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Wikipedia-Autor bei der Arbeit-

© Thilo Rückeis

MEDIA Lab: Oligarchie in Wikis?

Die Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg weist auf die Verbindung von Größe und Macht. Für Wiki heißt das: Je größer der Kreis der Beteiligten, desto enger der Kreis der Administratoren.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts untersuchte der Soziologe Robert Michels politische Parteien in Italien und fragte sich, warum die Parteien mit wachsender Größe und Komplexität an demokratischer Binnenstruktur verloren. Mit dem „iron law of oligarchy“ erklärte er eine Dynamik, bei der sich Entscheidungsmacht mit ansteigender Gruppengröße in den Händen weniger konzentriert. Vielfältige Studien zu Parteien, NGOs und sozialen Bewegungen knüpften an diesen Gedanken an und bestätigten ihn. Heute bietet Netzkommunikation veränderte Möglichkeiten der Partizipation. Niedrigschwellig und gleichberechtigt können das Wissen und die Meinungen vieler gesammelt werden. Für diese Form kollektiver Wissensproduktion stehen Wikis wie kein anderes Format. Peer production, also die Zusammenarbeit Ebenbürtiger, erscheint als neuartiges demokratisches Potenzial.

Die US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Aaron Shaw und Benjamin Hill haben nun untersucht, wie sich die Entscheidungsstrukturen in Wikis entwickeln, wenn der Teilnehmerkreis wächst. Knapp 700 Wikis der Plattform Wikia haben sie in den Blick genommen. Hier finden sich Wikis zu TV-Serien, Computerspielen und anderen Unterhaltungsangeboten. Tausende, manchmal Hunderttausende speisen ihr Wissen in die gemeinschaftliche Textproduktion ein. Durch die Analyse von big data – also umfänglichen Informationen zum Entstehen und Bearbeiten neuer Seiten, zu Administratoren und ihrem Handeln – können sie Entscheidungsstrukturen nachzeichnen.

Das Ergebnis ernüchtert: Je größer die Zahl der am Wiki Beteiligten wird, desto enger der Kreis der Administratoren. Zumeist solche, die von Beginn an dabei waren. Und diese kleine Gruppe agiert dominant, indem sie verstärkt Bearbeitungen anderer Nutzer korrigieren oder ablehnen. Demokratisch, so argumentieren die beiden Autoren, sieht anders aus, und sie sehen Michels’ „Ehernes Gesetz“ mehrheitlich auch in kooperativer Netzkommunikation bestätigt. Deutlich wird, dass digitale Technologie per se weder demokratisch und partizipativ noch undemokratisch und elitär ist – es hängt vielmehr davon ab, wie wir sie nutzen.

Margreth Lünenborg

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