versteht etwas von Medien.

Die CDU fordert schon den Rücktritt von ARD-Programmchef Günter Struve.

Die christdemokratische Politik versucht, den der SPD nahe stehenden Programmdirektor anzugreifen, als Ausgleich für die Kündigung des Bavaria-Chefs Thilo Kleine, der offensichtlich gute Kontakte zur CSU hatte. Das ist ein Hauen und Stechen, ein politisches Spiel, das mit dem eigentlichen Sujet nichts mehr zu tun hat.

Bei James-Bond-Filmen akzeptieren alle, dass Autos gesponsert sind. Was ist das Problem von Schleichwerbung im Fernsehen?

Product Placement ist dann gefährlich, wenn es zu Korruption und Schattenwirtschaft führt. Aber man wird nicht chirurgisch die Warenwelt aus dem Fernsehen heraushalten können. Bei großen Shows ist es mir völlig egal, ob Herr Gottschalk seine Gummibärchen schwenkt.

Bei „Wetten, dass…?“ ist bekannt, dass die hohen Produktionsbudgets nicht ohne Sponsoren zusammenkämen. Warum regt sich darüber keiner auf?

Ich glaube, weil die Menschen Gottschalk ohnehin als Werbeträger wahrnehmen. Der „Marienhof“-Skandal, wenn es denn einer ist, erscheint klandestiner, mehr unter der Decke, und das macht es für Journalisten attraktiver, dort weiter nachzubohren. Beim „Marienhof“ wurden die Drehbücher offensichtlich umgeschrieben, um Produkte von interessierten Wirtschaftsunternehmen zu integrieren. Man konnte sich einkaufen in ein öffentlich-rechtliches Programm. Das geht natürlich nicht. Das ist ein Einfallstor, hinterher wird es zur Gewohnheit.

Die Sportchefs von HR und MDR, Jürgen Emig und Wilfried Mohren, haben über Sportereignisse dann berichtet, wenn sie Geld dafür bekamen. Sind das Einzelfälle?

Das glaube ich nicht, aber da kann man nur spekulieren. Im Grunde ist jeder Redakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in der Rolle eines Auftraggebers, wie bei Vergaben öffentlicher Gelder in der Bauwirtschaft. Und da besteht die Gefahr, dass man unter der Hand Geld oder Vergünstigungen von demjenigen zurückbekommt, an den man den Auftrag vergibt. Das muss scharf überwacht werden, weil es sonst zu enormen Wettbewerbsverzerrungen kommt.

Im Fall von Mohren und Emig muss es doch offensichtlich gewesen sein…

Wenn das in den Sendern nicht weithin bekannt war, sind die Verantwortlichen blind und taub durch die endlosen Flure gelaufen. Mit wem wer verheiratet ist, und was die Ehefrauen tun, spricht sich normalerweise herum.

Man hat weggesehen…

…ja, solange man nicht selbst attackiert wird, lässt man es laufen. Dummerweise.

Kann die ARD sich selbst nicht mehr kontrollieren?

Bei der Schleichwerbung war nicht die fehlende Kontrolle das eigentliche Problem, sondern das fehlende Unrechtsbewusstsein. Viele Produzenten haben das Verbot von Schleichwerbung für passé gehalten. Sie haben sich als Teil einer Gesellschaft gesehen, die von Werbung durchdrungen ist. Bei der Bavaria war das Product Placement offenbar Teil eines harten Expansionskurses. Das Gesamtvolumen der eingeworbenen Gelder – 1,5 Millionen Euro – ist lächerlich. Soviel kostet ein einziges Fernsehspiel. Aufwand und Ertrag standen in keinem Verhältnis. Das ist eher traurig, dass man sich anstrengt über Jahre für 1, 5 Millionen Euro und dann in solch einen Skandal gerät.

Warum schlägt die Affäre dann solche Wellen?

Weil wir in einer Zeit sind, in der wieder stärker über Regeln, Moral und Werte diskutiert wird.

PR-Agenturen produzieren mittlerweile sogar vollständige Beiträge zu Themen, die von Redaktionen übernommen werden.

Ja, Service- und Wissensmagazine würden sehr viel teurer werden, wenn es nicht zugelieferte Beiträge oder extrem enge Kooperationen gäbe. Dieser Bereich ist noch nicht ausgeleuchtet. Einen Beitrag „Wie entsteht ein Gummibärchen“ kann man ohne Haribo schlecht machen.

Wird das der nächste Skandal sein?

Der Begriff „Skandal“ ist vielleicht zu stark dafür. Aber der Zug rollt jetzt. Die Recherchen werden weitergehen.

Wo könnte die Debatte hinführen?

Sobald die Personalfragen geklärt sind – man kann ja nicht alle entlassen, jeder wusste immer irgendwas von dem, was der andere getan hat – dann muss die Diskussion in ein Regelwerk münden.

Wie soll das aussehen?

Ich glaube, der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut gut daran, sich vom Product Placement komplett fernzuhalten. Man mag vielleicht große Shows und Sportereignisse ausnehmen, die sonst nicht stattfänden. Dort muss das Sponsoring dann aber klar ausgewiesen werden. Ansonsten plädiere ich für eine Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also für das BBC-Modell.

Wer soll die neuen Regeln kontrollieren, die Rundfunkräte?

Ich bin für eine einheitliche Rundfunkaufsicht von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten nach dem britischen Modell. Da gibt es die Ofcom, also ein zentrales, allem Anschein nach kompetentes Gremium.

Auch für die Privaten ist Product Placement in Deutschland verboten.

Da bin ich für eine Lockerung. Die müssen es mit sich ausmachen, wie weit sie gehen wollen. Wer Product Placement zu ostentativ betreibt, schadet sich selbst. Auch die Privaten müssen ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit ausstrahlen.

Sollte die ARD den Privaten die Unterhaltung, in der das meiste Product Placement steckt, ganz überlassen?

Nein. Die Öffentlich-Rechtlichen sollen die „Sportschau“ und „Wetten, dass…?“ ruhig behalten. Ein Vollprogramm ist ein Gemischtwarenladen, und das halte ich für wichtig. Aber es muss eine Neujustierung geben. Die ARD muss diskutieren, warum interessante Dokumentarfilme nur noch um 23 Uhr 30 gesendet werden, sich aber eine große Produktionstochter hingebungsvoll mit der Einwerbung von 1,5 Millionen Euro durch Product Placement beschäftigt. Da stimmt etwas nicht.

Das Gespräch führte Barbara Nolte.

Lutz Hachmeister ist Gründungsdirektor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Für seinen Film „Schleyer - eine deutsche Geschichte“ erhielt er den Grimme-Preis.

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