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Medien: Medienrepublik (84)

HARALD MARTENSTEIN über die Liebe zu Deutschland und Journalisten im Exil Kürzlich war ich mit einem Fotografen in Afrika, im Regenwald. Der Fotograf erzählte den Eingeborenen immer, wie furchtbar Deutschland ist.

HARALD MARTENSTEIN über die Liebe zu Deutschland und Journalisten im Exil

Kürzlich war ich mit einem Fotografen in Afrika, im Regenwald. Der Fotograf erzählte den Eingeborenen immer, wie furchtbar Deutschland ist. Rassismus, Arbeitslosigkeit, schlechter Fußball. Die Eingeborenen träumten alle davon, nach Deutschland zu gehen, das war ihr Traumland, ihr Lieblingsfußballer hieß Oliver Kahn. Nach einer Weile waren beide Seiten verstimmt. Der Fotograf ärgerte sich, weil die Afrikaner nicht begreifen wollten, was es mit Deutschland auf sich hat. Die waren irgendwie blöd. Die Afrikaner dachten, der Fotograf macht ihnen Deutschland nur deswegen madig, weil er nicht will, dass sie hinkommen. Er war offenbar ein Rassist.

Die „Weltwoche“ ist eine Schweizer Wochenzeitung. Die „Weltwoche“ hat ein Sonderheft zum Thema Deutschland vorgelegt. Der erste Artikel fängt so an: „Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Deutschland liegt darnieder.“ Sie berichten über eine „erstarrte Wirtschaft“, über deutsche Idole, darunter Kiezgrößen wie Roberto Blanco, über den deutschen Mann, der es im Bett nicht bringt, über deutsche Pädagogen, die natürlich ein Albtraum sind, über den deutschen Adel, mit dem es seit 200 Jahren bergab geht und bei dem die „mangelnde Frischblutzufuhr sich auch äußerlich zeigt.“

Dieses Heft müssen Deutsche gemacht haben. Denn wenn es in dieser erfreulich durchmischten Welt etwas typisch Deutsches gibt, dann die Haltung: „Deutschland? Alles Scheiße, ey.“ Dann schaut man sich die Autoren an. Sie heißen Christian Kämmerling, Moritz von Uslar, Wolf Schneider, Ulf Poschardt…Das ist ja, wenn man von Wolf Schneider absieht, das gute alte „SZMagazin“! Zur Erinnerung: Das Magazin der „Süddeutschen“ war jahrelang die führende Ideenschmiede des deutschen Journalismus, bis das Team im Rahmen des Tom-Kummer-Artikelfälscher-Skandälchens auseinandergerissen wurde.

Jetzt wirken sie also im Schweizer Exil. Wie Lenin. Man würde sie auch gerne mit den Intellektuellen von Byzanz vergleichen, die, als Byzanz von den Osmanen erobert wurde, nach Italien gingen und dort die Renaissance begründeten, aber das geht nicht. Denn im alten „SZ-Magazin“ hätte man etwas so Naheliegendes nicht gemacht. Ein Sonderheft über Deutschland, in dem steht, dass Deutschland nicht gut ist? Nein, man müsste ein Heft voller Liebeserklärungen an Deutschland machen. Das wäre Avantgarde, oder? Von der „Weltwoche“ über die Deutschen, die schlecht im Bett sind, dumm und faul im Beruf und abends von Roberto Blanco träumen, wird ein Vielfaches der üblichen Auflage nach Deutschland geliefert. Weil sie in der Schweiz damit rechnen, dass die Deutschen das gerne lesen möchten. Sie könnten sogar Recht haben.

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