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Trauer einer Tochter. Der Vater der achtjährigen Galia Rodriguez hat für die Zeitung „El Diario de Juarez“ über die Machenschaften der mexikanischen Drogenkartelle berichtet und wurde deshalb ermordet.

© Reuters

Mexiko: Pressefreiheit im freien Fall

Drogenkartelle in Mexiko tyrannisieren Journalisten, von freier Berichterstattung ist in dem Land schon lange keine Rede mehr. Zahlreiche Medien beugen sich dem Druck und geben auf.

Jaime Guadalupe González war auf dem Weg nach Hause und machte einen kurzen Zwischenstopp an einem Straßenstand, um ein paar Maisfladen zu essen. Es war Sonntag in Ojinaga im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua, aber trotzdem hatte der Journalist seine Kamera dabei. In dieser Gegend weiß man nie, wann das Verbrechen zuschlägt. González hatte gelernt, auf der Hut zu sein, möglichst diskret Fragen zu stellen. Doch auch das nützte ihm nichts. Er wollte schon in sein Auto einsteigen, da tauchte ein Geländewagen auf, ein Killer feuerte aus einer belgischen Pistole 17 Schüsse ab. Die Waffe ist eine Sonderanfertigung für den Krieg: Ihre Kugeln durchschlagen auch Panzerwesten. Der 38-jährige Journalist starb noch am Tatort; der Mörder nahm seine Kamera mit. Ein typischer Mafiamord. González’ Online-Portal „Ojinaga Noticias“ berichtete darüber am Montag. Der Artikel endete mit dem Satz: „Dies ist höchstwahrscheinlich unsere letzte Veröffentlichung.“ Wenige Stunden später war das Portal offline und wieder ein Presseorgan mundtot.

Die Wahrheit ist das erste Opfer eines jeden Krieges – das trifft auch auf Mexikos Drogenkrieg zu. In den Regionen, in denen der Staat die Kontrolle verloren hat und die Kartelle de facto die Macht innehaben, gibt es schon längst keine freie Berichterstattung mehr. Traditionelle Medien sind davon genauso betroffen wie Twitterer und Blogger. „In Mexiko herrscht Notstand“, kritisiert Darío Ramírez von der Medien-Organisation „Artikel 19“. Die Kartelle werden immer brutaler, der rechtsfreie Raum wächst. Alleine in den letzten drei Monaten nahmen die Angriffe auf Journalisten der Organisation zufolge um 25 Prozent zu. Fünf Entführungen, vier Angriffe auf Verlage und einen Mord verzeichnete „Artikel 19“. Doch das Schlimmste seien die Einschüchterungen. Und die gingen zum Großteil von den Sicherheitskräften aus. „Die Pressefreiheit befindet sich im freien Fall. Unter den Journalisten macht sich Angst breit“, sagt Ramírez.

Es gibt Bundesstaaten wie zum Beispiel Veracruz, aus dem 23 bedrohte Journalisten geflohen sind. Und die, die zurückbleiben, unterwerfen sich der Selbstzensur. Vor ein paar Tagen wurde der Chefredakteur der Regionalzeitung „Zócalo“ aus Coahuila bedroht. Die Mafia hängte Spruchbänder in mehreren Gemeinden auf. Die Herausgeber, die schon zwei Journalisten verloren hatten, beschlossen daraufhin, von nun an keine Informationen über das organisierte Verbrechen mehr zu drucken. Im Bundesstaat Michoacán gibt es Orte, in die sich nicht einmal mehr die Zeitungsausträger wagen. Den Anfang machte die Tageszeitung „El Diario de Júarez“. Nach dem zweiten Mord an einem ihrer Journalisten schrieben sie 2010 auf die Titelseite: „Sehr geehrte Herren aller Kartelle, wir sind keine Hellseher. Da Sie hier die Macht haben, bitten wir Sie um Mitteilung, was wir veröffentlichen sollen und was nicht.“

Der Leitartikel sorgte für Aufruhr und moralische Entrüstung vor allem in den Medien von Mexiko-Stadt. Bis zur Kapitale war die Gewalt zu dem Zeitpunkt noch nicht vorgedrungen. In den sehr Hauptstadt-orientierten nationalen Medien wähnte man sich in Sicherheit und sah nicht die dunklen Wolken an der Peripherie aufziehen. Seitdem aber auch Hauptstadtjournalisten ermordet oder bei Missionen in Nordmexiko von der Mafia bedroht und entführt wurden und deren TV-Sender im Gegenzug für die Freilassung Propagandamaterial der Kartelle senden mussten, hat sich das geändert.

Doch Abhilfe ist nicht in Sicht. Theoretisch gibt es zwar seit 2012 ein Gesetz zum besonderen Schutz bedrohter Journalisten, doch „die Mechanismen funktionieren nicht“, sagt Ramírez. Die Regierung nehme das Problem nicht ernst. Keiner der Journalistenmorde wurde aufgeklärt. Im Pressefreiheits-Ranking der Reporter ohne Grenzen ist Mexiko in den letzten zehn Jahren von Platz 74 auf 153 abgestürzt. Fast grenzt es an ein Wunder, dass es trotzdem noch immer genügend Reporter gibt. Die meisten arbeiten ohne Netz und doppelten Boden: Nicht einmal mehr Lebensversicherungen akzeptieren Policen für ReporterBERICHT CPJ].

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