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Medien: Manche wünschen ihn zum Teufel

Kurt Röttgen, 57, ist seit Oktober 2000 Chefredakteur der "Abendzeitung". Der Pfeifenraucher aus dem Rheinland begann seine journalistische Laufbahn bei der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Kurt Röttgen, 57, ist seit Oktober 2000 Chefredakteur der "Abendzeitung". Der Pfeifenraucher aus dem Rheinland begann seine journalistische Laufbahn bei der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Danach war er sechs Jahre bei der "Welt", zuletzt als Sportchef. Das war Röttgen dann auch bei der "AZ" - von 1982 bis 1984. Nach fünf Jahren beim "Spiegel" wurde Röttgen 1989 Chef des Kölner "Express".

Sie haben in Berlin eine Wohnung, sind aber Chefredakteur der Münchner "Abendzeitung". Es soll Leute geben, die finden, München sei die schönste Stadt Deutschlands. Ist die Zeitungsstadt München auch schöner?

Neben Berlin ist München der meistumkämpfte Zeitungsmarkt in Deutschland. Ich denke, in Berlin ist er noch eine Spur härter.

Sie sind also in einer geruhsameren Lage? Immerhin haben Sie mit der "tz" und der "Bild-München" gleich zwei direkte Konkurrenten auf dem Münchner Boulevard.

Im Vergleich zu den beiden anderen hat die "Abendzeitung" die höchste Auflage ...

... wobei die anderen aufholen ...

Wir haben im dritten Quartal 2001 im Vergleich zum Vorjahr 226 Exemplare verloren. Damit können wir gut leben.

Das gilt für die München-Ausgabe. Die Gesamt-Auflage schrumpfte um 1129 auf knapp unter 180 000 verkaufte Exemplare. Hatten Sie sich, hatte sich Ihr Verlag nicht mehr erhofft?

Natürlich. Das ist ja aber auch normal.

Dass der Verlag hinter Ihnen steht, sieht man daran, dass Ihr Zweijahresvertrag, beginnend im Oktober 2000, gerade um ein Jahr verlängert wurde ...

Das ist so nicht ganz richtig. Der Verlag und ich haben vereinbart, langfristig zusammenzuarbeiten. Was die Auflage angeht, ist es nicht gerade von Vorteil, dass wir teurer sind als die anderen. Erst im Juli haben wir den Preis von 1 Mark 10 auf 1 Mark 20 erhöht, während "Bild" 90 Pfennige und die "tz" unverändert eine Mark kosten. Aber es ist nun mal so, dass wir die einzige Zeitung sind, die in diesem Verlag erscheint ...

... im Gegensatz zur "tz", die im Verbund mit dem "Münchner Merkur" arbeitet ...

richtig. Das heißt, dass Synergien im Redaktions- und Anzeigenbereich bei uns nicht möglich sind. Wir können auf diese Weise nicht sparen. Wichtig war und ist daher, die Stellung der "AZ" im Bewusstsein der Münchner zu verankern. Für Münchner ist die "Abendzeitung" ihre Zeitung: aufgrund ihrer Tradition - sie ist 1948 gegründet worden - und wegen der Qualität. Sie ist immer etwas Besonderes gewesen.

Was macht das Besondere aus?

Diese Mischung aus München-Bezogenheit und gleichzeitiger Weltläufigkeit.

Seitdem Sie Chefredakteur der "Abendzeitung" sind, hat sich einiges verändert. Das Blatt ist schriller und lauter geworden.

Wir arbeiten gerade daran, die Zeitung optisch leicht verändert Anfang Januar neu zu präsentieren. Sie wird dann leichter, eleganter ...

... das tun sie gemeinsam mit Ihrem neuen Art Direktor Martin Geiger, der die "AZ" noch von früher kennt. Heißt das, Sie drehen die Lautstärkeregler, die Sie erst aufgedreht haben, nun wieder runter?

Wir sind beim Thema Seite eins, oder? Dass die unter meiner Regie boulevardesker geworden ist, also auch lauter und bunter, kann ich ja schlecht leugnen.

Oft hat sie einen ordentlichen Schuss Gelb.

Das Gelb ist hässlich, es gefällt mir auch nicht. Wir werden es abschaffen. Wenn schon gelb, dann wärmer, weniger grell. Inhaltlich hat sich die "Abendzeitung" überhaupt nicht verändert. Mit der Seite drei und dem Feuilleton haben wir zum Beispiel Elemente, die es in diesem Format und mit diesem Anspruch in keiner anderen deutschen Boulevardzeitung gibt.

