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Erst saufen sie, dann schlagen sie sich. Rudolf Augstein (Sebastian Rudolph, links) und Franz Josef Strauß (Francis Fulton-Smith). Foto: BR

© Roland Suso Richter

Menschen und Mythos: Unbedingt angriffsbereit

„Die Spiegel-Affäre“: Filmische Rekonstruktion der Fehde Augstein versus Strauß. Kampf um die Pressefreiheit und Weltpolitik inklusive.

Nirgends formuliert das Grundgesetz knapper und eindeutiger als beim Thema Todesstrafe („Die Todesstrafe ist abgeschafft“) und in Sachen Pressefreiheit: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Die vierte Gewalt ist selbstverständlicher Bestandteil der politischen Kultur Deutschlands. Unvorstellbar, dass ein Putin hierzulande die öffentliche Meinung mit Gewalt in seinem Sinne unter Kontrolle brächte. Doch vor über 50 Jahren, als Adenauers Greisenherrschaft ihren Spätherbst erlebte, war alles anders. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ermunterte im Herbst 1962 ohne Rücksicht auf demokratische Gepflogenheiten die Bundesanwaltschaft dazu, gegen den „Spiegel“ wegen Landesverrats zu ermitteln, das Redaktionsgebäude in Hamburg mit Polizisten zu besetzen und die leitenden Redakteure zu verhaften.

Der Anlass war die exakt recherchierte Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“ des Wehrexperten Conrad Ahlers, die anhand des Nato-Manövers „Fallex“ belegte, dass bei einem Atomkrieg Deutschland vollkommen vernichtet würde. Strauß sah sich in seiner Ansicht bestätigt, die Bundesrepublik brauche eigene Atomwaffen, um einem Angriff der Sowjetunion eventuell zuvorzukommen. Der „Spiegel“ mit Rudolf Augstein an der Spitze widersprach: Einem Machtmenschen und Kommunistenfresser wie Strauß, gegen den der „Spiegel“ nach einem mit Krach endenden Besäufnis eine Kampagne führte, dürfe eine solche Waffe nie zur Verfügung gegeben werden.

Die Polizeiaktion führte zu Protesten. Als die Studenten demonstrieren und Sebastian Haffner kommentiert: „Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf Aufklärung drängt, dann adieu Rechtsstaat, adieu Pressefreiheit, adieu Demokratie“, da erwacht der Geist, der später 68 möglich macht. Nur Strauß, Adenauer und die obrigkeitshörige Justiz begreifen es nicht.

Der Film „Die Spiegel-Affäre“, die fiktionale Rekonstruktion jener fast vergessenen Ereignisse, weil die Rettung der Demokratie im Schatten des Mauerbaus und der Kuba-Krise steht, ist ein Meisterstück aus der Historienwerkstatt des Fernsehens, glänzend geschrieben (Johannes Betz, unterstützt von Gabriela Sperl, Michael Stürmer und Stefan Aust), glänzend inszeniert (Roland Suso Richter, „Dresden“) mit glänzenden Schauspielern (Francis Fulton-Smith, Sebastian Rudolph, David Rott, Alexander Held, Gesine Cukrowski, Nora von Waldstätten, Henning Baum).

Die Schauspieler des Films verifizieren diesen mythischen zweiten Gründungsmoment nachkriegsdeutscher Demokratie. Ganz große menschliche Komödie. Fulton-Smith, körperliche Rankheit opfernd, verwandelt FJS in einen selbstzerstörerischen Stier, der keinem roten Tuch ausweichen kann. Trotz Bier, Kraut und bajuwarischem Habitus ist die Einsamkeit eines empfindlichen Gemüts zu spüren, dessen großer Intellekt zornige Ausbrüche nicht verhindern kann.

Sebastian Rudolph legt die Figur Augstein als Leidensbruder von Strauß an. Auch er ein Zerrissener, ein Kriegsgeschädigter. Zu misstrauisch (und intelligent), in Cowboy-Manier den investigativen Pressehelden als Lebensrolle anzunehmen, zu romantisch und frauenbegeistert, um den Dauerzyniker durchzuhalten, ein Weltkind im Unterstand der Rechercheure.

Es gibt einen großen Moment in diesem Film, den größten: Da stehen sich Strauß und Augstein gegenüber, und Strauß fragt: Was haben Sie eigentlich gegen mich? Und für einen Moment erscheint ein Wunder möglich: Dass zwei Männer, die der Krieg gebeutelt hat, aus den Gräben aufeinander zukommen.

Sie kommen aber nicht. Da kann die Fiktion nichts machen. Diese große Fernsehlehrstunde bleibt sachlich, ohne Gefühle zu unterschlagen. Was zählt, ist die Geschichte von der Behauptung der Pressefreiheit. Pathos braucht es zwar nicht, aber jede Sorgfalt in der Darstellung der Gefühle. Man muss nur im Minenspiel von Alexander Held lesen, der Siegfried Buback spielt, den später von der RAF ermordeten staatsanwaltlichen Ermittler, der die Besetzung der Redaktion leitet: Wie sich in seinen immer maliziöser werdenden Zügen im Laufe des Geschehens der ganze Wahnsinn der Aktion offenbart. Das ist sensationell.

