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Gregor Gysi beim Mini-Golf mit Tochter Anna

© MDR/Lona media

MDR-Dokumentation: Gysi, so what?

Kurz vor dem 70. Geburtstag von Gregor Gysi zeigt der MDR eine Dokumentation über den Linken-Politiker. Eine kritische Würdigung bleibt aus.

Von Matthias Meisner

Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dass Gregor Gysi wirklich in der Bundesrepublik angekommen ist, dann liefert ihn Wolfgang Schäuble hier – in einer Fernsehdokumentation des MDR über den Linken-Politiker, die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird, zwei Tage vor Gysis 70. Geburtstag. Die Passage dreht sich um die schier endlose Geschichte um Stasi-Vorwürfe gegen Gysi. Und CDU-Mann Wolfgang Schäuble, der langjährige Bundesminister und aktuelle Bundestagspräsident, sagt: „Irgendwas bleibt an der Geschichte dunkel. Aber, so what?“

„Gysi“ heißt die Dokumentation von Nicola Graef und Florian Huber. Und schon dieser Titel wurde mit Bedacht gewählt, denn es geht im 90-Minuten-Porträt nicht nur um Gregor Gysi selbst, sondern um seine ganze Familie – so ausführlich wie nie, seit der Journalist Jens König vor Jahren Gysi und seiner illustren bürgerlichen, linken und zum Teil jüdischen Verwandtschaft ein ganzes Buch gewidmet hatte. Damals sperrte sich Gysi gegen das Projekt Königs, diesmal ließ er sich auf eine Kooperation ein: alte Foto- und Filmaufnahmen, für die tief in Archiven gegraben wurde. Die ausführliche Vorstellung seiner Eltern und vor allem seines Vaters Klaus, der in der DDR Kulturminister war. Gespräche mit seiner Schwester Gabriele, die nach einer Kontroverse mit dem System vor der Wende aus der DDR in den Westen übersiedelte.

Wirklich gut verlieren kann Gysi nicht

Mit seiner inzwischen 21-jährigen Tochter Anna aus der zweiten (und inzwischen ebenfalls geschiedenen) Ehe mit der ehemaligen Hamburger PDS-Bundestagsabgeordneten Andrea Lederer lässt er sich beim gemeinsamen Minigolf-Spiel beobachten. Und der Zuschauer erfährt, was er schon ahnte: dass Gysi gern mit hämischem Lachen darüber hinwegtäuscht, dass er nicht wirklich gut verlieren kann.

Aber hat er überhaupt verloren, leidet er an seinem Rückzug auf Raten? Die Filmemacher haben für ihre Dokumentation vor allem jene Zeugen versammelt, die dem Protagonisten inzwischen Respekt zollen. Als „Popstar“ preist ihn Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert glaubt sogar, dass die Linke ohne Gysi gar nicht mehr im parlamentarischen System präsent wäre. Der sozialdemokratische Altkanzler Gerhard Schröder schließt seinen Frieden mit dem Linken, der doch eigentlich ein guter Sozialdemokrat sei. Und sein alter Freund und Anwaltskollege, der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière, lästert über die Eitelkeit Gysis – aber auch das ist liebevoll gemeint. Härtester Kritiker von Gysi im Film ist Stephan Hilsberg, Gründer der sozialdemokratischen SDP in der DDR. Einer von früher und eine Einzelstimme im Film.

Das liegt auch daran, dass die heutigen innerparteilichen Widersacher von Gysi nichts über Gysi sagen wollten, vergeblich und hartnäckig hatten die Filmemacher angeklopft. Das betrifft vor allem Sahra Wagenknecht, seine Nachfolgerin im Amt des Fraktionschefs. Aber auch Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, mit dem er gemeinsam 2005 den Neustart der Linken organisierte und mit dem er sich später überwarf. Zu Wort kommen Linken-Funktionäre, die beschreiben, wie übel Gysi in der Öffentlichkeit mitgespielt worden sei, vor allem in den 90er Jahren. Der frühere PDS-Wahlkampfchef André Brie berichtet davon. Und Wagenknechts Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch begründet, warum sich letztlich viele doch immer wieder hinter Gysi geschart hätten: „Wenn man die Galionsfigur zum Kippen bringt, dann kippt auch die Partei.“

Für einen Film über einen Politiker kommt die Dokumentation recht unpolitisch daher. Sie konzentriert sich stark auf die Vorgeschichte des heutigen Politikers. Einen investigativen Anspruch hat sie nicht – Themen wie die SED-Milliarden und die Frage, ob Gysi als Anwalt in der DDR Mandanten an die Stasi verraten haben könnte, werden angesprochen, aber nicht wirklich geklärt. Seine eigentliche Politikerlaufbahn wird im Schnelldurchlauf durchgehechelt. Der Bruch mit Lafontaine nicht erklärt. Die Wutrede 2012 auf dem Göttinger Parteitag fehlt, auch sein Intermezzo als Wirtschaftssenator in Berlin. Kurz und knapp: die Bonusmeilen-Affäre, zwei Herzinfarkte, diverse Rücktritte und Comebacks nur in Stichworten. Dafür noch einmal groß: Seine Rede im November 1989 vor einer halben Million Menschen auf dem Alexanderplatz.

Ist Gysi mit sich im Reinen?

Ist Gysi heute mit sich im Reinen? Auf der Bühne bei der Voraufführung der Dokumentation am Freitagabend im Berliner Babylon-Kino nennt es Gysi aus heutiger Sicht einen Fehler, dass er sich auf dem Sonderparteitag der SED/PDS 1989/90 zum Parteichef hat wählen lassen. Die Filmemacher vermitteln das Bild, dass Gysi sich nach wie vor wohl- fühle, egal ob nun im Bundestag oder beim Köpenicker Festumzug in seinem Wahlkreis: „Leichtfertig wechselt er von einem Milieu ins andere.“ Ob er darunter leidet, verpasst zu haben, die Linkspartei in eine Bundesregierung zu führen, bleibt ungeklärt. Ebenso wie die Frage, was er zukünftig noch vorhat.

Im Bundestag sitzt der direkt gewählte Abgeordnete inzwischen in der letzten Reihe. Er sagt, er habe dort den besten Überblick. Bei der Filmpremiere am Freitagabend im Babylon, umgeben noch einmal von Fernsehgrößen wie Sandra Maischberger und Anja Reschke, strebt er gemeinsam mit seiner Familie auf der Suche nach einem reservierten Platz zunächst reflexhaft zur ersten Reihe. Erst nach einer ganzen Weile findet er heraus, dass Reihe zehn für ihn vorgesehen ist.

"Gysi", MDR, Sonntag, 20 Uhr 15

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