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Medien in der Krise: Am Puls der Zeit

Tageszeitungen haben an Auflage verloren und fragen sich: Was will der Leser?

Horst Röper ist ein gefragter Mann. Wenn der Dortmunder Zeitungsforscher mit Verlegern und Geschäftsführern von Zeitungen und Zeitschriften zusammenkommt, hört er öfter mal den Satz: Wissen Sie eigentlich noch, was der Zeitungsleser will? Wir machen hier mal was Leichteres im Internet, dort ein qualitativ hochwertiges Hintergrundstück im Blatt, da ein bisschen Werbung und müssen am Ende trotzdem feststellen: Deutschlands Tageszeitungen finden immer weniger Käufer und Abonnenten, jedenfalls im vierten Quartal 2009. Da ging die verkaufte Auflage der Blätter laut IVW (Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent zurück. Besonders auf dem Berliner Markt sehen die Zahlen derzeit dramatisch aus, bei „B.Z.“, „Berliner Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, Tagesspiegel und „Berliner Kurier“ gleichermaßen.

Der Leser, das unbekannte Wesen? Will er seine Zeitung nicht mehr? Diese Frage ist ja nicht ganz neu. Was rät Röper den Verlegern? „Wenn ich da eine nachhaltige Lösung hätte“, sagt der Medienwissenschaftler. Sicher spielen Freizeitverhalten und geminderte Haushaltsbudgets eine Rolle.Wenn das Geld knapp wird, neue, teilweise kostenpflichtige Angebote wie digitales Fernsehen auf den Markt drängen, Rundfunkgebühren ständig steigen, dann wird auch schon mal das eine oder andere Zeitungsabonnement abbestellt, ganz zu schweigen von Fernsehen und Internet, wo immer mehr potenzielle Zeitungsleser ihr Informations- oder Unterhaltungsbedürfnis schon vor Erscheinen der Zeitung stillen. Laut Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nutzen 72 Prozent aller deutschen Erwachsenen im 4. Quartal 2009 das Internet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist dies ein Plus von sechs Prozent.

Denen müsste man, meint Röper, als Zeitung vielleicht auch mal ein anderes Angebot machen. Eine Variante könnte sein, die Struktur der Tageszeitung deutlicher zu verändern, am Beispiel immer noch erfolgreicher Wochen- oder Monatsmagazine. „Zeit Wissen“ beispielsweise hat mit 92 496 Exemplaren die beste verkaufte Auflage seit IVW-Ausweisung. Es gibt sie noch, die Leselust, nicht nur am Büchermarkt und, schnell befriedigt,via Internet.Für die Tageszeitung würde das bedeuten: Weg von der Chronistenpflicht, der Abbildung des Weltgeschehens von gestern, mehr Eigenes, Hintergründiges, exklusive Stücke vorne im Blatt, wie es mittlerweile der Tagesspiegel oder die „Stuttgarter Zeitung“ verstärkt machen. „Wir verzichten nicht auf die Chronistenpflicht“, sagt Michael Maurer, stellvertretender Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“. „Aber wir versuchen vor allem seit unserem Relaunch im Juni deutlichere eigene Akzente zu setzen.“ Das heißt: Jeden Tag ein großes, eigenes Thema mit einem Bild auf der Seite eins anreißen. „Unser Konzept ist es“, sagt Maurer, „Eigenleistungen und Schwerpunkte nicht nur öfter im Blatt zu haben, sondern sie auch deutlicher herauszustreichen.“ Generell müsse es als Tageszeitung gelingen, dem Leser jeden Tag deutlich zu machen, weshalb es sich lohnt, die Zeitung zu kaufen oder zu abonnieren.

Dass die Verkaufszahlen im vergangenen Quartal so schlecht waren, hat aber nicht nur mit geändertem Freizeitverhalten, der Suche nach dem richtigen Leser und dem richtigen Zeitungsprofil zu tun. „Die Weltwirtschaftskrise hat eine deutliche Zurückhaltung der Werbewirtschaft ausgelöst, die sich wiederum in erheblichen Rückgängen unserer Anzeigenerlöse ausgewirkt hat“, sagt Tagesspiegel-Geschäftsführer Frank Lüdecke. „Daher mussten wir kostenbedingt unsere Marketingaufwendung insbesondere im vierten Quartal 2009 deutlich reduzieren.“ Deshalb sei der Auflagenrückgang eine durchaus geplante Auflagendelle. Im ersten Quartal 2010 werde es aber bereits wieder ein kleines Auflagenplus geben. Außerdem, so Lüdecke, habe der Tagesspiegel in den letzten 15 Jahren die mit Abstand beste Entwicklung bei der verkauften Auflage von allen Berliner Abonnementzeitungen gehabt. „Man muss dabei immer berücksichtigen: Berlin ist nicht unbedingt eine Leserstadt.“ Die IVW-Zahlen belegen das: Der Berliner Markt hat sich an die Spitze der Zeitungsauflagenkrise gesetzt, in keinem anderen Bundesland sind die großen Blätter so arg gebeutelt.

Am Ende hat Zeitungsforscher Röper doch noch einen Rat, wie die Zeitung wirkt, wie des Lesers Geschmack besser zu ergründen ist, für Berlin und den Rest der Republik: mehr Copytests, mehr Marktanalysen, wie sie eigentlich bei jedem Lebensmittel gängig sind.

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