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Medien: Medienrepublik (53)

Malte Lehming erklärt, warum amerikanische Studenten wieder so gerne schreiben Wenn sich in Deutschland 50 Intellektuelle auf einer Konferenz beraten, über die Zukunft des Liberalismus zum Beispiel, dann steht das am nächsten Tag in der Zeitung. Tagungsbericht nennt sich das Genre.

Malte Lehming erklärt, warum amerikanische Studenten wieder so gerne schreiben

Wenn sich in Deutschland 50 Intellektuelle auf einer Konferenz beraten, über die Zukunft des Liberalismus zum Beispiel, dann steht das am nächsten Tag in der Zeitung. Tagungsbericht nennt sich das Genre. Auf diese Weise erfährt der Leser, was es für schlaue, neue Gedanken gibt und wer diese Gedanken denkt. Auch in Amerika gibt es Konferenzen. An Intellektuellen mangelt es ebenfalls nicht. Nur eines fehlt: der Tagungsbericht.

Die Zeitungen ignorieren das organisierte Geistesleben. Wer etwas zu sagen hat, wird um einen Beitrag gebeten. Je pointierter jemand seine Ansichten vertritt, desto leichter kommt er zu Wort. Wenn ein deutscher Durchschnittsprofessor von der „New York Times“ zitiert werden will, muss er sich einer Banalitätskaltwasserkur unterziehen. Kein Amerikaner glaubt, dass Klugheit kompliziert sein muss.

Artikel über das Schul- und Universitätsleben finden sich in den USA allerdings zuhauf. Der Campus als Seismograph. Was wird gelehrt, wogegen protestiert? Alle großen Zeitungen etwa widmen sich derzeit der Frage, ob der Antisemitismus an den Universitäten zugenommen hat. Im kalifornischen San Diego kursieren die „Protokolle der Weisen von Zion“. In Berkeley schlagen sich Juden und Araber regelmäßig die Köpfe ein. In Michigan erhalten Juden, die sich für Israel stark machen, telefonische Morddrohungen. Und selbst an der Harvard University begann das Semester mit einer Warnung von Universitätspräsident Lawrence H. Summers. Der Antisemitismus in akademischen Zirkeln, beklagte er, sei weit verbreitet.

Aufmerksam wurde in den Medien auch die jüngste Entscheidung eines Schulbezirks im Bundesstaat Georgia registriert. In Cobb County wird seit dem 26. September neben der Evolution der Kreationismus gelehrt. Die Kreationisten meinen nachweisen zu können, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat. Nicht zuletzt die Komplexität des Universums deute auf die Existenz eines höheren Wesens hin. In alle Biologiebücher muss nun ein Sticker mit der Auschrift geklebt werden: Die Evolution ist eine Theorie, kein Faktum.

Der aktuellste Trend indes resultiert aus der Fernsehserie „Sex and the City“. Immer mehr Teenagerinnen ahmen ihr TV-Vorbild nach und schreiben in Schülerzeitungen ausgiebig über Intimes. Die Kolumnen heißen „Sexperts Tells All“ oder „Sex on Tuesdays“. Die 20-jährige Natalie Krinsky von der Yale University ist auf diese Weise bereits berühmt geworden. Ihre Artikel werden, per Webseite zugänglich, hunderttausendfach gelesen. Vor einer Woche gab sie freilich in einem Interview zu, dass an US-Unis weitaus öfter über Sex geredet werde als dass dieser selbst praktiziert würde. Zumindest in dieser Hinsicht unterscheiden sich Deutschland und Amerika wahrscheinlich kaum.

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