Zwanzig Jahre nach dem Ereignis bin ich in die Redaktion des „Spiegel“ eingetreten, arbeitete dort über dreißig Jahre (herrlich) und bin platt. Großes Drama, Meilensteinfeeling, Hauch der Geschichte. Und fühle zugleich: Aus deinem Berufsleben wäre ein anderer Film geworden, unheldisch, ganz ohne den Donner aus dem „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie Augstein sein gegen Strauß feuerndes Blatt stolz getauft hatte. Wehmut empfinde ich dabei nicht, eher das Gegenteil.

Gab es Spuren? Der Chefredakteur Johannes K. Engel, Magazin-Urgestein und bei der Heldenaktion gegen Strauß dabei, schulmeisterte einen Kulturredakteur und frankophonen Feingeist wegen Versäumnisses mit den Worten: „Journalismus kommt von Jour, und Jour heißt der Tag.“ Welche Flapsigkeit, welche Wahrheit. Der ganze Segen und der ganze Fluch des Gewerbes sind in diesen Worten ausgedrückt. Das Geschäft der Medien ist das Neue, sind die neuen Säue, die durchs Dorf getrieben werden und die alten weggrunzen. Für alles Museale, besonders historischen Weihrauch, haben Medien, die auf sich halten, keinen Platz. Das Heute geht dem Gestern vor. Die Aktualität der Ewigkeit. Die Blindheit für die eigene historische Bedeutung ist für die Medien in gewissem Sinne Raison d’être.

Im Mittelalter galt der wertevergessene und neuigkeitsverliebte Tanz ums Heute als Todsünde, Curiositas. Ein katholisch geprägter Mensch wie Augstein war wie viele andere Journalisten notorisch fahnenfluchtgefährdet und wendete sich nicht zufällig nach der Affäre den ewigeren Jagdgründen des Biografenfachs zu, mit über dem Heute schwimmenden Büchern über Jesus, Bismarck und Friedrich II., allerdings die journalistische Verkleinerungsattitüde aller Größe beibehaltend.

Unvergänglich sind Erinnerungen an die Zuchtruten, die als Chefredaktions-Monita unter rotem Zettel auf den Redakteurssklaven niedergingen. „Der innehaltende Gedankenstrich hat in unserem Magazin keinen Platz“, hieß es da. Die Ausbürgerungsurkunde war stilistisch richtig, aber – pardon – menschlich brutal. Ältere Kollegen erinnerten Brutaleres. Meldungsfahnen, die kurz vor Abgabeschluss eine Klammer um den ganzen Text zierte: „Kacke“.

War das ein Erbe der harten Jungs aus der „Spiegel“-Affäre, die mangels Gegner, Ziel und Kampagne zu Stil-Drill-Feldwebeln regrediert waren? Dafür spräche, dass es lange dauerte, bis das Alcatraz der Dauerironie aufgebrochen wurde, in das man die Geschichten vor allem der niederen Redakteure verbannt hatte und das vergittert war durch ein Geflecht von unhintergehbaren Anforderungen der Form und durch die Pflicht zur unterhaltenden Distanzierung. Striktes Gefühlsverbot, striktes Spottgebot. Das Sturmgeschütz ein MG-Nest mit Feuer in jede Richtung.

Im Film sehe ich lauter frisch-fröhliche Augstein-Kameraden. Sie rauchen wie die „Mad Men“ um Don Draper, sie laufen dauernd durch die Gegend, die Türen sind offen. Lesen sieht man sie selten.

Ein rauer Stoßtrupp ist da im Film unterwegs, vier Jahre dauert die Kaperfahrt gegen den Bayern. Der erste Offizier ist nicht tabu. Gegen Augsteins maßlose Polemik, in der dem Kopf von Strauß das Aussehen eines Bierkrugs angekreidet wird, rebellieren die Untergebenen. Sie fordern mehr Sachlichkeit, mehr Recherche. Augstein stimmt zu.

Als dieses Verlangen dann – typisch Presse – nach einem Jahr verbissener Arbeit des Redakteurs Ahlers erfüllt wird und die „Fallex“-Story vorliegt, beginnt sofort das Gemaule im Hause: Augstein feuert das Heft durch die Gegend. Zu lang, zu langweilig. Wen interessiert das? Die Curiositas-Karawane ist nämlich weitergewandert, Kuba, Folgen des Mauerbaus, ab in Richtung Jour. Was interessiert da noch der Strauß von gestern mit seinem Wahnsinnsverlangen nach atomarer Bewaffnung der Bundeswehr? Die Ironie der „Spiegel“-Affäre gleicht der bei Watergate: Die Mächtigen in ihrer selbstgerechten Trägheit bringen sich am Ende des Tages selbst zu Fall, nicht der Flattervogel Presse. Strauß wird der Lüge überführt. Adenauer tritt zurück. Der „Spiegel“ ist perplex, als er erkennt, dass geschieht, was er schrieb. Dass er sich selbst in eine Topnachricht verwandelt.

„Die Spiegel-Affäre“, Arte, Freitag, um 20 Uhr 15, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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