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Medien: Medienrepublik (76)

Harald Martenstein über die hundert ärmsten Journalisten Deutschlands Man kann nicht immer nur über den Krieg nachdenken, es gibt schließlich noch andere Themen auf der Welt: Wirtschaftskrise, neue Krankheiten, Armut … Aus der „Süddeutschen“ fällt am Freitag beim Frühstück das Magazin heraus, mit der Titelstory „Die 100 ärmsten Deutschen“. Man liest sich fest, an den irgendwie vertraut klingenden Geschichten von Andrea, 33, Putzfrau, zwei Kinder, 250 Euro im Monat, von Rascho, 74, „ich war Offizier bei der bulgarischen Luftwaffe“, oder von Klaus, 51, „jetzt habe ich auch noch die Krätze“.

Harald Martenstein über die hundert ärmsten Journalisten Deutschlands

Man kann nicht immer nur über den Krieg nachdenken, es gibt schließlich noch andere Themen auf der Welt: Wirtschaftskrise, neue Krankheiten, Armut …

Aus der „Süddeutschen“ fällt am Freitag beim Frühstück das Magazin heraus, mit der Titelstory „Die 100 ärmsten Deutschen“. Man liest sich fest, an den irgendwie vertraut klingenden Geschichten von Andrea, 33, Putzfrau, zwei Kinder, 250 Euro im Monat, von Rascho, 74, „ich war Offizier bei der bulgarischen Luftwaffe“, oder von Klaus, 51, „jetzt habe ich auch noch die Krätze“. Man kennt das aus den Sozialreportagen im Lokalteil. Dann kommen, wie man vor dem Krieg gerne gesagt hat, die Einschläge näher. Eckart, 44, Pianist, früher 1000 Euro Gage pro Auftritt. Walter, 48, promovierter Soziologe. Siegfried, 65, Unternehmer … oops, und da ist er auch schon, der erste Journalist: Ulli, 59, war bei „Bravo“ und hat für 12 000 Euro pro Stück Romane geschrieben, drei Wochen Arbeitszeit pro Roman. Aus, vorbei. Jetzt legt er, um Geld für Getränke zu sparen, selber gesammelte Himbeeren in Leitungswasser ein.

„Die 100 ärmsten Deutschen“: gute Idee, oder? Einerseits spielt der Titel noch mit dem journalistischen Inszenierungsstil der vergangenen Jahre, dem SZMagazin-Berliner-Seiten-Stil, gleichzeitig benutzt er ihn für ein heutiges Thema. Heutige Themen sind ernst. Die kreative Skrupellosigkeit, die man im Gute-Laune-Jahrzehnt gelernt hat, lässt sich auch für diese Art von Themen verwenden.

Am Tag darauf bringt die „Süddeutsche Zeitung“ eine zweite, ähnliche Liste. Eine halbe Seite im Anzeigenteil, die der Süddeutsche Verlag den gekündigten Mitarbeitern seines NRW-Teils spendiert hat. 23 Journalisten, die eine gute Zeitung gemacht, ihre Auflage gesteigert und einen Preis gewonnen haben, suchen einen Job: Robert, 32, „Appetit auf harte Themen“, Christina, 29, „Präzision und Leichtigkeit“, Ulrich, 51, „zu klug für diese Welt“, Dirk, 31, „Pop-Intellektueller“, und so weiter.

Eine gestiftete Stellenanzeige, danke sehr. Ist nett vom Verlag. Die „SZ“ hat allerdings, bei hoher Auflage, jahrelang Gewinne gemacht. Jetzt sind gerade mal zwei Jahre Krise, und schon metzeln sie Arbeitsplätze nieder.

Die Medienkrise verändert das Bewusstsein der Medienleute. Früher dachten viele klammheimlich, dass es beim sozialen Abstieg (traurig, traurig!) schon im weitesten Sinne die Richtigen erwischt – die Faulen, die Unflexiblen, die Unkreativen. Jetzt kennt man den einen oder anderen Namen aus der „SZ“-Anzeige und weiß, es ist ein Guter. Dann schaut man sich noch mal nachdenklich die Liste der „100 ärmsten Deutschen“ an: Andrea, 33. Walter, 48. Womöglich sind ja auch die nicht selber schuld.

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