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Medien: Medienrepublik (79)

Malte Lehming über die getrennten Welten USA und Europa Jedes Publikum hat seine Erwartungen. Die will es bestätigt sehen.

Malte Lehming über die getrennten Welten USA und Europa

Jedes Publikum hat seine Erwartungen. Die will es bestätigt sehen. Amerikaner sind einfältig, arrogant, todesstrafenwütig und kriegsgeil. Das meinen die Europäer. Die Europäer paktieren mit jedem Diktator, sind verschlagen, stabilitätsfixiert und feige. Das meinen die Amerikaner. Je näher der Irak Krieg rückte, desto ungehemmter wurden die Vorurteile gepflegt. Inzwischen nehmen beide Seiten eine andere Wirklichkeit wahr. Hüben werden jubelnde Iraker gezeigt, mutige US-Soldaten, Saddams Folteropfer, heimkehrende Kriegsgefangene. Drüben sind Ziviltote zu sehen, Plünderungen, antiamerikanische Proteste, hungernde Flüchtlinge. Warum? Hüben befürworten 80 Prozent der Menschen einen Krieg, drüben lehnen ihn 80 Prozent der Menschen ab.

Die jeweilige Kundschaft wird hemmungslos bedient. Hart ist der Kampf um Auflagen und Einschaltquoten. Kaum eine europäische Zeitung kann es sich leisten, Sympathie für die Bush-Regierung aufzubringen. Die Strafe der erbosten Leserschaft – Kriegstreiber! – folgt auf dem Fuße. Kaum ein US-Medium wagt es, sich dem Treiben der eigenen Truppen kritisch zu nähern. Das Verdikt – Vaterlandsverräter! – wäre ruinös. Auf beiden Seiten des Atlantiks herrscht Pressefreiheit. Wichtige Nachrichten werden weder unterdrückt noch gefälscht. Aber komplett anders präsentiert.

Jüngstes Beispiel: der Vandalismus im Nationalmuseum von Bagdad. Die europäische Presse beschuldigt die US-Streitkräfte der groben Fahrlässigkeit und kulturellen Ignoranz, gelegentlich wird über die Gründe für ein absichtliches Weggucken spekuliert. Womöglich taucht das Diebesgut ja demnächst bei einer Auktion in New York auf. In Amerika ist der Vandalismus das Werk einer gut organisierten Diebesbande, die mit dem Saddam-Regime unter einer Decke gesteckt hat. Der bedauerliche Vorfall belege erneut, wie wichtig es war, den Tyrannen zu stürzen. Allgemein wird die europäische Empörung über die anhaltenden Plünderungen im Irak eher belächelt. Erstens sei die Wut der Massen verständlich, es handele sich um eine kurzfristige Gemütsaufwallung und eine Umverteilung von oben nach unten. Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Zweitens habe es oft nach dem Ende einer Diktatur, auch im Nachkriegsdeutschland, Plünderungen gegeben. Drittens werde durch solche Akte ein gewisses Maß an Eigeninitiative bewiesen, das trotz der Schreckensherrschaft vielen Menschen nicht ausgetrieben worden sei.

Täglich finden sich solche Beispiele einer geteilten und selektiven Wahrnehmung. Ein internationales Reporterteam besuchte vor wenigen Tagen eine südirakische Stadt. Euphorisch der Bericht in der US-Zeitung. Die Bevölkerung atmet auf. Bald funktioniert die Energieversorgung. Die Trinkwasseranlage soll renoviert werden. Deprimierend der Artikel in der europäischen Zeitung. Es regt sich Widerstand gegen die amerikanischen Besatzer. Noch immer funktioniert die Energieversorgung nicht. Das Trinkwasser wird knapp. Belege finden sich für beide Sichtweisen. Die Wirklichkeit zerfällt in zwei gefühlstrunkene Gesellschaften, die nur mit Funzeln beleuchten, was ihnen nicht passt. Wechselseitige Annäherung? Vorläufig ausgeschlossen.

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