Dann verspricht die Seite eins also etwas anderes, als die Zeitung im Innenteil hält?

Sie müssen das Blatt ja auch verkaufen. Einerseits dürfen wir die Abonnenten nicht verprellen, die morgens nicht von großen Buchstaben erschlagen werden wollen. Andererseits sind wir eine Boulevardzeitung, die auf der Straße oder am Kiosk mit der Schlagzeile einen Kaufimpuls auslösen muss. Das ist ein täglicher Spagat.

Was für einen Typ von Leser haben Sie vor Augen? Wie ist der? Wo geht er abends hin?

Er ist tief verwurzelt in dieser Stadt. Er ist höher gebildet als der Leser der anderen Boulevardblätter. Die "Abendzeitung" ist nach meiner Meinung ein Stück Münchner Kultur und spricht deshalb den Leser aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten an. Den, der ins Bräuhaus geht ebenso wie den, der nach dem Theaterbesuch im Nobel-Restaurant teuren Wein trinkt. Wenn Sie so wollen: In der "Abendzeitung" findet sich der Fan von 1860 ebenso wieder wie die Bussi-Gesellschaft.

Wenn die "AZ" im neuen Jahr wieder ruhiger wirken soll, haben Sie also eingesehen, dass Sie es mit dem Poltern übertrieben haben?

Ich kann doch nicht ausschließen, dass das im Tagesgeschäft auch mal passiert ist. Die Komposition der Seite eins hat sicherlich nicht immer hundertprozentig gestimmt.

Wie entgegnen Sie Vorwürfen, die "Abendzeitung" nähere sich der "tz" an?

Die Unterschiede betreffen Inhalt, Haltung, Qualität. Laut Redaktionsstatut ist die "Abendzeitung" festgelegt auf eine kritisch-liberale Grundhaltung, sie engagiert sich an vorderster Front gegen Rechts. Und sie vermittelt ein Stück Leben dieser prallen Großstadt München. Aber sollen wir denn auf die attraktivste Schlagzeile des Tages verzichten, nur um nicht in Konkurrenz mit unseren Mitbewerbern zu treten? Natürlich gab es zum Beispiel kritische Fragen innerhalb der Redaktion und von aufgebrachten Abonnenten, ob denn die siebte oder achte Schlagzeile zum Ehe- und Sexleben der Beckers sein musste. Es gab auch einige persönliche Briefe an mich, in denen Leser den Chefredakteur zum Teufel gewünscht haben. Aber unterm Strich hatten wir die besten Verkaufszahlen zu der Zeit, als Boris und Babs der Öffentlichkeit ihren Rosenkrieg vorführten. Ich will die "AZ" weiß Gott nicht mit dem "Spiegel" vergleichen ...

... bei dem Sie früher gearbeitet haben ...

doch der Becker-Titel war dort einer der bestverkauften des Jahres. Das heißt, dass sich die Menschen für Klatsch interessieren. Der 11. September, die Bombardierung Afghanistans, und gleich darauf der Weinkrampf von Verona Feldbusch im Fernsehen - das waren unsere Auflagen-Highlights der letzten Monate. Ein normaler politischer Vorgang interessiert die Menschen nicht so, dass sie deshalb die Boulevardzeitung kaufen. Es muss schon ein großes Ereignis sein.

Alle Verlage haben unter dem sehr schwierigen wirtschaftlichen Jahr gelitten. Wie hat sich das auf die "AZ" ausgewirkt, die ja auch keine schwarzen Zahlen mehr schreibt?

Wir haben ein sehr schweres Jahr hinter uns. Die explodierenden Papierkosten und die Anzeigenflaute haben uns voll erwischt.

Welche Konsequenzen müssen Sie ziehen?

Wir reden mit Mitarbeitern über Altersteilzeitlösungen.

Wie viele Stellen sollen abgebaut werden?

Wir haben vom Verleger die Zusage, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Das heißt aber auch, dass nicht alle frei werdenden Stellen neu besetzt werden.

Halten Sie die Hauptstadt-Berichterstattung tatsächlich für so nutzlos, dass Sie das Berlin-Büro bald schließen wollen?

Der Kollege in Berlin ist 58. Es haben bereits Gespräche mit ihm stattgefunden, wie er zum Modell der Altersteilzeit steht. Da reden wir aber nicht vom kommenden Jahr, dem Jahr der Bundestagswahl, sondern von einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Als Journalist kann ich die Schließung nicht wollen. Aber irgendwo muss ein Verlag ja anfangen zu sparen. Dafür habe ich auch Verständnis.

Sie haben in Berlin eine Wohnung[sind aber Chefre]

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