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Big Eye is watching you? Überwachen mit einer Kameradrohne.

© picture alliance / dpa

MEDIA Lab: Wider ein Leben hinter Glas

Viel mehr Journalisten sollten den digitalen Wandel thematisieren und diskutieren, warum es sich lohnt, auf Privatsphäre als unveräußerlichem Menschenrecht zu beharren – und das Publikum sollte diese Debatte einfordern.

Wir brauchen dringend eine offene, breit geführte, gut verstehbare Debatte über die zunehmenden Zugriffe auf Gesundheitsdaten, Konten, Wohnungen, Vorlieben. Überall umgeben uns Schleichwege von Herstellern und Regierungen in unser Privates, immer öfter werden Glasscheiben errichtet, durch die andere uns sehen, ohne dass wir sie sehen. Die Europäische Union, so eine aktuelle Tagesspiegel-Recherche, überwacht uns immer enger mit Drohnen, automatisierter Grenzkontrolle, gestützt auf anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Reisebewegungen.

Die Bundesregierung richtet zum Jahresbeginn 2017 eine 400-köpfige Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) ein, die Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz helfen soll, verschlüsselte Nachrichten zu dechiffrieren und Techniken zu entwickeln, die Whatsapps abfangen, während sie getippt werden. Die massiven Folgen werden kaum diskutiert und weithin übersehen: die internationale Dimension ebenso wie die Gefährdung der Medienfreiheit.

Denn solchen Techniken erschweren Journalisten, vertraulich zu kommunizieren und ihre Informanten zu schützen, gefährden also das Entdecken von Missständen – und erinnern an die Praxis etwa in Ägypten im Arabischen Frühling, als Behörden Trojaner auf Kommunikationsgeräte von Journalisten spielten. Überwachung wird oft gerechtfertigt als Methode, um terroristischen Straftaten vorzubeugen. Doch in ihrem aktuellen „Swiss Lawful Interception Report“ stellt das Kompetenznetzwerk „Digitale Schweiz“ fest, dass sie in nur einem von 20 Fällen darauf angewendet werden, sonst aber meist auf Betäubungsmittel- oder Vermögensdelikte.

Der Befund belegt, wie nötig kritische Reflexion ist. Nichtregierungsorganisationen und Verbünde aus Informatikern, Juristen, Sozialwissenschaftlern und Politikern entwickelten neu ein Digitalmanifest und eine Charta der Digitalen Grundrechte. Sie zeigen auch, wie man Komfortvorteile neuer Techniken nutzt, ohne Wohn- und Schlafzimmertüren sperrangelweit aufzureißen. Doch noch fehlt eine systematische mediale Verstärkung. Viel mehr Journalisten sollten den digitalen Wandel thematisieren und diskutieren, warum es sich lohnt, auf Privatsphäre als unveräußerlichem Menschenrecht zu beharren – und das Publikum sollte diese Debatte einfordern.

www.digitale-gesellschaft.ch

https://digitalcharta.eu/

http://irights-lab.de/

Marlis Prinzing

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